Honigfalter
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Dezember 2005
Lautlose Rufe
von Thom Delißen

Die Schreie der kleinen, braunhäutigen Affen drangen durch die Hyazinthenbüsche und das Moskitonetz vor dem offenen Fenster.
Margarete drehte schläfrig ihren Körper in den verschwitzten Laken. Sie öffnete die Augen, vergegenwärtigte einen Augenblick lang, wo sie sich befand und lächelte.
Urlaub, Sonnenschein und Wärme.
Sie seufzte, griff zur Seite, die andere Hälfte des Doppelbettes war leer. Ihr fiel ein, Arthur hatte ihr gestern beim Abendessen überraschend erklärt, der heutige Tag stünde zu ihrer freien Verfügung, da ihn wichtige Geschäfte in die Hauptstadt riefen.
Der kurze Augenblick des Sicheinsamfühlens verschwand in den fröhlich lächelnden Sonnenstrahlen, die aus dem Garten in den Raum tanzten. Das Gebrüll der Affen war mit seltsamer Melodie erfüllt, die sie in eine laszive, glückliche Stimmung versetzte.
Sie stand auf, stellte sich nackt, wie sie war, an das Fenster.
Mit ihren vierzig Jahren hatte sie die Figur einer jungen Frucht, die Waden, Schenkel, Pobacken straff, die Brüste rundlich und fest.
Ihre Gesichtshaut straff wie die Schale einer Mango, die Haare pechschwarz, gelockt und füllig. Sie blickte mit Wohlgefallen an sich herunter.
Ein gemütliches Frühstück, geeister Fruchtsaft, Kaffee, ein weich gekochtes Ei mit Toast. Was für ein Tagesanfang, begleitet von dem Streicheln des Windes, der bergab kam, dem Gesang der Wellen, die unermüdlich an den hellbraunen Strand schlugen, ihren Ursprung, den schier unendlichen, blauen Ozean im Hintergrund.
Bei dem Morgenimbiss bediente sie ein drahtiger, junger Farbiger, der so schwarz war, dass seine strahlend weißen Zähne - er lächelte ständig - wie eine Farce wirkten.
Sie wusste, er war Student; die Behörden untersagten den Besuch der einzigen Universität des Landes.
Aus dem Fernsehen daheim und den Erzählungen ihres Mannes besaß sie ein wenig Information. Die Diktatur hatte einen Putschversuch der Studentenbewegung niedergeschlagen. Tausende von Opfern.
Doch heute war ein wunderbarer Tag und die Geister der Toten fanden in der anheimelnden, exotischen Atmosphäre des Hotels keinen Platz. Sie und die Gefolterten blieben für Margarete pure Zahlen. Nicht mehr.
Sie hatte ihre Kaffeetasse geleert, bestellte einen "Wodka on the rocks", der Tag wollte würdig begonnen sein. Nach zwei weiteren eisgekühlten Schnäpsen beschloss sie, sich mit dem Wagen die Küste hinauf fahren zu lassen, einen einsamen Strand zu suchen, dort den Nachmittag, nackt in der Sonne liegend, zu verbringen.
Der Frühstückskellner packte ihr einen Picknickkorb zusammen, der in erster Linie aus einer Flasche Wodka bestand, und informierte den Chauffeur.
Der wohl sechzigjährige Fahrer, Mestize, wie die meisten, die für die Oberschicht arbeiteten, fuhr das Gefährt sicher die Küstenstraße entlang, links der Abgrund zum Meer, der steil abfallende Hang, rechts der froschgrüne, stellenweise undurchdringliche Urwald, ab und zu gerodete Felder, auf denen Bananen, Zuckerrohr oder Kaffee wuchsen. Der Fahrtwind trug die Geruchsvielfalt des Regenwaldes mit sich, süßlich, betäubend nahezu. Nur selten begegnete ihnen ein anderes Automobil, öfters überholten sie Fahrardrikschas oder schwer mit Holz beladene Eselskarren. Der Wagen rollte die letzten Meter über den Fels und hielt an der Absperrung.
Von dem Plateau, auf dem der Chauffeur den Mercedes zum Stehen gebracht hatte, bot sich ein großartiger Blick über einen abschüssigen Streifen hellgrünen Urwalds, bis hin zu strahlend weißen, Palmenbesetzten Sandstränden. Der Ozean dort unten glitzerte silbern wie ein Fischrücken. Der Anblick einer kleinen Bucht faszinierte Margarete besonders.
Sie machte ein einsames weißes Segel auf dem Wasser aus, ein Bild, das vollkommen in diese Idylle passte.
Schwankend lehnte sie an dem Kühler des Autos, genoss den Anblick. Die halbe Flasche intus eröffnete ihr ein bezauberndes Kaleidoskop an Farben und Eindrücken, die sie staunenden Auges verarbeitete.
Das war das Paradies.
Sie streckte die Hand nach der Lagune aus, versuchte die Körner des weißen Sandes, die Schaumkronen der Wellen zu greifen.
"Dort möchte ich hin!"
Der grauhaarige Mischling sah sie an, schüttelte bedächtig den Kopf.
"Nicht gut, Ma'm."
Margarete beachtete seine Reaktion nicht. Mit verträumtem Blick stand sie an dem Holzzaun, suchte den Atem der Schöpfung, die Liebkosung Gottes zu erhaschen. An diesem vollkommenen Strand würde sie den Tag verbringen, unter Palmen schlafen.
Sie drehte sich um und trat an den Schlag des Mercedes.
"Fahren wir. Dort unten ist es wundervoll."
Sie deutete erneut auf die Bucht.
Der Fahrer blickte aus braunen Augen, die ihr einen Moment traurig erschienen, drehte seinen Strohhut unbeholfen in den Händen.
"Nicht gut, Ma'm."
Der Alkohol ließ sie wütend werden. Sie kreischte den Mann an, jedes Wort einzeln betonend: "Sie fahren mich zu diesem Strand! Sofort!"
Mit erschrecktem Gesicht und einem Achselzucken gab der Einheimische auf.
Ãœber einen verwachsenen Weg erreichten sie, nach holpriger Fahrt, das Ziel.
Margarete sprang aus dem Fahrzeug, riss sich alle Kleider vom Leibe, lief, die Wodkaflasche in einer Hand, durch den staubfeinen Sand zur Wasserlinie. Dort kniete sie in der Dünung, hob die Hände zum Himmel, ein Gebet an die Schönheit und Vollkommenheit der Natur.
Die strahlende Sonne spiegelte sich in millionenfacher Verzauberung im Wasser, das in sämtlichen Blautönen schimmerte. Wie eine Offenbarung tauchten kurz zwei übermütig springende Delphine auf. Sie kippte mit dem ganzen Körper in das kühle, erfrischende Nass, spürte, wie das Meer all ihre täglichen Sorgen um Frisur und Make up, den Liebhaber, das neue Auto, abspülte, nichts mehr davon war wichtig.
Die Palmen wuchsen üppig, spendeten Schatten.
Sie schlurfte durch den Sandstaub nach oben, zu einem der Gewächse auf einem kleinen Hügel.
Der Blick auf den hellorangenen Horizont, kleine weiße Wölkchen, angehaucht von einem wie samenschweren Wind, der kühl aus den Tiefen des Ozeans stieg.
Margarete war glücklich. Eins mit der makellosen Natur. Hier hatte der wahre Friede sein Zuhause. Eine weiße Möwe, die über das flache Wasser im Uferbereich schwebte, unterstrich ihre Gedanken.
Sie sank zu Boden, saß, blickte auf den Ozean und die Gischt schäumende Brandung, blaugrüne Wellenhänge, trank den Wodka.
Nach dem Alkohol fällte sie die Müdigkeit, der Schlaf deckte seinen zarten Mantel über ihren Körper. Wohlig wühlend kuschelte sie sich, mangels Schlafdecke, in den wunderbar weichen Sand, ein Rehkitz im warmen Stroh.
Sie schlug die Augen auf, als es kühler wurde, die Sonne begann unterzugehen.
Als sie ihr Genick dehnte und dabei den Kopf in den Staub drückte, rutschte ihr Schädel in eine weiche, klebrige Höhle. Sie spürte Gallertartige Masse an den Wangen.
Mit sprachlosem Entsetzen versuchte sie sich zu befreien, riss den Kopf aus der Höhlung, sah Rippenbögen, faulige Innereien, Maden.
Sie wälzte sich fort von diesem Albtraum, brach in einen anderen halbverwesten Körper unter dem Sand ein. Endlich fand sie Stimme, um ihrer Abscheu Gestalt zu geben.
Mit dem Gekreisch eines verrückten Pavians stolperte sie in Richtung des Autos, der Fahrer kam ihr entgegen.
"Nicht gut, Ma'm. Ich sagen. Zeit reisen, ihre Brüder umarmen Dich, denn Krieg ist mit Tod nicht vorbei."

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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