Sexlibris
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November 2005
Der kalkulierte Seitensprung
von Christiane Gref

Corinnas Tagebucheintrag vom 23. Oktober. Es ist kein Wunder, dass diese Frau in eine Situation geriet, die sie in ein großes, kraftvolles Abenteuer stürzen würde. Und zwar mit einem mentalen Bauchplatscher, nicht mit einem Kopfsprung. Corinnas Kopf hat in dieser Geschichte nichts verloren.

Fritz sitzt mir gegenüber am Küchentisch. Der Schmerbauch hängt wieder über den Hosenbund, seine Füße stecken in ausgelatschten Birkenstocks, barfuss und mit ungeschnittenen Zehnägeln. Wie ich diese Tage hasse! Da geht mir einfach alles, aber auch alles an Fritz auf die Nerven. Und dann diese wohlwollende, friedliche Art, mit der er mich betrachtet. Am liebsten würde ich diese Pseudoharmonie mit einem Titanhammer zertrümmern und die Scherben klirrend an die Wand werfen. Stattdessen atme ich tief durch und frage ihn: „Schatz, möchtest du noch Kaffee?“ Dabei versuche ich, mir meinen Ekel nicht anmerken zu lassen. Fritz hat es versäumt, sich zu rasieren. `Nicht mal, dass dem ein erotischer Dreitagebart wachsen würde, nein, das sieht eher aus wie das Fell eines räudigen Köters – ekelhaft`, denke ich verbittert und frage mich, warum zur Hölle ich damals so blöd gewesen war, ihn zu heiraten. „Nein, Schatz, ich möchte keinen Kaffee mehr. Ich möchte lieber etwas anderes ...was Süßes“, er beugt sich vor und greift nach meinen Hüften, zieht mich zu sich heran und grinst lüstern. Na toll, das kann ich jetzt brauchen wie einen Kropf. Ich entfliehe seit Monaten seinen Zärtlichkeiten. Ich habe mir oft überlegt, ob ich ihn überhaupt noch liebe. Die Antwort auf diesen geistigen Konflikt fällt bilateral aus. Ich bin im Grunde nur noch mit ihm zusammen, weil ich mich auf ihn verlassen kann, weil ich ihm vertraue bis ans Ende der Welt. Wir haben so viel im Laufe unserer vierzehn Ehejahre auf die Beine gestellt, sind in unseren Interessen fast gleich. Wir lieben das Meer und hassen die Berge. Wir mögen beide die Farbe Blau. Ich frage mich oft, ob das ausreicht, bei ihm zu bleiben, denn ich will nicht von ihm angefasst werden, kann seine Berührungen nicht ohne Ekel über mich ergehen lassen. Und der Witz des Ganzen ist, dass er es nicht einmal bemerkt. Meine Güte, fünf Wochen Migräne am Stück, das fällt doch dem größten Blödmann auf, oder? Ich stehe auf, winde mich aus seinem Griff und stammle eine Ausrede, ich müsste noch dringend die Wäsche aufhängen, sonst schimmelt sie in der Waschmaschine. Und er? Er nimmt mir diesen fadenscheinigen Mist ab.


Am 29. Oktober lernte Corinna einen Mann kennen, der sie elektrisierte. Wie jeden Samstag, war sie mit zwei Freundinnen in die Kneipe gegangen. Den drei Frauen fiel sofort der große, braungebrannte Mann auf, der sich am Tresen niederließ und seinen Abend mit einem Pils einläutete. „Der ist so schön, dass er nicht echt sein kann“, tuschelte Kathrin ihren beiden Begleiterinnen zu. Corinna und Betty stimmten ergriffen zu und gingen dazu über, den Adonis anzustarren. Etwa eine Stunde später, durch die schmachtenden Blicke der drei Frauen angelockt, fragte er ob am Tisch der holden Weiblichkeit noch Platz sei. Die Antwort der Frauen bestand nur aus heftigem Kopfnicken. Gelassen bestellte er beim Wirt eine Runde Sekt. „Übrigens, ich heiße Carlo und komme aus Italien“, stellte er sich vor und schaute die Damen der Reihe nach an. So kamen sie ins Gespräch, die Zeit verging wie im Flug. Kathrin spürte irgendwann, dass sie einen Schwips hatte und beschloss, nach Hause zu gehen. Betty befand eine halbe Stunde später ebenfalls, dass sie gehen wolle und verließ die geschrumpfte Runde. Corinna dachte gar nicht daran, jetzt nach Hause zu gehen. Carlo berichtete, er sei öfter auf Geschäftsreise in Deutschland, arbeite in der Computerbranche. Er begann, Corinna Komplimente zu machen, fragte sie nach ihren Interessen und ob sie verheiratet sei. Letzteres verleugnete sie.. Eins führte zum anderen. Alkohol, ein Prachtkerl und etliche Monate sexuelle Abstinenz ließen Corinnas Lust aufflammen und sie folgte Carlo enthusiastisch in sein Hotelzimmer. Dort verbrachten sie den Rest der Nacht wie im Rausch. Carlo war ein exzellenter Liebhaber, niemals zuvor hatte Corinna eine solche Leidenschaft erlebt. Als der Morgen graute, hatten sie sich vier Mal geliebt. Erschöpft schlummerten sie ein.

Corinna erwachte, weil ihr kalt war. Irritiert blickte sie sich um und begriff zuerst nicht, wo sie war. Dann fiel ihr alles wieder ein. Die Nacht, Carlo, das Hotelzimmer. Schnell schaute sie sich im Raum um – keiner da. Oh Gott, sie musste nach Hause. Fritz würde sich Sorgen machen. Beim Gedanken an ihren Mann schnürte sich ihre Kehle zu und ihr Magen glich einem Vulkan, der jeden Moment ausbrechen konnte. Von Carlo war keine Spur zu sehen. Nur Corinnas Kleidung lag noch auf dem Boden, wo sie ihr der Italiener gestern Nacht vom Körper gepflückt hatte. Seine Sachen waren allesamt verschwunden, nicht einmal eine Nachricht oder zumindest eine Telefonnummer hatte er für sie da gelassen. Sie presste die Fäuste gegen die Augen und kämpfte gegen das Schwindelgefühl an, das von ihr Besitz ergriff. Was hatte sie getan? Plötzlich fühlte sie noch etwas anderes. Eine andere Emotion: Trotz.
Fritz war doch selbst schuld. Er achtete nicht auf sein Äußeres, war miserabel im Bett. Ständig schlief er vor dem Fernseher ein und besaß auch noch die Unverfrorenheit, dabei zu schnarchen. Natürlich immer dann, wenn sie ihren Lieblingsfilm ansehen wollte. Genau, selbst schuld war er! Früher oder später musste das ja passieren. Ermutigt von ihren innerlichen Hetztiraden, angelte Corinna nach ihrer Kleidung und ging ins Bad. Sie betrachtete sich im Spiegel. Es wäre nicht gut, wenn Carlo Knutschflecken hinterlassen hätte. Schnell wusch sie sich und verließ wenige Minuten später das Hotelzimmer. Der Gedanke an ihre nächtlichen Erlebnisse, ließ sie wie auf Wolken gehen. An der Rezeption machte sie halt. „Können Sie mir bitte die Adresse des Herrn aus der 307 geben? Er hat etwas Wichtiges in seinem Zimmer vergessen“, sprach Corinna den adrett uniformierten Mann am Empfang an. „Tut mir leid, das darf ich nicht. Datenschutz, Sie verstehen?“, antwortete dieser ungerührt. „Bitte, es ist wirklich wichtig“, insistierte Corinna. „Versuchen Sie doch über seine Firma Hier habe ich eine Karte von ihm“, damit reichte der Angestellte eine Visitenkarte über die Theke. Sie nahm das Kärtchen mit zitternden Fingern entgegen. Beachboys Begleitagentur, Stresemannstraße, Berlin, war darauf zu lesen. Das durfte nicht wahr sein. Sie war einem Callboy aufgesessen, wortwörtlich aufgesessen?! Carlo war gar kein Computerspezialist aus Italien, sondern ein Stricher aus Berlin? Das dünne Stück Karton entglitt ihren Fingern. Fluchtartig verließ sie die Hotellobby und wankte ächzend die Straße entlang. Sie fühlte Hitze in ihren Wangen, ihre Halsschlagadern pochten im Stakkato. Als sie im Bus auf dem Weg nach Hause saß, kam sie sich vor, als könne ihr jeder den Seitensprung ansehen. Tatsächlich musterten die anderen Fahrgäste die Frau misstrauisch. Das hatte jedoch nur den Grund, dass Corinna aussah, als wäre sie krank. Sich anzustecken, darauf hatten die Leute keine Lust. Deshalb hielten sie sich von ihr fern.

Corinna fühlte sich nicht wohl, sie dachte an den biblischen Sündenpfuhl und es hätte sie nicht weiter verwundert, wenn die Passanten kleine Steine aus ihren Taschen geholt hätten, um sie damit für ihren Ehebruch zu steinigen. Vorbei war das wohlige, warme Gefühl, von einem attraktiven Mann geliebt worden zu sein. Hatte jemand Carlo für seine Liebesdienste bezahlt?. Wer hatte ihr das angetan? Oder hatte Carlo sie zufällig aufgelesen, weil er Lust hatte, mit einer Frau zu schlafen – unentgeltlich? Zutiefst beschämt schlich sie durch das handtuchschmale Vorgärtchen, nestelte ihren Schlüssel aus der Handtasche und betrat ihr Reihenhausrefugium. Leise verharrte sie zuerst in der kleinen Diele, dann lief sie auf Zehenspitzen die Treppe in den ersten Stock hinauf. Fritz ließ sich nicht blicken. Aufatmend stürzte sie ins Bad und verriegelte die Tür. Sie entledigte sich angewidert ihrer Kleidung und stellte die Dusche an. Den Wasserstrahl aus der Brause stellte sie brühheiß ein und rubbelte sich mit dem Luffaschwamm unsanft über die Haut. Der Schmerz war befreiend. Wütend auf sich selbst und gleichzeitig bis in die Grundfesten erschüttert, hämmerte sie mit den Fäusten auf die Kacheln ein. Zwischen ihren Schlägen meinte sie ein zaghaftes Klopfen zu vernehmen. Sie hielt inne. „Schatz, ist alles in Ordnung mit dir? Was machst du da drinnen?“, konnte sie die Stimme ihres Mannes hören. „Grgllll“, schluchzte Corinna los. Sie riss den Duschvorhang beiseite, tapste über den kalten Boden, drehte den Schlüssel, öffnete die Tür und warf sich ihrem Fritz in die Arme. Oh, wie hatte sie ihm unrecht getan. Er war immer für sie da, war zwar nicht der Schönste, aber garantiert der Zuverlässigste. In diesem Moment spürte sie grenzenlose Liebe für ihr kleines Dickerchen. Fritz schaukelte sie sanft hin und her und gab beruhigende Töne von sich, weil Corinna inzwischen Rotz und Wasser heulte. „Liebling, ich mache dir jetzt eine Tasse Tee und dann reden wir, ja?“, schlug Fritz vor. Corinna nickte.

Eine halbe Stunde später saßen sie am Küchentisch, vor jedem stand eine dampfende Tasse Tee und Corinna begann ihre Beichte. Sie hatte entschieden, Fritz alles zu erzählen. Es würde ihm wahrscheinlich das Herz brechen, aber das war fairer, als ihm ihre nächtliche Eskapade zu verschweigen. Als Corinna gerade dabei war, zu berichten, wie sie allein im Hotelzimmer aufgewacht war, wurde sie von Fritz unterbrochen. „Schatz“, begann er und griff nach ihrer Hand, „ich weiß, was in der letzten Nacht passiert ist.“ „Ja, ich hab` s dir ja grade erzählt“, gab Corinna erstaunt zurück. „Nein, ich will sagen, ich kenne den Mann, der sich Carlo nennt. Eigentlich heißt er Michael, nennt sich nur Carlo, weil er so bei den Frauen besser ankommt.“
„Woher kennst du ihn?“, wollte sie wissen. „Ich kenne ihn, weil ich ihn engagiert habe, dir Freude zu bereiten. Du warst in der letzten Zeit so verbittert, hast mich gar nicht mehr an dich heran gelassen. Da habe ich gedacht, ich helfe dir so, eine Entscheidung zu treffen. Damit du mal raus kommst aus dem Gewohnheitstrott. Ich weiß, dass du hin und her überlegst, ob es nicht besser wäre, wenn wir uns trennen“, beichtete nun Fritz. „Woher weißt du das?“, fragte Corinna scharf. „Ich habe dein Tagebuch gelesen“, gab er zerknirscht zu. „Das hast du getan! Du hast mein Tagebuch gelesen? Du bezahlst einen Callboy, damit ich fremd gehe? Was soll das, Fritz?“, schrie Corinna. „Schatz, ich wollte, dass du glücklich bist. Und ehe ich dich an einen Mann verliere, den ich nicht kenne, da habe ich gedacht, ich gehe auf Nummer sicher. Außerdem habe ich versucht, dir alles recht zu machen. Aber egal, was ich getan habe, du hast immer nur mit mir geschimpft. Oder du bist mir ausgewichen, was ich noch viel schlimmer fand.“, sagte er leise.

Tagebucheintrag Corinna vom 12.11.05
Ich habe zum Glück eine kleine Wohnung gefunden. Mit Fritz werde ich nur noch über meinen Anwalt kommunizieren. Diese abgekartete Sache finde ich das Allerletzte. Ja, Fritz hat seine Entscheidung bekommen und ich wünsche mir, dass er seinen bescheuerten Plan verflucht. Ich werde jedenfalls nicht mehr so schnell mit einem Mann schlafen, die können mir allesamt gestohlen bleiben! Die einzige Kontinuität, die mich auf meinem Lebensweg begleiten darf, ist mein Tagebuch.

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