Der Tod aus der Teekiste
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November 2005
Heimlich und unbemerkt
von Ingeborg Restat

Silvester, die Kirchenglocken läuten, die ersten Raketen zischen zum Himmel hoch. Überall auf der Straße wird geknallt, auch vor dem Haus von Bernd und Betti.
„Prost Neujahr!“, rufen sie wie aus einem Mund zusammen mit ihrem langjährig befreundeten Ehepaar Leo und Liane, während sie mit erhobenen Sektgläsern um einen Tisch stehen und miteinander anstoßen. „Alles Gute fürs neue Jahr!“, wünschen sie sich gegenseitig. Dabei ein Gewohnheitskuss bei den Ehepartnern, ein Schlag auf die Schulter mit kurzer Umarmung der Männer untereinander und von den beiden Frauen ein Küsschen hier, ein Küsschen da, die Reihe herum.
„Auf unsere Freundschaft!“, erhebt Leo sein Glas.
„Möge sie sich auch im neuen Jahr so bewähren wie im alten“, ruft Bernd aus.
„Darauf einen Schluck!“, stimmen die Frauen zu.
Danach ziehen sie sich warm an und drängen hinaus in den Garten, um ihr Silvesterfeuerwerk abzubrennen. Sie stecken die Raketen in den Schnee und lassen sie in die Winternacht aufsteigen. Eine nach der anderen durchbricht die Dunkelheit und zaubert eine feurig sprühende Fontäne am sternenklaren Himmel, vom „Ah!“ und „Oh“ der Frauen begleitet. Als Bernd die letzen Knaller loslässt, verschwindet Leo ins Haus.
„Ich hole mal die Pfannkuchen aus der Küche“, sagt Betti kurze Zeit später und geht ebenfalls hinein.
Bernd schaut ihr nach, bis er sie nicht mehr sehen kann. Er zündet die letzte Sonne an einem Baum an und zieht Liane hinter die Gartenlaube. Während die Sonne abbrennt und ihr strahlendes Licht zischend aufleuchtet, umfängt er Liane in inniger Umarmung. „Liebes, alles Gute zum neuen Jahr.“
„Dir auch, Liebster!“
„Ich kann es kaum erwarten, endlich mit dir allein zu sein. Bald sieben Tage, eine ganze Woche nur für uns in den verschneiten Bergen. Liane, das ist wie ein Traum.“
Eng umschlungen verharren sie. Die Lippen brennen, wollen sich nicht mehr voneinander lösen. Stimmen kommen näher. Leo und Betti kehren zurück. Hastig trennen sich Bernd und Liane voneinander und treten hinter der Laube hervor. Sie tun so, als sammelten sie die abgebrannten Feuerwerkskörper ein. Verstohlen zieht Liane ihre verrutschte Jacke zurecht und streicht ihre Haare glatt. Bernd sieht sich prüfend um, haben die andern etwas gemerkt? Nein, er atmet auf.
Man sitzt noch ein Weilchen zusammen, trinkt Sekt, isst etwas und redet über dies und über das. Schließlich wird Bernd bedauert, weil er für ein paar Tage zu diesem langweiligen Seminar ins graue, gar nicht winterliche Hamburg fahren muss, während in den Bergen im Süden das herrlichste Wetter voller Sonne und Schnee herrscht.
„Wisst ihr, wo man jetzt sein müsste? Im Bodetal. Könnt ihr euch erinnern? Wir haben mal einen Ausflug im Winter dahin gemacht. Traumhaft war es gewesen. In dem Gasthaus dort haben wir sogar besonders gut zu Mittag gegessen. Aber leider, leider! Ich kann hier nicht weg und du musst nach Hamburg“, stichelt Leo.
Bernd sieht zu Liane. Verrät sie sich? War vielleicht keine gute Idee gewesen, mit ihr ausgerechnet dorthin zu fahren, während die andern denken, er sei in Hamburg. Aber sie hatte es sich so gewünscht und er hatte ihr die Freude machen wollen.
„Und du fährst auch bald weg, zu deiner Cousine. Ist es so dringend?“, fragt Betti und lächelt ihre Freundin an.
„Ja, sie hat mich darum gebeten, ihr beim Umzug zu helfen.“ Liane schafft es zu lügen, ohne rot zu werden.
„Wie lange bleibst du?“
„Das weiß ich noch nicht“, weicht Liane der Frage aus und sieht Hilfe suchend zu Bernd.
Der erkennt ihre Verlegenheit und will ablenken. „Dann hast du ja eine sturmfreie Bude, Leo. Pass nur auf deinen Mann auf, Liane“, wagt er zu scherzen.
Hätte er das nur nicht gesagt. Das Blut steigt Liane zu Kopf. Aber zum Glück lachen Leo und Betti darüber so unnatürlich laut, dass sie gar nicht darauf achten.

Schon in den ersten Tagen des neuen Jahres packt Liane ihren Koffer und Leo bringt sie zum Bahnhof. Bernd verabschiedet sich von Betti und fährt mit dem Auto los. Schon an der ersten Bahnstation außerhalb der Stadt hält er an und wartet auf Liane. Sie steigt dort wieder aus dem Zug und zu ihm ins Auto. Glücklich beieinander zu sein, fahren sie den Bergen und einer heimlich erstohlenen Zweisamkeit entgegen.

Endlich sind sie zu zweit. Sie müssen sich nicht mehr verstellen, niemanden belügen. Sie sind ein Paar, für ihre Umgebung ein Ehepaar. Losgelöst aus dem Alltagstrott vergessen sie ihre, in den Gewohnheiten langer Jahre erstickten Ehen, mit allen Streitereien. Sie albern im Schnee herum wie Kinder. Sie sehen sich an, frei und glücklich lachend. Die Welt um sie herum wird unwichtig. Sie wälzen sich in heißer Glut vereint in der Nacht und fallen von der Leidenschaft erschöpft wieder auseinander.
„Ich möchte ewig mit dir so ...“, flüstert er.
„Pst!“ Sie legt ihm den Finger auf den Mund. „Ich auch, aber du weißt, es hängt zu viel daran. Denke an den für mich ungünstigen Ehevertrag, und Betti kann auch zu viel geltend machen. Das würde ein harter Rosenkrieg werden, bei dem wir nur verlieren können. Wer weiß, ob uns das am Ende glücklicher machen würde, als wir es jetzt in aller Heimlichkeit sind.“
„Du hast ja leider Recht.“ Bernd seufzt und zieht sie eng an sich. So schlafen sie ein.

Am nächsten Morgen erwachen sie, von eindeutigen Geräuschen aus dem Nebenzimmer geweckt. Schlaftrunken murmelt Liane: „Die hatten wohl gestern keine Zeit mehr dazu, so spät, wie sie angekommen sind“ und dann hellwach: „Himmel! Die haben es aber nötig.“
„Was denn, können die es etwa besser als wir?“ Bernd grinst, greift nach Liane und zieht sie zu sich herüber.
Als sie sich wieder voneinander lösen, rauscht nebenan bereits das Wasser im Duschbad.

Heller Sonnenschein lässt den Schnee glitzern. Eine verträumte, verzauberte Landschaft vor dem Gasthaus lädt ein, unter Schnee bedeckten Bäumen durch den Wald zu wandern, mit Skiern durch die Berge zu laufen oder mit einem Schlitten die Hänge hinunterzurodeln.
„Es kann nicht schlecht sein, was wir tun, wenn es das Wetter mit uns so gut meint“, sagt Liane leise, als sie auf den vom Sonnenschein durchfluteten Frühstücksraum zugehen. Wie Halt suchend greift sie nach Bernds Hand.
Er drückt sie sanft und fragt: „Hast du ein schlechtes Gewissen?“
„Nein!“ Sie schüttelt ihren Kopf.
„Ich habe es mir nicht ausgesucht, dich zu lieben.“
„Ich auch nicht.“
„Sieh mal, solange Leo und Betti nichts von uns wissen, tut es ihnen auch nicht weh. Und dafür werden wir doch sorgen, dass sie es nie erfahren, nicht wahr? Auch wenn ich wahnsinnig werde, sobald ich dich in seinen Armen weiß.“
„Das ist auch für mich nicht so einfach, denn du ...“, will Liane antworten, da kommt die Wirtin auf sie zu, ein Tablett mit Frühstücksgeschirr vor sich her jonglierend. „Bitt schön! Es san so viele Leut kommen bei dem schönen Winterwetter, da hab i ein Ehepaar zu Ihnen an den Tisch gesetzt. Ist doch recht, gell?“
„Natürlich! Das macht nichts“, antwortet Bernd gut gelaunt.
„Dank schön!“ Die Wirtin eilt weiter in die Küche.
Bernd und Liane hören noch, wie sie zu jemand darin sagt: „Ja mei, so jung san die beiden nimmer, aber umgehen tun’s halt miteinander, als wären’s grad verliebt.“
Lächelnd umfasst Bernd Liane und küsst sie flüchtig. „Weil für uns immer nur Sonntag sein kann, wenn wir zusammen sind, und uns nie ein Alltag stört,“ sagt er leise.
Dann zieht er sie mit sich weiter zum Frühstücksraum. Von der Sonne geblendet bleiben sie einen Moment stehen. An das helle Licht gewöhnt, schauen sie sich um. Das andere Ehepaar sitzt bereits an ihrem Tisch. Der Mann legt gerade liebevoll seinen Arm um seine Frau und drückt sie fest an sich, so dass sie verliebt auflacht. Er küsst sacht ihr Haar; sie streicht ihm zärtlich eine Strähne aus dem Gesicht.
Wie erstarrt verharren Bernd und Liane.
Das Paar an dem Tisch dreht sich um, als würden sie ihre entsetzten Blicke spüren. Ihnen bleibt der Bissen im Mund stecken.
Es sind Leo und Betti.

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