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Oktober 2005
Der Unfall
von Christiane Gref

Susanne schreckte hoch. Ein furchtbarer Alptraum riss sie aus ihrem Schlaf.
Sie hatte ihre Kinder sterben sehen. Schweiß stand auf ihrer Stirn und sie hatte am ganzen Körper eine Gänsehaut. Neben ihr schlief Ralf, ihr Mann. Er schnarchte wie üblich. Fröstelnd ließ sie den Traum Revue passieren: Es war Nacht, der Bus fuhr stetig bergan, schraubte sich auf den Serpentinen der österreichischen Bergwelt höher und höher. Doch dann kam er plötzlich von der Fahrbahn ab und stürzte in die Tiefe. Die Passagiere, Kinder der Klasse 7b und zwei Lehrer, schliefen zum größten Teil. Sie wachten erst auf, als die Schwerelosigkeit des Falls im Magen kribbelte.
Nein, das war zu real, um ein Traum zu sein, dachte Susanne und rüttelte ihren Mann an der Schulter. „Ralf. Wach auf!“
„Was is` denn?“, nuschelte er schlaftrunken.
„Es ist etwas Schlimmes passiert. Mit den Kindern.“
„Was?“ Jetzt war auch er wach und setzte sich auf. „Was ist mit den Kindern?“
„Ich habe geträumt, dass sie in eine Schlucht stürzen. Mit dem Bus, ein Unfall, ganz schrecklich...“, dabei begann Susanne zu schluchzen.
„Schatz, du hast das geträumt. Es ist schon nichts geschehen. Leg dich wieder hin.“
„Nein, du verstehst nicht. Ich weiß einfach, dass es wahr ist“, beharrte sie.
„Susanne. Das bildest du dir nur ein. Schau, ich weiß doch, wie schwer es dir gefallen ist, die Kinder auf Klassenfahrt zu lassen. Du hast nur schlecht geträumt, weil du dich nicht von ihnen trennen kannst. Du erträgst es nicht, sie nicht bei dir zu haben“, versuchte Ralf seine Frau zu beruhigen.
„Ich weiß, dass es einen Unfall gegeben hat. Warum glaubst du mir denn nicht?“
„Weil...na ja, weil es ein Traum war. Bist du jetzt neuerdings Nostradamus, oder was?“, entgegnete Ralf ärgerlich.
„Du kannst mich mal!“, rief Susanne und sprang aus dem Bett. An Schlaf war nun ohnehin nicht mehr zu denken. Sie warf sich ihren Morgenmantel über und ging ins Wohnzimmer. Ralf verdrehte die Augen und kuschelte sich wieder in die warme Decke. Augenblicklich schlief er ein. Immerhin war es halb vier, mitten in der Nacht.

Susanne griff derweil nach der Telefonliste, die sie vom Klassenlehrer ihrer Kinder Berta und Louis ausgehändigt bekommen hatte. Darauf stand die Adresse der Pension in Österreich, die den Kindern die nächsten fünf Tage ein Zuhause sein sollte, sowie die Telefonnummern sämtlicher Eltern und die Nummer des Busunternehmens, das die Reisenden beförderte. Sie zögerte kurz und wählte dann mit zitternden Fingern den Anschluss des Busunternehmens. Ein Anrufbeantworter teilte ihr freundlich mit, dass sie außerhalb der Bürozeiten anrief. Doch dann wurde für Notfälle eine Handynummer genannt.Es klingelte bestimmt zwanzig Mal, bis jemand den Anruf entgegen nahm.
„Ja, Schiller“, brummte es verschlafen an Susannes Ohr.
„Guten Tag. Hier spricht Susanne Ketter. Meine Kinder sind im Moment mit Ihrem Unternehmen nach Österreich unterwegs. Ich wüsste gerne, ob sie schon heil angekommen sind“, sprudelte sie hervor.
„Gute Frau, wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?“, ächzte der Angerufene ärgerlich.
„Ich weiß, aber ich mache mir Sorgen.“ Wohlweislich verschwieg sie ihren Traum.
„Hören Sie. Ich kann nichts für Sie tun. Der Busfahrer wird sich bei mir melden, sowie er den Rückweg antritt. Davor wird er, da er die ganze Nacht durchfährt, in der Pension ein paar Stunden schlafen, den Bus überprüfen und dann bei mir anrufen. Ich schätze, dass er das nicht vor 15 Uhr morgen Nachmittag tun wird und ....“
„Ich weiß, aber es ist wichtig. Es hat einen Todesfall bei uns in der Familie gegeben und ich muss die Kinder darüber informieren. Geben Sie mir doch bitte die Handynummer des Busfahrers.“ Susanne wunderte sich über sich selbst, wie schnell ihr diese Notlüge über die Lippen kam. Dabei schoss ihr die Schamesröte ins Gesicht und sie kam sich auf einmal sehr töricht vor.
„Oh...Das ist natürlich etwas anderes. Das tut mir leid. Warten Sie einen Moment, ich suche die Nummer heraus“, erwiderte Herr Schiller. Susanne hörte Geraschel von Papier, dann räusperte sich der Mann und nannte ihr die Nummer des Busfahrers. Susanne bedankte sich und beendete das Telefonat. Kurze Zweifel keimten in ihr auf, ob sie den Bogen nicht überspannt hatte. Wegen eines Traums eine solche Aufregung zu verbreiten und zu lügen. Doch intuitiv wusste sie, dass sie das Richtige tat. Sie rief den Busfahrer an. Das Telefon klingelte, niemand meldete sich. Susanne entschied, es zunächst bei der Pension zu probieren. Dort nahm bereits jemand nach dem zweiten Läuten ab. Es war vier Uhr.
„Pension Holler, Sie sprechen mit Frau Burmüller“, sagte jemand in breitestem österreichischen Dialekt.
„Guten Morgen, hier spricht Susanne Ketter. Sagen Sie, sind die Gäste aus Deutschland schon angekommen, die Schulklasse?“
„Naa, die sind` s noch net da“, erwiderte die Frau.
„Wann hätten sie denn kommen sollen?“, wollte Susanne alarmiert wissen.
„Vor zwo Stund`. Aber jetzt, wo Sie` s sag` n. Die sind spät.“
„Frau Burmüller. Ich werde jetzt nochmals versuchen, den Busfahrer zu erreichen. Rufen Sie die Polizei an und fragen Sie, ob es einen Unfall gegeben hat. Und bitte“, ergänzte sie, „fragen Sie mich nicht, warum ich das von Ihnen verlange.“
„Naa, scho guat. I mach` s einfach.“
„Danke“, sagte Susanne und legte auf. Wieder versuchte sie, den Busfahrer ans Handy zu bekommen. Dieses Mal klingelte es nur fünf Mal, dann keuchte eine Stimme: „Wer immer Sie auch sind...Polizei anrufen...Unfall auf der Landstraße...zwischen...“, dann brach die Verbindung ab.
Susanne wählte erneut, doch das Klingeln verhallte scheinbar ungehört. Sie rief bei dem Polizeirevier in ihrer Stadt an und schilderte das Telefonat mit dem Busfahrer. Der wachhabende Beamte fragte sachlich die Details ab. Er versprach, sich umgehend zu melden, wenn es Neuigkeiten gäbe. Susanne blieb nichts zu tun, außer zu warten. Ruhelos lief sie vor dem Telefon auf und ab, kaute auf ihren Fingernägeln und aus der anfänglichen Ahnung wurde langsam Gewissheit. Sie hatte den richtigen Riecher gehabt. Es hatte einen Unfall gegeben! Die Zeit verrann wie zäher Schleim. Susanne weckte Ralf zum zweiten Mal diese Nacht und erzählte ihm hektisch was vorgefallen war. Ralf schämte sich. Einerseits konnte er immer noch ganz verstehen, was seine Frau da mitten in der Nacht für einen Affentanz veranstaltete, aber andererseits glaubte er ihr und hatte ein schlechtes Gewissen, weil er so unsensibel gewesen war. Tröstend schloss er sie in die Arme und drückte sie an sich. Wenig später saßen sie gemeinsam auf dem Sofa im Wohnzimmer und warteten auf Nachricht. Als endlich das Telefon klingelte, zuckten sie zusammen. Susanne griff zum Hörer.
„Ketter.“
„Hier ist Polizeiwachtmeister Huber. Ich rufe aus Österreich an. Die deutschen Kollegen haben uns verständigt. Und eine Pensionswirtin rief auch an. Wir konnten das Handy des Busfahrers per GPS orten und die Lage exakt bestimmen. Es hat einen Unfall mit zwei Schwerverletzten gegeben. Ein Wunder, dass nicht mehr geschehen ist. Einer der Lehrer und ein Kind haben ziemlich schwere Blessuren. Sie werden ins Krankenhaus gebracht und...“
„Welches Kind hat schwere Verletzungen?“, unterbrach Susanne den Mann.
„Es handelt sich nicht um eines ihrer Kinder. Die Eltern rufen wir gleich an. Die Kinder, die nicht im Krankenhaus bleiben müssen werden morgen nach Hause zurückgefahren. Aber sagen Sie, wie konnten Sie das wissen? Nachweislich haben Sie den Busfahrer das erste Mal um 04:03 angerufen, kurz nachdem der Unfall passiert war. Außerdem geschah dieser an einer Stelle, die man nur sehr schwer einsehen kann. Die Reisegruppe hat großes Glück gehabt, dass Sie die Kollegen aus Deutschland informiert haben, ansonsten wäre das nicht so glimpflich ausgegangen. Wir konnten sehr schnell erste Hilfe leisten und mehrere Krankenwagen anfordern. Wie also haben Sie das gewusst?“, wollte der Polizist wissen.
„Man sagt doch so schön, dass die wichtigsten Dinge im Leben unsichtbar sind. So auch die Liebe einer Mutter zu ihren Kindern, der sogenannte Mutterinstinkt.“

Susanne war ĂĽberglĂĽcklich, denn sie spĂĽrte jetzt, dass es ihren Kindern gut ging.

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