Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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November 2005
Drei Tage
von Gabriele Maricic-Kaiblinger

Er las den Brief mit einem geringschätzigen Lächeln auf den Lippen. Schon wollte er ihn zerknüllen, als sein Blick auf -das eigenartiger Weise- weit unter der mit Lisa benannten Unterschrift stehende „P.S.: Ich komme am Dienstag.“ fiel. Er las es noch mal und noch mal, doch die Worte änderten sich nicht. Panik wollte sich breit machen, doch dann atmete er tief durch.
Heute war Freitag, dreieinhalb Tage also, um sich etwas einfallen zu lassen. Abermals atmete er tief durch und überlegte, was zu tun war, wie es überhaupt zu diesem PS gekommen sein konnte.
Er schloss die Augen und ging in Gedanken noch mal die Bekanntschaft mit Lisa durch. Es war bereits vor einem Monat gewesen, als er Nachforschungen für einen Artikel in der 150 km entfernten Stadt betreiben musste. Er hatte alles schnell gefunden und die Informationen bekommen, die er brauchte. Sogar Neuigkeiten, mit denen er nicht gerechnet hatte, waren ihm zugetragen worden. Dieser Erfolg musste gefeiert werden, dachte er sich und ging mit einem dortigen Berufskollegen, der ihm geholfen hatte, in eine Bar. Auch Freunde des Kollegen waren da, darunter Lisa. Er verstand sich auf Anhieb mit allen gut, trank über den Durst, sehr viel über den Durst, lies sich dann von Lisa, der er bis zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Aufmerksamkeit als den anderen gewidmet hatte, zu seinem Hotel begleiten und erwachte am nächsten Morgen neben ihr. Erschrocken und mit einem schalen Gefühl sprang er aus dem Bett, zog sich an, leise, um sie nicht zu wecken – was gar nicht so einfach war, denn der Drang wegzukommen, wurde plötzlich übermächtig -, nahm seine Reisetasche und fuhr nach Hause.
Was war nur passiert in dieser Nacht? Offensichtlich hatte er etwas mit ihr gehabt, aber er konnte sich absolut an nichts erinnern. Auch nicht an das, was er alles gesagt hatte. Was konnte das gewesen sein, dass sie so missverstanden hatte, dass sie ihm jetzt schrieb und herkommen wollte. Hatte er gesagt, dass er verheiratet war? Anscheinend nicht. Den Ring trug er an einer Kette um den Hals. Hatte er die umgehabt in dieser Nacht?
Ich werd’ sie anrufen und ihr sagen, dass sie alles vergessen soll und bleiben wo sie ist. Er suchte auf dem Brief nach einer Telefonnummer, fand jedoch keine. Dann kam er drauf, dass er auch keinen Nachnamen wusste. Und im Brief stand nur Lisa, auf dem Kuvert kein Absender.
Er rief den Kollegen in der anderen Stadt an, um Lisas Nachnamen und ihre Adresse oder Telefonnummer zu erfragen. Der musste es wissen, es waren doch alles seine Freunde. Doch dieser wusste nichts.
„Ich hab’ sie an diesem Abend auch das erste Mal gesehen. Keine Ahnung, mit wem sie mitgekommen war“, bekam er zu hören.
Das durfte doch nicht wahr sein! Die musste doch irgendwie zu erreichen sein!
Am besten, er würde seiner Frau alles sagen, dann konnte ihm Lisa nichts anhaben. Aber wie würde sie reagieren? Könnte sie ihn verstehen und ihm verzeihen? Oder ... nein, er konnte wegen so einem Flittchen nicht seine Ehe aufs Spiel setzen.
Okay – er würde am Bahnhof warten – wenn’s sein musste, den ganzen Tag, um ihr zu sagen, dass sie gleich wieder retour fahren sollte. Oder ... würde sie mit dem Flugzeug kommen? Nein, das wäre nicht rentabel. Mit dem eigenen Auto?
Er versuchte, sich zu erinnern, ob sie ein Auto besitze oder irgendwann erwähnt hatte, womit sie am liebsten reiste, aber er konnte sich an nichts dergleichen erinnern.
Sie wusste, wo er arbeitete, aber sie wusste offensichtlich nicht, wo er wohnte. Oder sie wusste doch, dass er verheiratet war und war nur rücksichtsvoll. Oder ... Er ging in Gedanken Möglichkeiten um Möglichkeiten durch, aber sein Erinnerungsvermögen wurde dadurch nicht aktiviert. Trinken, zusammen weggehen, zusammen aufwachen, sein fast panischer Abgang, bevor sie aufwachte ... das war alles, an das er sich erinnerte.

Die ganze Nacht lag er wach und schwitzte. Am Morgen hatte er einen Entschluss gefasst.
Ich muss es ihr sagen. Ich muss ...
Er sah keine andere Möglichkeit. Was, wenn er es nicht tat? Er hatte zwar vor, Lisa sofort zu sagen, dass er nichts mehr von ihr wollte und sie sofort umkehren sollte – aber
wer weiß, wie sie reagieren würde? Vielleicht fuhr sie ja gleich zurück, vernünftig, einsichtsvoll und ohne Szene. Aber was, wenn sie wütend wurde, sich verletzt fühlte, herausbekam, wo er wohnte, zu seiner Frau ging und ihr alles erzählte? Was, wenn sie ihn in ihrem Wahn verfolgte, belästigte und nicht mehr aus seinem Leben verschwinden würde?
Ich kenne sie zu wenig, um ihre Reaktion einschätzen zu können. Ich kenne sie im Prinzip gar nicht.

Seine Frau starrte ihn an, als käme er aus einer anderen Welt. Dann ging sie erst ins Kinderzimmer, anschließend ins Schlafzimmer, um hastig einige Sachen zu packen.
Ein kleiner Koffer, schoss es ihm durch den Kopf, irgendwie erleichtert.
„Ich war betrunken, ich wusste nicht, was ich tat, ich ... bitte bleib’“, stammelte er.
„Ich brauch’ Abstand. Ich hol’ Markus von der Schule ab.“ Mehr sprach sie nicht mehr.
Das wird wieder, beruhigte er sich selbst. Sie braucht nur Zeit. Und sie hat den kleinen Koffer genommen...
Trotzdem nahm das flaue Gefühl im Magen plötzlich zu und er verfluchte den Alkohol, seinen Gedächtnisschwund und vor allem Lisa ...

Den ganzen Tag über pendelte er zwischen Bahnhof und auch Flughafen, zwischendurch fuhr er in die Redaktion, falls sie per Auto dort erscheinen sollte. Seine Kollegen zweifelten schon an seinem Verstand, dass er an seinem extra freigenommenen Tag immer wieder auftauchte, aber das war ihm egal. Er musste sie unbedingt treffen, bevor sie sich wo einmietete. Oder hatte sie sowieso vor, bei ihm zu wohnen? Nein! Er musste sie einfach sozusagen ‚abfangen’ und zurückschicken.

Doch nichts. Lisa kam nicht.

Am nächsten Tag erhielt er eine Karte.
„Hatte mich verliebt und erfuhr dann, dass du verheiratet bist. Musste mich ein bisschen rächen. Lisa.“
P.S.: Hoffe, du bist ein wenig ins Schwitzen gekommen ...“

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