Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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November 2005
Jetzt
von Thom Delißen

Er ging die Maxwell-Avenue hinunter, einer von vielen tausend Angestellten, sah so aus wie alle. Graumeliertes Haar, blau gestreiftes Hemd, dezente Krawatte, ein grauer Boss-Anzug, schwarze Halbschuhe, der dünne Aktenkoffer. („Ich bin keiner von denen, die Papier schleppen müssen, mein Gehirn zählt. Mein Können ...“)
Dort vorne die Rolltreppe, er ließ sich mitspülen, in der Masse der Menschen. Rechts stehen, links gehen. Er hatte es nicht eilig, blickte trotzdem auf die Uhr.
Als er mit der zweiten Treppe ein Stückchen tiefer in den Untergrund fuhr, musste er einen Augenblick lang mit einer Welle der Übelkeit kämpfen. Warme, verbrauchte Luft strömte herauf, durchsetzt mit allen (möglichen) Duftpartikeln des menschlichen Lebens.
Parfüm, Schweiß, Knoblauch, Menstruationsblut, Wein und Bier, Scheiße.
Auf dem Bahnsteig Körper dicht an dicht. Drängeln in der Eingangstür der U-Bahn.
Es ist später Nachmittag, ein Betrunkener kauert in einer Ecke des Wagens auf dem Boden, kotzt leise.
Er hat einen Fensterplatz, sitzt, die Beine übergeschlagen, da, starrt in die Spiegelbilder der Scheibe.
Ein guter Tag. Bis vor zwei Stunden.
Heute morgen der Deal mit den Japanern, mittags ein sehr positives Gespräch mit einer tschechischen Firma. Anerkennung und Lob.
Gestern, das Zeugnis seines Sohnes, des kleinen Jonas, überdurchschnittlich.
Vorgestern die ersten Schritte von Melanie, dem Töchterchen, auf Video dokumentiert.
Die letzte Nacht, herrlich entspannend, wohltuend mit seiner Frau im Bett.
Ihre Beziehung wieder gekittet.
„Die Wechseljahre, ich sehe es ein. Ich liebe Dich trotzdem. Lass es uns noch einmal probieren.“
Das waren ihre Worte gewesen, damals vor drei Jahren. Und es hatte funktioniert.
(„Alles nur eine Frage der Einstellung!“)
Aussteigen. Den Betrunkenen, der in seinem Erbrochenen schläft, hinter sich lassen.
Die Stufen hinauf, keine automatische Treppe diesmal. Zweigbahnhof, Schienenstranggewirr.
Er blickt wieder auf die Uhr. Zeit.
Oben auf der großen Plattform mit den beiden Gleisen, wie eine Bohrinsel inmitten all der Schienen, sucht er sich Platz auf einer der Metallgitterbänke.
Die Schmerzen in den Hoden, der Leberfleck auf seiner Stirn. Der Arztbesuch.
Er erhebt sich, geht den Bahnsteig auf und ab. Auf der Anzeigetafel steht „Nicht einsteigen“
Blick auf das Handgelenk, der Minutenzeiger bewegt sich auf Halb zu.
Heute Nachmittag, vor zwei Stunden:
„Nun, Herr ... Also. Wir haben Ihr Blut untersucht und ich muss Ihnen mitteilen, ja...“
Der Arzt mit der dicken Hornbrille hatte sich geräuspert. „ Da ist etwas, was da nicht sein sollte.“
Leises Vibrieren der Schienen, hier auf dieser Seite. Pünktlich, nahezu auf die Sekunde pünktlich. Der Eilzug nach Hamshire.
Leises Dröhnen, das lauter wird.
„Sie sind mit HIV infiziert, die Krankheit ist ausgebrochen. Sie kennen die Übertragungs-wege? Hatten Sie mit jemandem Kontakt, in letzter Zeit? Ich meine nicht, wo Sie sich angesteckt haben.“ Der Arzt sah ihn kalt an. „Das ist mir egal. Ich meine wen Sie angesteckt haben könnten.“
Er sieht erneut auf die teure Armbanduhr. Der Zug ist zu sehen, der pfeilförmige, rotschwarze Triebwagen des ICC.
Ein großer Schritt vom Rand nach vorne.
JETZT!

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