Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » André Franke IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Dezember 2005
Verschollen in der Zeit
von André Franke

Das Schulschiff glitt langsam über die Wogen des Indischen Ozeans. An Bord befanden sich neben zwei Professoren auch zehn Studenten der Universität von Budapest, die sich zum Meeresbiologen ausbilden lassen wollten. Seit vor vielen Jahren die einzelnen Staaten abgeschafft wurden, war es für die Studenten immer einfacher geworden, den praktischen Teil ihres Studiums an Bord von Schulschiffen wie diesem zu verbringen und ihre Forschungen auch vor Ort zu betreiben. Um die Meeresbewohner vor den Einflüssen der Menschheit zu schützen, durchpflügten die modernen Schiffe nicht mehr die Wogen, sondern schwebten berührungslos über der Wasseroberfläche ihrem Ziel entgegen.

Es war eine vergnügliche Reise und die Hochschüler alberten kräftig herum. Die Fahrt sollte sie diesmal zwischen Madagaskar und die Komoren führen. Peter aus Hamburg ein gewissenhafter Student im vierten Semester, programmierte die Koordinaten für die Zeitreise des Discoverers. Schon seit vielen Jahren war der Zeitreiseroboter erprobt, brachte ihnen immer wieder Lebewesen in ihre Zeit, damit sie ihre Forschungen auch an inzwischen ausgestorbenen Tieren vornehmen konnten. Um nicht in die Geschichte einzugreifen, wurden diese dann nach Abschluss der Untersuchungen wieder zurückgeschickt.

Brian, ein großer schwarzhaariger Mitzwanziger aus Blackpool, einer von Peters Mitschülern und inzwischen ein guter Freund, betrat die Kajüte. Er griff in ein kleines Aquarium mit trübem Wasser und holte etwas dunkles Glitschiges heraus, das er Peter hinters Ohr setzte. Peter schreckte auf, griff an seinen Hals und zog brüskiert einen großen Blutegel hervor. „Brian, du hast wieder nur Blödsinn im Kopf“, fuhr er seinen Freund an. Beide lachten sie nun. Inzwischen waren auch noch drei Kommilitonen aufgetaucht und stimmten ins Lachen mit ein. Peter hatte seine Eingaben fast fertig. Die fehlende Ziffer bei den Rückreisekoordinaten bemerkte er nicht.

Das Meer war ruhig. Der Zeitreiseroboter hatte die Zielzeit erreicht. In zweihundert Meter Tiefe war es ziemlich dunkel. Licht quoll aus dem einzigen Scheinwerfer. Vor ihm tauchte eine Gruppe mit vier jungen Quastenflossern auf, die gerade einmal vierzig Zentimeter groß waren. Die Fische wirkten etwas merkwürdig, hatten vier paarige, muskulöse und fleischige Flossen, die wie Stiele aussahen. Die behäbigen Tiere bemerkten die kleinen Köderfische, die der Roboter ihnen vor der Nase wedelte. So leicht, wie sich die Fische anlocken ließen und in dem relativ kleinen Transportaquarium verschwanden, hatten sich die Studenten das Fangen nicht vorgestellt. So konnte sich die Maschine nach nur kurzem Aufenthalt wieder in Richtung Zukunft aufmachen. Sie las die eingegebenen Rückreisekoordinaten in den Zielspeicher und schon war sie wieder auf dem Weg. Die Reise endete wie sie begonnen hatte.
Von oben drang schwaches Sonnenlicht in die Tiefe. Doch die erwartete Bergungsleine tauchte nicht auf. Die Energievorräte erschöpften sich zusehends. Kurz bevor die Batterien völlig aufgebraucht waren, öffnete eine Notfallschaltung das Schott und entließ die Tiere ins Meer. Die Programmierung des Roboters, der kurz danach auf den nahen Boden sank, sah vor, dass das Leben von transportierten Kreaturen unbedingt geschützt werden musste.

Auf dem Schulschiff herrschte ausgelassene Stimmung. Das Team aus Studenten bereitete einen Roboter für seine Reise in die Vergangenheit vor, um ein paar ausgestorbene Fische in ihre Zeit zu holen. Das Echolot suchte gewohnheitsmäßig den Grund ab und entdeckte dabei einen Gegenstand, der dort nichts zu suchen hatte. Sie ließen eine Bergungsleine, die mit einer kleinen Kamera am Karabinerhaken ausgestattet war, in die Tiefe hinab, um zu sehen, was das Signal ausgelöst hatte. Mit einem metallenen Ton, traf der Haken das stark bewachsene Metallgehäuse. Mittels dreier Manövrierdüsen suchte der Karabiner den Corpus ab. Er fand eine Öse, in die er sich sodann einklinkte. Anschließend wurde das Signal zur Bergung ausgelöst. Das alles geschah vollautomatisch und ohne menschliches Zutun.

Die Studenten drängten sich um ihren Professor, der das Objekt untersuchte. Das war eindeutig ein Zeitreiseroboter, soviel stand fest. Nur verstand niemand, warum das Gerät so zugewachsen, noch warum das Transportbehältnis leer war. Vorsichtig schlossen sie den internen Speicher an eine separate Energieversorgung an und luden die Daten. Die Analyse der Programmierung erbrachte, dass der Roboter zuletzt Quastenflosser transportiert hatte. Die Frage war wieso? Keiner von ihnen würde sich die Mühe machen, diese Fischart aus der Vergangenheit holen zu lassen, natürlich war sie ein Fossil, aber mit Sicherheit nicht ausgestorben. Ein Blick auf das Echolot genügte, um in etwa zweihundert Meter Tiefe ganze Schwärme von ihnen zu orten.

Und auch im Geschichtsbuch konnte die Wiederentdeckung dieses Geschöpfes von jedem nachgelesen werden. So war es der Kuratorin des Naturhistorischen Museums von East London am 22.12.1938 in Südafrika gelungen, zwischen Haien in einem Schleppnetz einen recht ungewöhnlichen Fisch zu entdecken. Dieser war anderthalb Meter lang und wog 52 Kilogramm. Der von ihr mit der Überprüfung des Fisches betraute Professor J.L.B Smith von der Rhodes-Universität in Grahamstown glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Diesen Fisch kannte der Professor bisher nur von Fossilien und hielt ihn für ausgestorben. Er ordnete ihn als Hohlstachler ein. Einer Seitenlinie der Quastenflosser. Nach der Entdeckerin des Fisches, Miss Courtenay-Latimer und dessen Fundort nannte er ihn daraufhin Latimer Chalumnae. Der Quastenflosser lebte tatsächlich und immerhin vierzehn Jahre später wurde bei der Komoreninsel Anjouan ein zweites Exemplar gefangen. Dort war die Art als billiger und wenig begehrter Speisefisch unter dem Namen „Kombessa“ bekannt. Nein die Sache ergab keinen Sinn.

Aber vielleicht würde die Identifikation der Maschine ihnen weiterhelfen, den Besitzer aufzuspüren und diesem ein paar Fragen zu stellen.

Behutsam säuberten sie die Kontrollplakette des Gerätes, um die Seriennummer freizulegen. Ungläubig starrten sie darauf, dann auf ihren Roboter, die Nummern waren identisch. Aber das konnte doch wohl nicht sein?

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
Dieser Text enthält 6262 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.