Mainhattan Moments
Mainhattan Moments
Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Anita Handlbaur IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
November 2005
Lebensmüder Seitensprung
von Anita Handlbaur

Ich sitze in meinem Lehnstuhl, lasse unsere Ehe Revuepassieren. Heute ist unser fünfundzwanzigster Hochzeitstag.
Wie eine wilde Fahrt mit der Achterbahn, steil hinauf, rasant in die Tiefe brausend, um dann mühsam wieder empor zu klettern. Dieser Vergleich trifft es exakt. Den Vorfall vor einigen Jahren, ich werde ihn wohl niemals vergessen können.

***

Ich streiche über meinen Dreitagebart. Versteinerten Blicks mit scheinbar kalter Miene. Was soll ich hierauf antworten. Es ist ein Schlag in die Eingeweide. Die Worte hallen wie ein Echo in meinem Kopf, immer wieder derselbe Satz. „Es tut mir leid, ich hatte zuviel getrunken, ich wusste nicht was ich tat.“ Der Alkohol. Ja klar der ist hier schuld. Ich stehe auf, kann den Anblick meiner Frau nicht ertragen. Wie kann sie es wagen.
„Ich gehe auf ein Bier.“
„Ja klar, jetzt gehst du auf ein Bier. Wie immer, allem Übel aus dem Weg gehen.“
„Was erwartest du von mir?!“
„Ich“, ihre Stimme schwankt. Da sitzt sie, wie ein Häufchen Elend, den Kopf zwischen den Armen und heult Bäche auf unseren Kiefermassiv Couchtisch. Fast tut sie mir leid. Ich drehe mich um, verlasse ohne einen weiteren Kommentar die Wohnung. Bloß raus hier. Mir fehlt die Luft zu atmen, viel zu stickig ist sie, beinah zum Schneiden dick.

Sabine steht hinter der Bar und zapft mir eine „Kühle Blonde“. Ich mustere sie mit traurigem Blick. Die blonden Locken fallen ihr kess ins Gesicht. Ihre Augen lachen mich an, das strahlende Blau verzaubert mich. In Gedanken male ich mir, wie so oft, aus: wie es wäre, wenn ich mit ihr nach Hause gehe. Sie ist absolut mein Typ. Derartige Bilder entspringen nur meiner Fantasie. Ich lächle Sabine an und spendiere ihr einen Drink.
„Du siehst mitgenommen aus, was ist dir über die Leber gelaufen?“
„Rosi. Meine Frau.“
„Oh. Kann ich dir helfen?“
„Wohl kaum. Nein!“ Ich habe keine Lust darüber zu reden. Fühle eine Wut in mir, der Schmerz sitzt tief. Ich betrachte mein Bier. Alkohol. Der Schuldige. Ich lache innerlich auf. Wenn man nicht einer Person die Schuld zuschanzen kann, müssen Dinge herhalten. Es ist doch nicht die Frage, wer oder was? Es ist geschehen, das ist die Tatsache. Nun gilt es der Ursache auf den Grund zu gehen. Vielleicht habe ich ja zu der Misere beigetragen. Wie oft klagt Rosi über mich: „Du hörst mir nie zu! Wieso nimmst du mich nie in den Arm? Hast du mich denn überhaupt lieb?“ Ich habe gerne meine Ruhe, wenn ich von der Arbeit nach Hause komme. Selbst das „Ich hab dich lieb.“ – Kuss - Klingt mechanisch, ja automatisch. Der Alltag verschlingt unsere Liebe, sie ist eingeschlafen. – Ach herrje – Plötzlich kann ich meine Frau verstehen.
Langsam mache ich mich auf den Heimweg, überlege, was ich denn nun wirklich will.

Als ich nach Hause komme, finde ich Rosi in ihren Sachen wühlend vor. „Was machst du?“ Erschrocken trifft es mich wie ein Blitz. Ein Leben ohne meinen Engel? Das möchte ich nicht!
„Ich packe meine Sachen, du bist ohne mich besser dran. Was ist das für eine Beziehung, wo der eine den anderen betrügt. Ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas je passiert. Ich habe mich selbst immer als treu gesehen. Das hast du nicht verdient.“ Sie wischt sich die Tränen, von den Wangen.
„Liebst du ihn?“
„Nein ich glaube nicht. War wohl anfällig, brauchte jemanden zum Reden. Ich weiß nicht, es ist einfach geschehen.“
„Wir haben so viel gemeinsam durch gestanden. Es fällt mir schwer. Du wirst mir helfen müssen. Ich denke unsere Beziehung hat eine zweite Chance verdient.“ Höre ich mich sagen. Ob ich ihr je vertrauen kann, weiß ich nicht. Ich nehme meine Frau an der Hand, führe sie ins Wohnzimmer. Bei einer Tasse Kaffee, vielen Zigaretten, noch mehr Tränen, sprechen wir uns aus.

Der zweite Schlag ins Gesicht lässt nicht auf sich warten. Kreidebleich steht Rosi vor mir und berichtet mir, dass Jürgens Frau fremdgegangen ist und der Typ HIV positiv ist. „Jürgen kam mit einem Aids Test zu mir in die Arbeit. Er sei negativ, meint er.“
„Toll, habt ihr etwa nicht verhütet. Ich meine du...“
„Nein, ich weiß nicht wie das geschehen konnte.“ Ihre Hände zittern, die Augen sind geschwollen. Wir machen uns auf den Weg zum Aids Test. Was Rosi zu hören bekommt, lässt sie taumeln. Ihre Knie sind weich, sie strauchelt. Ich fange sie auf. Drei Monate müssen wir warten, ehe ein Test gemacht werden kann, um sagen zu können, ob sie den Virus in sich trägt. Neunzig Tage der Ungewissheit, der Angst...

Oft höre ich Rosi in ihr Kissen schluchzen. Ihr Körper bebt. Ich will sie in den Arm nehmen, doch mir fehlt die Kraft dazu. Ich fühle mich hilflos, habe Angst um meine kleine Frau. Das ist ihre Strafe, da muss sie durch immerhin bin ich ja da. Wie kann ich ihr groß helfen? Wenn sie doch infiziert ist? Was dann? Ist unsere Liebe so stark, dass sie so einer Belastung standhalten kann? Größte Vorsicht ist dann angesagt. Hauptüberträger sind Blut, Samenflüssigkeit, Muttermilch und Scheidenflüssigkeit. Wir sind informiert. Meine Gedanken laufen im Kreis. Sie machen mich schier wahnsinnig. Ich verdränge sie und bete zu Gott, dass es nur ein Denkanstoss sein soll. Kein Fluch, der unser gesamtes Leben umwerfen wird.

Mitten in der Nacht fährt sie in die Höhe, ihre schrille Stimme reißt mich aus dem Schlaf. „NEIN!! NICHT!“ Ich streiche ihr über das tränennasse Gesicht, ziehe sie zu mir. Küssend fallen wir zurück aufs Kissen. Ich will mich gerade auf sie legen, Rosi schiebt mich weg. „Nein, wenn ich...will dich nicht gefährden.“ Leise weint sie, bis der Schlaf sie übermahnt. Nacht für Nacht kämpft sie mit ihrer Angst. Tags lässt sie sich kaum etwas anmerken. Wirkt stark. Scherzt mit unserer Tochter. Das Schicksal stellt uns auf eine harte Probe. Auch ich habe schreckliche Angst. Ich lasse mir nichts anmerken.
Ich liebe meine Frau, versuche auch es ihr besser zu zeigen. Es scheint sich alles zum Guten zu wenden. Rosi ist ihr fataler Fehler bewusst. Es ist ihr eine Lehre. Einfach so wird sie mich nicht mehr hintergehen.

***

Heute kann ich sagen: „Diese Geschichte war ein wichtiger Meilenstein. Sie hat uns wachgerüttelt aus unserem Alltagstrott gerissen. Rosi ist damals nach dem Test ein Fels vom Herzen gefallen. Negativ! Wir feierten bei Kerzenlicht und liebten uns leidenschaftlich. Ohne Angst!“ Ich blicke auf die Uhr. „Huch so spät! Die Gäste und Rosi kommen bald, ich muss mich für die Feier umziehen.“

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
Dieser Text enthält 6475 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.