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Dezember 2005
Die Rache der Zeitgötter
von Bernhard Röck

Es war Freitagabend. Nach einer anstrengenden Woche freute ich mich auf einen ruhigen Abend zu Hause. Ich lag auf dem Sofa und trank mein zweites Bier. Aus den Lautsprechern erklang Musik. Ich schloss meine Augen und ließ einen Song auf mich wirken, aus dem ich eine Zeile besonders mag: a fucking monument to human misery, als ich ein Krachen hörte.
Erschrocken riss ich die Augen auf. Lichtblitze schossen zuckend umher und erleuchteten das bläuliche Halbdunkel meines Wohnzimmers, während ein Vibrieren mein Sofa erzittern ließ. Gläser und Tassen fielen um, die Kerze erlosch und die Haare auf meinem Körper stellten sich wie elektrisiert auf. Dann blieben drei oder vier Lichtblitze in der Luft stehen, begannen, für einige Sekunden leicht um einander zu schwingen, um sich dann wild ineinander zu verdrehen. Sie bildeten einen Lichtwirbel, der sich in immer schnelleren Pirouetten drehte und in allen Regenbogenfarben erstrahlte. Wie gebannt starrte ich diese tanzenden Lichter an. Nach dem Krachen war nur noch ein leises Knistern zu hören gewesen wie von einer elektrischen Entladung, aber nun wurde dieses stärker. Deshalb presste ich die Hände schützend auf meine Ohren. Das Strahlen der Lichter wurde immer heller, bis es mich so blendete, dass ich die Augen schließen musste. Dabei schmeckte ich etwas Metallisches im Mund. All diese Erscheinungen hielten eine Weile an, bis zunächst das Vibrieren nachließ. Trotz geschlossener Augen sah ich dann, wie auch das Licht schwächer wurde. Ebenso wurde das Knistern leiser. Ich öffnete die Augen wieder und sah, dass der Lichtwirbel noch nicht ganz verschwunden war. In seiner Mitte erkannte ich eine schwebende, menschliche Gestalt. Unvermittelt verschwanden die Lichter und der Körper eines Mannes stürzte auf meinen Wohnzimmerteppich. Er rührte sich nicht. War er tot? Ich näherte mich ihm vorsichtig. Er trug einen altmodischen Anzug. Auf einmal stöhnte er. Vorsichtig berührte ich ihn an der Schulter, schüttelte ihn leicht und drehte ihn dann auf den Rücken.
„Hey, aufwachen“, sagte ich. Er sah aus wie jemand, der auf der Straße lebt: langes, dunkles, wirres Haar, ein riesiger, dunkler Schnauzbart, ein schmutziges Gesicht. Aber seine Kleider passten nicht zu diesem Eindruck, denn dafür waren sie schon wieder zu altmodisch. 19. Jahrhundert, vermutete ich. Wie kam er zu den Sachen und weshalb trug er sie? Als ich ihn musterte, schlug er die Augen auf. Er blinzelte und sah verwirrt aus, als er sich nun umsah.
„Was haben Sie hier zu suchen?“ fragte ich ihn zornig.
„Welches Jahr haben wir?“ fragte er zurück. Meine Frage ignorierte er.
„2005“, antwortete ich ihm, „also, wer sind Sie und was wollen Sie hier?“
Er sah mich an und setzte sich auf.
„Ich bin Professor Louis Beautemps, Physiker. Ich benötige Ihre Hilfe. Es geht dabei um die Zukunft der Menschheit. Ich komme aus der Vergangenheit, aus dem Jahr 1900“, sagte er. „Ich habe eine Möglichkeit gefunden, durch die Zeit zu reisen.“ Zuerst dachte ich, er sei komplett verrückt, aber die Art seines Erscheinens sprach für ihn.
„Erzählen Sie “, sagte ich. Nachdem ich ihm ein Glas Wasser gegeben hatte, setzten wir uns auf das Sofa. Plötzlich war er hellwach und begann, lebhaft zu erzählen.
„Alles begann im Jahr 1900. Damals trieb man einen regelrechten Kult um Uhren, die im Laufe der Jahrhunderte immer genauer geworden waren. Teure Taschenuhren waren Statussymbole, manche protzig vergoldet, andere sehr genau. Aber verschaffte dies dem Menschen mehr Zeit? Nein, man sah nur, wie wenig davon man eigentlich hat. Der Mensch konnte die Zeit nicht manipulieren, konnte sie nicht anfassen, ja, er konnte sie noch nicht einmal verstehen. Er eilte nur immer gehetzter durch die Welt. Ich begann, das Wesen der Zeit zu ergründen. Alles was je über sie geschrieben worden war, verschlang und erforschte ich. Ich las bei den alten Griechen, den Römern, den Ägyptern. Dann bei anderen Völkern: den Chinesen, den Indern, den Azteken und den Maya. Bei den Maya stieß ich dann auf einen alten Mythos: die Zeitgötter. Dort wurden sie als Wesen beschrieben, die die Dimension der Zeit beherrschen, die sie manipulieren, wie es ihnen gefällt und die den Menschen nicht wohl gesonnen sind. Zunächst hielt ich es nur für einen Mythos, bis ich mir die Texte genauer ansah. Wie die Götter darin erschienen und verschwanden, machte mich stutzig. Je mehr ich mich damit beschäftigte, desto mehr glaubte ich, dass diese Zeitgötter tatsächlich existieren. Und wenn sie existierten, dann waren auch Zeitreisen möglich. Mir wurde heiß und kalt bei dem Gedanken. Ihre Macht über uns Menschen machte mich wütend. Irgendwann schienen sie mich auf die Strasse geworfen zu haben, die man Leben nennt, und irgendwann würden sie mich wieder herunter stoßen. In den drei räumlichen Dimensionen konnte ich mich frei bewegen, aber nicht in der Zeit. Warum nicht auch in ihr? Weshalb wurde mir das Recht darauf von diesen Wesen aberkannt? Ein Gefühl der Ohnmacht überkam mich. Also machte ich mich an die Arbeit. Wie Prometheus den Göttern das Feuer stahl und es den Menschen gab, so wollte ich den Menschen die Kontrolle über die vierte Dimension geben. Durch die Analyse der alten Mayatexte kam ich der Lösung langsam näher. Ich erkannte, welche physikalischen Phänomene beschrieben wurden, und reimte mir allmählich zusammen, wie diese Geschöpfe es schafften, sich durch die Zeit zu bewegen. Auf dieser Grundlage schaffte ich es dann endlich, in eine andere Sphäre vorzudringen, in der ich mich frei durch die Zeit bewegen konnte.“ Beautemps trank einen Schluck. Konnte es sein, dass er die Wahrheit sagte?
„Und was geschah dann?“ fragte ich. Er sah mich an. Die Farbe wich aus seinem Gesicht.
„Da waren sie, diese mysteriösen Wesen, in dieser fremden Sphäre, wie ich vermutet hatte. Schreckliche Kreaturen, mächtig, furchtbar. Sie erkannten mich als einen Menschen, der als solcher nicht hätte dort sein dürfen. So begann das Verhängnis. Ich hatte sie erzürnt, aber sie waren auch überrascht. Das war mein Vorteil, denn dadurch konnte ich ihnen in die Zukunft entkommen.“ Er hielt inne, fuhr sich mit den Fingern durch das lange, wirre Haar. Er sah auf einmal sehr müde aus, doch er erzählte weiter.
„Ich sah schreckliche Dinge: die Spaltung des Atoms und seine Anwendung als Waffe. Maschinen, die töten, Krankheitserreger, die als Waffen missbraucht werden. All das wurde von Männern wie mir getan. Von Männern, die sich für Genies halten. Das schlimmste Verbrechen beging jedoch ich, indem ich die Zeitlinie durchbrach.“ Auf einmal verschwanden die Begeisterung und der Stolz, die er während seiner Erzählung ausgestrahlt hatte und Beautemps wirkte wie ein gebrochener Mann. Eine Träne rann ihm über die Backe. Aus wässrigen Augen sah er mich an. Mein anfänglicher Zorn über den fremden Besucher war verschwunden. Nun empfand ich Mitleid mit ihm.
„Ich dachte, ich tue das Richtige. Aber es war falsch. Ich war vermessen, arrogant und überheblich. Niemals hätte ich diese Grenze überschreiten dürfen, denn jetzt befinden wir uns im Krieg mit den Zeitgöttern, durch meine Schuld. Sie werden sich furchtbar rächen.“
Ich trank einen Schluck Bier. Es schmeckte mittlerweile schal, und ich stellte die Flasche wieder zurück auf den Tisch. Mein ganzes Leben erschien mir verglichen mit seinen Erlebnissen plötzlich ziemlich schal.
„Wenn Sie zurückreisen, und alles rückgängig machen?“ fragte ich. Er schüttelte den Kopf.
„Unmöglich. Wenn man einmal die Barriere zu dieser anderen Sphäre durchbrochen hat, kann man das nicht ungeschehen machen. Alles andere könnte man vielleicht rückgängig machen: Dinge, die in unserer Realität geschehen. Doch nicht das Zeitreisen an sich. Es ist schwierig zu verstehen, ich weiß.“ Er kramte in seiner Jacke, um etwas hervorzuholen. Es war ein Stab aus Metall, etwa 30 cm lang. Ein paar Knöpfe waren darauf zu erkennen, ansonsten war die Oberfläche glatt.
„Ich habe zwei davon. Es gibt nur diese beiden. Es sind die Zeitmaschinen, wenn Sie so wollen. Eine davon gebe ich Ihnen. Ich brauche Verbündete. Gegen die Zeitgötter. Sie werden kommen. Das ist sicher.“ Ich unterbrach ihn.
„Warum sind Sie sich da so sicher? Dass sie kommen werden, meine ich?“
„Weil ich ihre Augen gesehen habe. Ihre Augen ...“, er hielt kurz inne, ein Zittern schüttelte seinen Körper, und er wurde noch blasser, „da wusste ich, dass sie mir folgen würden, um mich zu vernichten. Mich, und die ganze Menschheit, die bis dahin nur Spielzeug für sie gewesen war. Von nun an sind wir eine Bedrohung für sie und ihre Macht, denn wir könnten nun die Kontrolle über die Zeit selbst übernehmen. Deshalb muss ich ins Jahr 1900 zurückkehren, um weitere dieser Apparate zu bauen. Mit diesen werde ich eine Armee von Zeitreisenden aufstellen. Eine Armee gegen die Zeitgötter.“
„Aber wie wollen Sie sie bekämpfen?“ Beautemps sah mich an. Ein trauriges Lächeln huschte über sein Gesicht.
„Mein Freund ... das werden wir herausfinden“, sagte er. Ich wunderte mich, wie schnell aus einem ungebetenen Gast fast so etwas wie ein Freund geworden war. Bevor ich noch irgendetwas sagen konnte, gab er mir die Apparatur und erklärte mir, wie sie zu benutzen war. Er reichte mir seine Hand zum Abschied und ich ergriff sie. Dann wollte er seine Reise antreten, als auf einmal die Luft in der Mitte des Zimmers zu flimmern begann.
„Oh mein Gott ... sie haben mich gefunden!“ Er sprang auf, während ich starr sitzen blieb. Wie gebannt betrachtete ich das Schauspiel. Es war wie zuvor bei seinem Erscheinen: ein Lichtwirbel erschien, begleitet von furchtbarem Getöse. Doch dieses Mal war alles bedeutend intensiver. Als es schließlich aufhörte, standen drei Gestalten in meinem Wohnzimmer. Sie sahen nicht so aus, wie ich mir diese Wesen vorgestellt hätte. Sie hatten menschliche Gestalt und waren sehr groß und hager. Sie strahlten ein grünliches Licht aus, und ihre Körper waren von einer Schutzpanzerung umhüllt, die aus unzähligen kleinen bleigrauen Metallplättchen zusammengefügt worden war. Überall durchstießen Schläuche und Kabel die Hülle und hingen wie Tentakeln an ihnen. Ihre Körper waren zudem von Aggregaten und kleinen Kästchen bedeckt, von denen manche rötlich zu glühen schienen, andere wiederum gaben mit einem Zischen weißen Rauch von sich. Ihre Gesichter wirkten streng, ernst, ohne jede Emotion. Das Entsetzliche an ihnen waren ihre Augen: sie besaßen keine. Wo Menschen Augäpfel haben, war bei ihnen nur pechschwarze Leere zu erkennen. Nun verstand ich, was mein Gast gemeint hatte, denn aus der Schwärze ihrer Augenhöhlen drangen ihre Gedanken in mein Bewusstsein. Ich erkannte, dass alles wahr gewesen war, was mir der Zeitreisende erzählt hatte. Sie sandten uns ihre Gedanken, zumindest die, die sie uns schicken wollten: sie drohten uns, sie offenbarten ihre Macht und ihre Absichten. Die Menschen waren ihr Spielzeug, und dieses wollten sie sich nicht wegnehmen lassen.
Die Drei sahen nun Beautemps an, und zeigten mit ihren Armen auf ihn. Weiß der Teufel, was mich ritt, denn in diesem Augenblick sprang ich auf, ihnen entgegen. Ich schlug mit der Zeitreisevorrichtung auf eines dieser Wesen ein.
„Drücken Sie den untersten Knopf! Schnell!“ schrie mir Beautemps zu. Ich drückte den Knopf und sogleich schoss aus dem kleinen Metallstab eine große Lichtkugel hervor. Diese hüllte zwei von ihnen ein. Sie stießen einen Schmerzensschrei aus, bis die Kugel hell erstrahlend explodierte und mit ihnen verschwand. Der dritte jedoch blickte mich an, dann meinen Gast. Es schien, als könne sich die Kreatur nicht entscheiden, wen sie zuerst vernichten sollte. Ihre Gedanken bohrten sich in mein Bewusstsein und raubten mir beinahe den Verstand. Hass und Verachtung überschwemmten mich. Dann sandte der letzte der Zeitgötter einen gleißend hellen, weißen Lichtstrahl in Richtung des Zeitreisenden. Dieser schrie, denn er stand sofort in Flammen. Eine Rauchwolke stieg auf. Er verbrannte bei lebendigem Leib. Asche rieselte zu Boden, kleine Flocken stiegen in die Luft und wirbelten durch den Raum. Es roch nach verbranntem Fleisch. Mir wurde übel. Dennoch griff ich auch die letzte der Kreaturen an. Wie zuvor schlug ich auf sie ein und drückte den besagten Knopf dabei. Wieder erschien eine Lichtkugel, die explodierte. Mit ihr verschwand die letzte Gestalt. Ich sah mich um. Niemand außer mir war noch im Raum. An der Stelle, wo mein Besucher gestanden hatte, sah ich ein Häufchen auf dem Boden liegen. Darin blitzte etwas Metallisches: seine Zeitreisevorrichtung. Ich hob sie auf und schüttelte Beautemps’ Asche davon ab. Erst nach einer Weile gelang es mir wieder, klar zu denken. Mein Besucher hatte mir seine beiden Zeitapparate hinterlassen und die Verantwortung dafür. Nun fragte ich mich, ob der Kampf bereits vorüber war oder erst begann. Es war jetzt an mir, die Antwort darauf zu finden. Als ich seine Überreste betrachtete, die wie ein kleines Mahnmal vor meinem Sofa lagen, kamen mir wieder die Worte in den Sinn, die ich zuvor gehört hatte:

a fucking monument to human misery.

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