Honigfalter
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Dezember 2005
George und die Fee
von Marcus Watolla

George stieg aus dem Auto und verschloss es. Sein Weg sollte ihn in den Supermarkt führen. Der Kühlschrank schon wieder einmal leer.
Er betrat den Markt durch die große Schiebetür.
Nur noch drei Wochen bis zum heiligen Fest und seine finanzielle Situation ließ sich schon jetzt als katastrophal bezeichnen. Schon am Monatsanfang fast pleite. Als Arbeitloser konnte man halt keine großen Sprünge machen, vor allem dann nicht, wenn man nicht auf sein Auto verzichten wollte.
Was für ein übles Leben.
Plötzlich bemerkte er eine Gestalt, die auf ihn zutorkelte. Er kannte sie von irgendwoher, konnte aber nicht einordnen, woher. Der Fremde, ein uralter Mann, hatte die Arme ausgestreckt. Er röchelte irgendetwas, packte George mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Mantelaufschlägen und brach zusammen.
„Einen Krankenwagen!“, schrie George. Doch es war zu spät, der Alte lag regungslos vor ihm. Kein Atemzug bewegte mehr seinen Brustkorb. Der Notarzt konnte nur noch den Tod des Alten feststellen.
Verwirrt fuhr George nach Hause. Was für ein Tag...
Er wollte sich ablenken, schaltete den Fernseher ein um auf andere Gedanken zu kommen. Ein paar Talkshows halfen ihm, das Erlebte halbwegs zu vergessen: „Vera am Mittag“, „Jörg Pilawa“, Eine Gerichtsshow.
Schließlich ging wieder einer jener Tage zu Ende, die er nutzlos auf der Couch verbracht hatte.
„Man müsste die Zukunft kennen“, murmelte er, „dann hätte man weniger Probleme...“
Plötzlich zuckte ein Blitz durch den Raum. Rauch wallte auf. Im Zimmer stand ein kleines Mädchen in einem langen Kleid, mit einem Stab in der Hand. Rotes Haar fiel lockig über seinen Rücken. Sommersprossen auf den Wangen verliehen ihr etwas Schelmisches.
„Ich bin eine gute Fee“, sagte das Mädchen, „und ich bin hier, um dir einen Wunsch zu erfüllen.“
„Das-... das gibt´s doch nicht“, ächzte George und fasste sich an den Kopf. „Drehe ich jetzt endgültig durch?“
„Nein“, kicherte der Rotschopf und fuchtelte mit einem Stab herum, so dass Funken aufsprühten. „Ich bin real. Du hast drei Wünsche frei.“
George kniff sich in die Wange. Befand, dass er wach und bei Sinnen war und dachte nach. Gerade in dem Moment, als er seinen Wunsch formulieren wollte, sagte die Fee: „Ich verlange nur eine kleine Gegenleistung.“
„So?“ Misstrauen erwachte in ihm. „Was denn? Meine Seele kriegst du nicht.“
„Quatsch! Wer will denn deine Seele? Könnte ich sowieso nichts mit anfangen... Das wäre eher die Abteilung des Kollegen Teufel.“
George hob fragend die Augenbrauen.
„Was denn dann?“
„Etwas von deiner Zeit verlange ich.“
„Na, wenn´s nicht mehr ist ...“ George rieb sich die Hände. „Einverstanden.“
Die Fee kicherte.
„Also gut, Mensch. Was wünscht du dir?“
„Ich habe da einen Wunsch. Dürfte für dich gar nicht so schwer zu erfüllen sein. Ich will durch die Zeit reisen können. Egal, ob Zukunft oder Vergangenheit. Das ist mein erster Wunsch!“
Die Fee lächelte, nickte und machte mit dem Stab eine ausholende Bewegung. Wieder sprühten goldene Funken auf. „So sei es.“
„Als erstes möchte ich in die Zukunft! Genau eine Woche!“
Das Wohnzimmer verschwamm vor Georges Augen, löste sich auf. Als sich die Linien wieder zu einer festen Form vereinten, fand er sich dort, wo er bereits vorher gestanden hatte. Das Wohnzimmer. George ging auf die große Funkuhr auf dem Fernseher zu. Ein Blick offenbarte ihm, dass wirklich eine Woche vergangen war. Er befand sich in der Zukunft. Sogar der Fernseher lief noch. Die Lottozahlen wurden genannt. Mit einem Stift schrieb George sich die Zahlen auf den Handrücken.
„Hurra!“ rief er und wollte vor Freude in die Luft springen. Doch ein stechender Schmerz zog sich durch den Rücken. Als George die Hand hob, um die schmerzende Stelle zu berühren, geriet sie in Höhe der Augen. Die Haut schien älter und fahler. Auch fühlte sich sein Körper gebeugter und müder an.
Bestürzt eilte er ins Badezimmer. Stellte sich vor den Spiegel. Sah hinein. Ein älterer Mann betrachtete ihn, vielleicht zehn bis fünfzehn Jahre älter.
„Junge, Junge“, entfuhr es ihm. „Das meinte sie also mit `etwas von meiner Zeit´...“Aber egal. Bald schon sollte ihn Reichtum für alles entschädigen.
„Jetzt will ich noch weiter in die Zukunft. Sagen wir zehn Jahre. Ich will sehen, wie es mir geht..“
Das Wohnzimmer verschwamm wieder vor seinen Augen, die Konturen liefen auseinander, um sich schon bald wieder zu vereinen. Doch die Umgebung war eine andere. Teure Möbel standen auf wertvollen Teppichen. An den Wänden vermisste George die Pop-Art-Bilder, fand stattdessen schwere Ölgemälde. Der kleine Fernseher war verschwunden. Stattdessen stand in einem kristallgläsernen Schrank ein riesiges Flachbildgerät mit allen technischen Raffinessen.
Er schaltete es ein und erschrak: Im Bildschirm sah Georges sich selbst als einen reichen Mann, der ein Interview gab und eine bildhübsche junge Frau an seiner Seite hatte. Wie war das möglich? Reich sein, endlich reich sein und eine schöne Frau.
Georges Freude ging fast mit ihm durch. Das war vielleicht eine Zukunft. So ließ es sich doch leben!
In diesem Moment stieg in ihm wieder diese Schlaffheit und Müdigkeit auf. Er hob schwerfällig die Hand, führte sie vor die Augen, doch sah nur eine verschwommene fleischfarbene Masse. Erst als der Gealterte sie mit gestrecktem Arm betrachtete, sah er mit Entsetzen, wie runzlig sie war. Jetzt erst war er sich auch bewusst, dass er unter der Altersweitsichtigkeit litt. Mit neunundzwanzig Jahren altersweitsichtig – Georges konnte es nicht fassen. Außerdem war seine Haut faltig. Er war also noch einmal gealtert. Die Fee hatte ihm mindestens weitere 15 Lebensjahre geraubt! Von wegen gute Fee, eine verruchte Hexe ist sie!
„Hey!“ keuchte George. „So war das aber nicht ausgemacht! Ich dachte, Du nimmst mir nur einmal etwas von meiner Zeit. Das ist nicht fair!“
„Davon war nie die Rede“, erklang die Stimme der Fee. „Ich hatte gemeint, pro Reise einen Teil Deiner Zeit.“
„Das ist Betrug!“
„Nein“, kicherte das rothaarige Geschöpf, „das ist das Kleingedruckte ...“
Georges Gedanken überschlugen sich. Er war ein uralter Mann. Wie sollte man so eine schöne Zukunft erleben? Es könnte doch sein, dass sein Leben schon bald zu Ende war.
Dann kam ihm ein anderer Gedanke. Was wäre, wenn er zurückkehrte in die Gegenwart. Scheiß auf Wohlstand und Reichtum. Was wäre, wenn er in die Vergangenheit reiste, sich selbst warnen würde? Dann würde der Pakt mit der Fee doch niemals existieren ...
Das wäre es doch ...
Ein breites Grinsen breitete sich auf seinem alten Gesicht aus.
„Ich will in die Vergangenheit - vier Stunden, bevor ich gestartet bin“, sagte er mit brüchiger Stimme.
„Wie du willst“, entgegnete die Fee.
Wieder verschwamm die Umgebung, um sich Sekunden später wieder zu einem klaren Bild zusammen zu setzen. George eilte los. Verließ die Wohnung. Irgendwo hier musste es doch sein. Seine schwachen Augen vernahmen die Umrisse der Straßen. George folgte ihrem Verlauf. Rannte, so schnell wie ihn die Beine trugen. Fast überfuhr ihn ein Auto, als er über eine rote Ampel stürmte, erreichte schließlich den Supermarkt, hastete hinein, erkannte verschwommen die Gestalt, die da vor einem Regal stand.
Er selbst.
George war völlig außer Atem. Sein schwaches Herz raste und peinigte ihn.
Er taumelte auf sich zu, keuchte: „Mach´ es nicht.“ Da durchbohrte ein stechender Schmerz die Brust. Das alte Herz...
George taumelte auf sich zu.
Suchte Halt. Fand ihn irgendwo.
Dann wurde es schwarz vor seinen Augen.

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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