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November 2005
Der Fisch lebt
von Klaus Eylmann

“Bom dia a todos.” Allen einen guten Tag. Henry ließ das Grammatikbuch fallen und legte die letzte Angel aus.
Henry machte Urlaub am See vor seinem Haus. Er hatte ein Jobangebot fĂŒr Lissabon, das er nie annehmen wĂŒrde. Verloren sah er auf das Buch hinab. Warum lernte er dann portugiesisch?
Eine Rute zitterte. Henry riss sie nach oben. Der Fisch zog Schnur von der Rolle, Henry kurbelte, der Fisch kĂ€mpfte, Henry kurbelte, der Fisch ermĂŒdete. Ein Karpfen, der nach einer halben Minute im Kescher zappelte. Henry entfernte den Haken und setzte den Fisch zurĂŒck. Henry tötete keine Fische. Toter Fisch. Henrys Gedanken schlugen einen Bogen zu Marion. Toter Fisch im Bett. Und Henry suchte nachts in Computerprogrammen nach Fehlern, die er in der Firma nicht hatte finden können. Toter Fisch, Bits und Bytes, im Bett. Was war Ursache, was Wirkung?
Auch Programmierer machten Urlaub. Nachts wĂŒrde er portugiesische Verbmodi durchgehen.
Henry packte sein Angelzeug zusammen und ging ins Haus. Hans saß vor dem Fernseher. Ein Zettel klebte am KĂŒhlschrank. “Bin bei Elsie.” Linda war noch in der Schule. Henry ging in die KĂŒche und wĂ€rmte eine Suppe auf.

“Was gibt es heute?”, fragte Linda spĂ€ter. “Mutter ist bei Elsie?”
“Erbensuppe. Ja.”
“Warum bemalt sie sich ihren Mund, wenn sie zu Tante Elsie geht?”, krĂ€hte Hans.
“Was?”
“Ich hab’s gesehen. Sie stand vorm Spiegel, malte ihren Mund rot an.” Das Telefon klingelte.
“Elsie hier. Tag Henry. Sag Marion bitte, dass ich auch nĂ€chste Woche nicht zu Hause bin.”
“Wo bist du?”
“Hat Marion es dir nicht erzĂ€hlt? Ich bin auf Sylt und habe um eine weitere Woche verlĂ€ngert.” Henrys Muskeln versteiften sich. Er starrte auf die Wand.
“Henry, hörst du mich?”
“Ja.”
“GrĂŒĂŸ Marion von mir.”
“Bemalter Mund.” Henry legte den Hörer auf die Gabel. “Toter Fisch mit bemaltem Mund.”
Er hörte sein hysterisches GelÀchter und wagte nicht weiter zu denken.
“Wann ist Mutti gegangen?”
“Um eins.” Hans sah vom Tisch hoch. “Was gefangen?”
“Zwei Karpfen.”

“Ich geh angeln. Kommst du mit?” Es war ein Tag spĂ€ter. Marion schĂŒttelte den Kopf. Sie trug Jeans, ein T-Shirt und Tennisschuhe. Haare fielen ĂŒber ihr fahles Gesicht, als sie ein Spielzeugauto vom Boden aufhob.
“Gehst du wieder zu Tante Elsie?” Hans packte das Auto in seine Spielzeugkiste. Henry hörte Marions Antwort, setzte sich in den Ford und fuhr ihn um die Ecke, stieg aus und ging die Straße zurĂŒck zur Kneipe am See, die dem Haus gegenĂŒber lag.
Henry saß vor dem dritten Bier und sah auf das Haus, die AnschlagsĂ€ule daneben, dann auf Marion, die aus der TĂŒr kam und zur Bushaltestelle stöckelte. Henry zahlte und setzte sich ins Auto. Marion stieg in den Bus. Henry fuhr hinter ihm her. Drei Haltestellen spĂ€ter stieg Marion aus.
“Elsie wohnt hier nicht. Elsie ist auf Sylt”, sagte er leise vor sich hin.
Marion sah sich nicht um, trotzdem hielt Henry Abstand. Er hatte den AutohÀndler vor sich, wÀhrend das Hotel dahinter Marion verschluckte.
Henry setzte sich in die Hotelhalle. GĂ€ste checkten ein.
“Raucher oder Nichtraucher?”
“Mit oder ohne FrĂŒhstĂŒck?”
“Ihre Zimmernummer ist... Wir wĂŒnschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.”
Henry beobachtete die FahrstuhltĂŒr. Er schien eins mit dem Sessel zu sein. Die Zeit quĂ€lte. Schließlich wurde seine Frau von einem vierschrötigen Mann aus der FahrstuhltĂŒr geschoben. Henry sah auf die Uhr. Zwei Stunden. Marion bezahlte. Henry erhob sich und stellte sich neben den Hoteleingang. Seine Frau hĂ€tte nicht bleicher werden können, als sie an ihm vorbei ging. Das Paar bewegte sich auf den Parkplatz zu. Henry folgte ihnen. Marion sprach mit dem Mann, der sich umsah, stehen blieb und auf Henry wartete. Sein Gesicht schien gerötet, sein Grinsen glich dem eines Haifisches. Er sagte: “Du hĂ€ttest besser auf deine Frau aufpassen sollen.” Eine Faust fuhr auf Henry zu, er spĂŒrte einen Schlag im Gesicht, dann nichts mehr.

Henry erwachte auf einem Röntgentisch. Der Brustkorb schmerzte, als Pfleger ihn auf die Trage wuchteten. Korridore, FahrstĂŒhle, Korridore, ein Zimmer, Schmerzen, ein Bett. Ein Arzt beugte sich ĂŒber ihn.
“Sie haben ein gebrochenes SchlĂŒsselbein, fĂŒnf kaputte Rippen und einen Pneumothorax. Sollen wir Ihre Frau verstĂ€ndigen?”
Henry nannte seine Telefonnummer. HÀtte er sagen sollen: Ist nicht nötig. Sie war dabei, als ihr Liebhaber mich zusammen getreten hat?
Eine andere Stimme kam von irgendwo her und eine blaue Uniform schob sich in Henrys Gesichtsfeld. Der Polizist nahm seine Personalien auf.
“Wie ist das passiert?”
“Der Mann kam auf dem Parkplatz auf mich zu und schlug mich zusammen.”
“Können Sie ihn beschreiben?”
“Mittelgroß, stĂ€mmig, dunkelhaarig, um die dreißig, grinst wie ein Haifisch.”
Der Mann verabschiedete sich. Er sei nicht in der Lage zu versprechen, dass sie bei der Personalknappheit den Fall aufklÀren könnten.
“Drehen Sie sich auf die linke Seite.” SchlĂ€uche kamen aus Henrys Bettnachbarn hervor, verschwanden in der Wand, in einer Flasche Kochsalzlösung, in einer mit Urin. Drei Frauen saßen stumm um ihn herum, zupften die Bettdecke zurecht, beobachteten den Arzt , der ein Loch in Henrys Brustkorb schnitt und einen Schlauch hinein schob.
Auf dem dritten Bett krakeelte ein Alter. Eine Frau strickte neben ihm.

Den Tag darauf wusste Henry, der Mann neben ihm hatte einen Motorradunfall, der Alte eine operierte HĂŒfte.
Henrys Kinder wurden von einer Krankenschwester herein gelassen.
“Wo ist eure Mutter?”
“Sie hat uns hergefahren und holt uns nachher wieder ab.” Eine Falte bildete sich ĂŒber Lindas Nase.
“Da war ein Mann in unserer Wohnung.”
“Was fĂŒr ein Mann?” Henrys Rippen schmerzten.
“So ein dicker”, krĂ€hte Hans. “Er war mit Mutti im Schlafzimmer. Sie hat gestöhnt und geschrien.”
“Sei still Hans.” Lindas Gesicht wurde kirschrot.
“Oh!, ah!”, rief Hans. “Sei still”, flĂŒsterte Linda.
“Oh!, ah! Und dann schrie ich auch. Mach auf, was machst du mit Mutti.”
“Und was hat sie gesagt?”, krĂ€chzte der alte Mann zwei Betten weiter.
“Komm nicht rein. Es ist alles in Ordnung. Er tut mir nichts.”
Linda flĂŒsterte in Henrys Ohr. “Ich glaub, der Mann und Mutti schlafen zusammen.”
“Und mit mir war sie wie ein toter Fisch”, brach es aus Henry hervor.
“Toter Fisch?”, fragte Hans. “Setzt du die denn nicht mehr zurĂŒck?”
Der Mann mit den SchlĂ€uchen drehte sich zu Henry: “Schlimme Sache”, röchelte er. “Da ist nix mehr zu machen. Nimm deine Kinder und mach ‘ne MĂŒcke.”

Nach einer Woche wurde Henry aus dem Krankenhaus entlassen. Sein Arm verschwand unter Bandagen. Marion wartete mit den Kindern im Auto.
“Kannst du fahren?” Henry konnte nicht lachen, nicht weinen.
“Vati, ich kĂŒmmere mich um dich.” Linda hatte wieder die Falte ĂŒber der Nase.
Hans rutschte unruhig auf seinem Sitz herum. “Mutti, kommt der Mann wieder vorbei?”
Und schlÀgt mich zusammen, dachte Henry.

Er kam nicht. DafĂŒr verschwand Marion jeden Nachmittag ein paar Stunden.
“Nimm die Kinder und mach ‘ne MĂŒcke.” Eine Nacht trĂ€umte Henry davon, wie sich tausend SchlĂ€uche aus seinem Körper ringelten, wĂ€hrend der Satz sich in einer Endlosschleife ĂŒber seine Gedanken legte.

Den Tag darauf setzte Henry die Mail an die Jobvermittlung ab, dann rÀumte er seine Konten, fuhr mit den Kindern zum Flughafen und verschwand.

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