Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
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Oktober 2005
Der Heckenschütze
von Fabian Lindner

Er streifte durch die Wälder, der Tarnüberwurf machte ihn so gut wie unsichtbar. Locker ruhte das ebenfalls mit einer Tarnung verzierte Scharfschützengewehr in seinen Händen. Es war fast genau so wie früher, nur der Wald war anders. „Nein es war genau so wie früher, was heißt hier früher, es gibt kein früher, es war genau so wie es immer war.“ sagte ihm eine innere Stimme. Ein leises Knacken, von einem brechenden Ast der auf dem Boden lag, ertönte, wie angewurzelt blieb er stehen, bewegte keinen Muskel, atmete ganz flach, blinzelte nicht einmal. Wenn er sich bewegte konnte man ihn sehen, er musste unsichtbar bleiben, davon hing sein Leben ab. „Nicht nur das Leben, auch die Mission, nichts ist wichtiger als die Mission. Siegen bedeutet Leben.“ schoss es ihm durch den Verstand. Langsam, Millimeter für Millimeter, drehte er seinen Kopf in Richtung des Geräusches. Er entspannte sich, als er ein Reh ausmachte. Langsam pirschte er weiter, in gebeugter Haltung, in unregelmäßigen Abständen pausierend. Er hatte gelernt wie man unsichtbar wurde und wie man es blieb. Er war ein Heckenschütze, nicht irgendeiner, sondern der Beste. Hier war er zu Hause, auf den blutigen Schlachtfeldern des Krieges, ein Geist, ein Schatten, unsichtbar und tödlich.

„Hat man inzwischen eine Spur von Simmons?“
„Ich fürchte nein, aber ein Armyshop meldet, man hätte dort eingebrochen.“
„Und was hat das mit Simmons zu tun?“
„Es wurden ein dutzend Feldrationen, eine Feldflasche, ein M24 Scharfschützengewehr mit Zielfernrohr, zwei Schachteln 7,62mm Nato Patronen, ein Kampfmesser, ein Paar Armeestiefel, Tarnkleidung und einen Überwurf wie ihn Scharfschützen verwenden, gestohlen. Das sind genau die Sachen, die sich Simmons besorgen würde wenn....“ Der Mann ließ das Ende des Satzes offen.
„...wenn seine Psychopharmaka aufhören würden zu wirken und er wieder seine Wahnvorstellungen bekommt.“ Der Einsatzleiter blickte in die Unterlagen, die ihnen von der psychiatrischen Klinik, in der Simmons in der geschlossenen Abteilung bis zu seinem Verschwinden untergebracht worden war, zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Scharfschütze der Army im Vietnamkrieg, Dutzende von Auszeichnungen und Belobigungen wegen aller Hand Einsätze, die hier nur als geschwärzte Balken in den Akten auftauchten, also alles Top-Secret-Sachen. Vor zwei Jahren war seine Frau bei einer Bandenschießerei umgekommen, einen Monat später unehrenhafte Entlassung aus der Army, zwei Wochen danach verhaftet wegen mehrfachen Mordes und eingewiesen in die Psychiatrie. Die Diagnose: schweres emotionales Trauma, Wahnvorstellungen, irgendwas von wegen er fantasiere, er wäre immer noch in Vietnam, so viel konnte er aus dem Fachchinesisch der Psychiater herauslesen. Im Endeffekt lief das Ganze darauf hinaus, dass Simmons ein eiskalter, professioneller Veteran war, der dermaßen einen Knacks hatte, dass er durch die Wälder schlich und mit Präzisionsgewehren jeden unter Beschuss nahm der seinen Weg kreuzte, weil er glaubte er wäre immer noch in im Dschungel irgendeines Dritte Welt Landes. Bisher hatte die Sache noch keine Toten gefordert, doch es war nur eine Frage der Zeit bis dieser Psycho im Wald auf ein paar Wanderer oder Jäger stoßen und er sie einen nach dem anderen erschießen würde, wenn man ihm nicht zuvor kam. Und zu allem Überfluss wollte der Bürgermeister, dass die Aktion möglichst unauffällig ablief, um die Touristen von denen die Stadt lebte nicht zu vergraulen, weswegen es ihm weder möglich war die Gegend zu evakuieren noch mit, mit Wärmebildkameras ausgerüsteten, Hubschraubern zu überfliegen.

Die Polizisten, allesamt in ziviler Kleidung als Jagdgruppe verkleidet um die Touristen nicht zu verschrecken, stapften durch das dichte Unterholz des Waldes. Ein leiser Knall ertönte und einer der Männer stürzte blutend zu Boden. Die anderen Polizisten gingen in Deckung oder zumindest versuchten sie es. Die Tatsache, dass der Schütze überall sein konnte, weil niemand das Mündungsfeuer gesehen hatte, noch genau gehört hatte von wo der Schuss ungefähr hergekommen war, machte es schwer wirkungsvoll Schutz zu suchen. So wurde auch ein Zweiter nur Sekunden später von einem Geschoss niedergestreckt. Nun wussten sie woher der Schuss kam, doch wo der Schütze war, das sahen sie immer noch nicht. Da waren nur Bäume und Sträucher so weit das Auge reichte. Nichts bewegte sich, nur ein lauer Wind ließ die Blätter rascheln. Niemand war zu sehen und doch waren sie sich sicher, dass dort der Heckenschütze lauerte. Für so etwas waren sie nicht ausgebildet worden. Sie waren auf wild um sich ballernde Jugendliche vorbereitet, nicht auf einen Schützen der auf hunderte von Metern präzise seine Ziele traf und vor allem nicht auf einen echten Profi, der genau wusste was er tat. Anstelle einfach weiter zu feuern wie ein normaler Gangster es tun würde, wartete Simmons einfach nur. Er hatte alle Trümpfe in der Hand und dessen war er sich bewusst. Sie hatten keine Ahnung wo er genau war. Ihre Bewaffnung war nicht für Kämpfe auf diese Distanz ausgelegt, seine Waffe dagegen schon und er wusste seine Waffe effektiv zu nutzen. Aber noch gab es eine Chance die Verhältnisse zu ihren Gunsten zu kippen. Der Kommandant der Gruppe griff nach seinem Funkgerät und rief die Zentrale. „Wir brauchen Verstärkung. Er hat zwei unserer Jungs erwischt. Wir sind in...“ Er schaute kurz einen seiner Kollegen an, der eine Karte der Gegend aus der Tasche riss und ihm schnell die genaue Position sagte. „Planquadrat B-7, ungefähr fünf Minuten südlich der Weggablung. Der Irre ist irgendwo östlich von uns.“ Er lauschte kurz auf die Antwort. „Scheiße! Die Beiden sterben mir hier weg, bis ihr da seid“, erwiderte er aufgebracht, während er auf die beiden stark blutenden und nur notdürftig versorgten Männer blickte.

Simmons lag ruhig im Gebüsch und beobachtete seine Ziele. Wie sie da ängstlich im Wald kauerten, versuchten sich vor seinem Gewehr zu verstecken, auf eine geradezu primitive und unfähige Art. Das mussten irgendwelche Rekruten sein und keine erfahrenen Soldaten, irgendwie fühlte er sich beleidigt, dass man ihm keine besseren Gegner entgegensetzte. Doch dann erkannte er den Schachzug, er war so einfach und doch so wirkungsvoll, sie nagelten ihn fest indem er sie festsetzte, es war ein Patt, sie opferten einen Bauern um ihn aus dem Spiel zu nehmen, bis sie die richtigen Figuren in Position hatten um ihn auszuschalten. Aber so dumm war er nicht. Der Trick funktionierte nur wenn er den Bauern ausschaltete, jeder andere Zug würde die Falle ins Leere laufen lassen, den Ausgang des Spiels wieder auf unbestimmt setzen. Also robbte er einfach rückwärts, sehr langsam ständig unterbrochen von Pausen, mal kurz mal lang, immer im Rhythmus mit dem leichten Wind bleibend damit seine Geräusche unhörbar im Hintergrundlärm untergingen.

Die Beamten näherten sich der unter Feuer geratenen Gruppe ihrer Kollegen von Osten her, in der Hoffnung Simmons so in den Rücken zu fallen. Doch als sie sich ihren Kollegen auf Sichtweite genähert hatten, mussten sie feststellen, dass Simmons längst nicht mehr dort war wo er hätte seien sollen. Stattdessen gerieten auch sie unter Beschuss, einer der ihren brach zusammen. Erneut wurde über Funk nach Verstärkung gerufen. Diesmal waren sie vorbereitet, weitere ihrer Kameraden waren breit aufgefächert im näheren Gelände verteilt. So begann die Treibjagd auf Simmons.

Simmons hetzte durch die Strauchlandschaft am Ufer des Flusses. Sie hatten ihn entdeckt, nun musste er sich zurückziehen, untertauchen und erneut zuschlagen. Für einen offenen Kampf war er nicht gewappnet. Auf der rechten Seite war der Fluss, zu breit zu tief und zu reißend um ihn ohne entsprechende Ausrüstung oder in kurzer Zeit zu überwinden. Auf der linken Seite und in seinem Rücken war der Feind, sie trieben ihn immer weiter, zu dicht formiert als dass er zwischen ihnen durchschlüpfen könnte. Er konnte nur noch weiter vorwärts, bis es ihm möglich war den Fluss zu überqueren oder er die Truppen auf seiner Flanke umgehen konnte. Vor ihm war ein Rauschen zu vernehmen, das sich allmählich zu einem Tosen steigerte. Bald erreichte er den Wasserfall. In silbrigen Kaskaden ergoss sich das Wasser in die Tiefe, die Klippen waren steil, aber er hatte keinen Zweifel, dass er sie herabsteigen konnte, nur ob er die Zeit für einen Abstieg hatte, dass war eine andere Frage. Seine Verfolger waren bedrohlich nah gekommen. Er stand direkt an der Klippe, als hinter ihm die ersten Polizisten aus dem Dickicht brachen. Hätte der Wasserfall nicht so gelärmt, hätte er sie längst gehört und handeln können, aber das ohrenbetäubende Rauschen hatte jedes Geräusch übertönt, das seine Häscher verursachten. Simmons riss sein Gewehr an die Schulter, drückte den Abzug durch, betätigte den Repetiermechanismus und schoss ein zweites Mal ohne überhaupt genau zu zielen. Beide Schüsse trafen ihre Ziele, zwar keine sauberen Treffer, doch gut genug um sie kampfunfähig zu machen. Bevor er jedoch ein drittes Mal feuern konnte, spürte er einen stechenden Schmerz in der linken Schulter. Er zuckte reflexartig zurück, erst jetzt sah er den Mann, der mit erhobener Waffe leicht seitlich von ihm stand und der ihn angeschossen hatte. Dann verlor Simmons den Kampf gegen die Schwerkraft, den er ausfocht seitdem er zurückgezuckt war, stürzte in die Tiefe und verschwand im rauschenden Wasser.

„Unsere Teams durchkämmen seit zwei Tagen die Gegend, Taucher suchen den See und Fluss ab, aber immer noch keine Spur von Simmons.“
„Er ist tot. Kein Mensch hätte diesen Sturz überstanden und selbst wenn, er wäre ersoffen, mit dem schweren Tarnzeug und der Schusswunde hätte er sich unmöglich über Wasser halten können. Die Strömung hat seine Leiche weggespült bis wer weiß wohin. Brechen sie die Suche ab.“ entgegnete der Einsatzleiter und klappte die Akte von Simmons zu, die immer noch auf seinem Schreibtisch lag. Er hatte ein ungutes Gefühl, so als würde Simmons noch leben, doch der Bürgermeister hatte seinem Vorgesetzten Feuer unterm Hintern gemacht und sein Vorgesetzter hatte ihm empfohlen, oder sollte man sagen befohlen, die Suche zu beenden.

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