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Dezember 2005
Wulfs Höllentour
von Christiane Gref

Wulf hĂ€tte sich niemals trĂ€umen lassen, einmal selbst bei einem Hexenprozess dabei zu sein und dann auch noch als Angeklagter. Er war sich keiner Schuld bewusst, wollte stets nur seinen Mitmenschen helfen, deshalb verkaufte er seine berĂŒhmte Salbe in verschiedenen Dörfern. Wulf war Weltreisender, er hatte noch nie ein Dorf zweimal besucht.

Jetzt saß er auf einem wackligen Schemelchen, ruderte sachte mit den Armen, um nicht die Balance zu verlieren und ließ seinen Blick schweifen. Vor ihm, auf einem Podest, rutschte der Inquisitor nervös auf seinem Stuhl hin und her, kratzte sich soeben vehement unter seiner roten Robe, das Gesicht ob des Juckreizes zur Grimasse verzogen. „FilzlĂ€use“, dachte Wulf, „meine Salbe wĂŒrde ihm helfen“. Flankiert wurde der Inquisitor von zwei weiteren MĂ€nnern, vermutlich seinen Schergen. Seitlich, an einem gesonderten Tisch, saß der Protokollant mit einer gespitzten Schreibfeder in der Hand.
Wulf bemerkte, dass ein Platz leer war. Ein großer Ebenholzstuhl, fast schon ein Thron, mit vielen Schnitzereien versehen, stand in der Mitte des Raumes. HĂ€tte Wulf dem Klatsch in den Dörfern Beachtung geschenkt, so wĂŒsste er, dass es sich bei dem Stuhl um den sogenannten Satanssitz handelte. Es hieß, er befördere Menschen direkt ins Fegefeuer.

Der Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Lediglich zwei BĂŒttel standen gelangweilt an der TĂŒr und gaben acht, dass der Gefangene keinen Fluchtversuch unternahm.
Die Verhandlung nahm ihren Lauf. Wulf wurde zur Last gelegt, zahlreiche Menschen mit seiner Salbe vergiftet zu haben. AusschlĂ€ge und Unfruchtbarkeit seien noch die geringsten Übel, die er verursacht habe. Als gravierender wurden die Missernten und plötzlichen Kindstode angesehen. Der Angeklagte bestritt eisern, die Schuld daran zu tragen, gab jedoch zu, verdorbenes Fett fĂŒr seine Paste verwendet zu haben, um Geld zu sparen. Von dem angeblichen Pakt mit dem Teufel wusste er nichts. Der Inquisitor beschloss, das Verfahren etwas abzukĂŒrzen und gleich zum Kern der eigentlichen Angelegenheit zu kommen.
„So verurteile ich dich, Wulf, Sohn des Wilfried aus Steinheim, auf dem Satanssitz Platz zu nehmen, auf dass deine Seele geprĂŒft werde. Solltest du wider Erwarten unschuldig vor Gott sein, so wird der AllmĂ€chtige verhindern, dass deine Seele zur Hölle fĂ€hrt“, sprach der Inquisitor salbungsvoll. Dabei deutete er mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Satanssitz. Kurz darauf kniff er gequĂ€lt die Augen zusammen und kratzte sich ausgiebig die unteren Regionen. Zögernd erhob sich Wulf von seinem Schemel und taumelte dem Stuhl aus Ebenholz entgegen. Als sein Hosenboden die samtbezogene SitzflĂ€che berĂŒhrte, spĂŒrte Wulf eine eigenartige WĂ€rme, ein Kribbeln. Ein Blick zu den BĂŒtteln - ein Entkommen war unmöglich. Er klammerte sich inbrĂŒnstig an den Gedanken, dass Gott ihm das ranzige Fett nachsah. Liebte Er nicht alle seine Kinder? Wulf spĂŒrte, wie sein Po am Sitz festklebte. Seine HĂ€nde, die er zum AbstĂŒtzen auf die Armlehnen des Stuhls gepresst hatte, gingen eine Symbiose mit dem Holz ein. Seine gesamten Konturen verwischten. Ein entsetztes Wimmern drĂŒckte sich aus seiner transparent werdenden Kehle. Wulf löste sich buchstĂ€blich in Luft auf.

Da der Inquisitor und seine zwei Helfer an dieses PhĂ€nomen gewöhnt waren, zeigten sie keinerlei GefĂŒhlsregung. Seit sie den Stuhl vor zehn Jahren von seiner Heiligkeit, dem Papst, als Waffe Gottes erhalten hatten, war der Sitz schon unzĂ€hlige Male zum Einsatz gekommen.
Der Protokollant notierte gleichgĂŒltig das Verschwinden des Angeklagten. Lediglich die BĂŒttel standen mit einem Mal Ă€ngstlich stramm und fingen an zu beten.

Wulf wurde unterdessen in einen Strudel aus Farben gesogen und landete nach einer kurzen, aber rasanten Reise auf einer Wiese. Benommen und vor Angst erstarrt, blieb er einige Zeit liegen. Als sich die tanzenden Sterne vor seinen Augen verflĂŒchtigt hatten, rappelte er sich auf und sah an sich herunter. Scheinbar hatte ihm die absonderliche Reise keinen Schaden zugefĂŒgt, abgesehen davon, dass ihm etwas ĂŒbel war. Soweit so gut. Er wagte eine erste Inspektion seiner neuen Heimat. Die metallenen Drachen, die auf einer unnatĂŒrlich glatten Straße an der Weide vorbei rannten, passten nicht in sein Weltbild. Keine Frage, er war in der Hölle angekommen. Probeweise hielt er seine Nase in den Wind und schnupperte. Es stank nach Rauch, dem schwefligem Brodem der Unterwelt. Misstrauisch nahm er die Drachen in nĂ€heren Augenschein. Es gab sie in verschiedenen Farben. „Vielleicht eine Art Familienzugehörigkeit“, ging es Wulf durch den Kopf. Ihm fiel auf, dass die Menschen, die wohl von ihnen verspeist worden waren, noch lebten, ja gĂ€nzlich unverletzt waren. Wulf sah entspannte Gesichter, die durch farblose Schuppen der Bestien zu ihm schauten. Die Drachen selbst zeigten keinerlei Interesse an ihm, wahrscheinlich waren sie satt. Als er genug gestaunt hatte, wollte er mehr ĂŒber die Hölle lernen. Aufs Geratewohl lief er los, ĂŒber Wiesen und Felder. Nach einem zĂŒgigen Marsch von etwa einer halben Stunde, erreichte er den Eingang zu einem Dorf. Den allgegenwĂ€rtigen Drachen wich er aus.
In der Ortschaft angekommen, hielt Wulf inne. Sein Mund klappte auf, ehrfĂŒrchtig musterte er die HĂ€user. Wie unendlich reich mussten die Menschen hier sein? In sĂ€mtlichen HĂ€usern waren riesige Fenster aus echtem Glas. Manche GebĂ€ude sahen aus, als seien sie aus einem einzigen Stein geschlagen worden. Es gab viele Schilder, die an silbernen GestĂ€ngen hingen. Die Unzahl an Laternen; es musste eine wahnwitzige Arbeit sein, sie jeden Abend zu entzĂŒnden. Keinerlei Kot und Urin verunreinigte die Gehsteige. Und dann erst die Leute. Sie waren so sauber, ihre Kleidung war fremdlĂ€ndisch, aber von ausgesuchter QualitĂ€t und exquisit geschneidert. Die meisten Menschen, die er sah, ĂŒberragten ihn mindestens um HaupteslĂ€nge, sogar die Frauen. Dabei war Wulf mit seinem knappen Meter fĂŒnfzig sehr groß geraten. Neben ihm blieb unvermittelt eine junge Frau stehen. Sie hielt sich einen kleinen Metallkasten ans Ohr und plapperte aufgeregt hinein. Ihr Gesicht war bemalt. Eine Hexe! Schnell floh Wulf in eine menschenleere Seitengasse und atmete tief durch. Er brauchte dringend einen Plan, um sich unauffĂ€llig in die Masse der SĂŒnder einzugliedern, da er nun selbst dazu gehörte. Das hieß, er musste mit den anderen Höllenbewohnern Kontakt aufnehmen, durfte keine Angst vor ihnen haben. Ein rascher Rundumblick, wĂ€hrend er sich um seine eigene Achse drehte. Da sah er es, ein Fachwerkhaus mit einer massiven HolztĂŒr. Das GebĂ€ude erinnerte ihn an sein Zuhause. Hier wĂŒrde er einen ersten Versuch wagen. Wulf betrat das Refugium und fand sich in einer kleinen, gemĂŒtlichen Schenke wieder. Holztische und BĂ€nke, sowie ein offener Kamin und ein normal gewandeter Wirt, hießen ihn willkommen.
„Ach, was ein GlĂŒck. Eine kleine Trutzburg inmitten des SĂŒndenmollochs da draußen“, ließ sich Wulf vernehmen und plumpste zufrieden auf ein hölzernes BĂ€nkchen.

Der Wirt hatte kein Wort verstanden, stellte aber mit einem Kennerblick fest, dass der kleine Mann wohl zu der Gesellschaft gehörte, die fĂŒr heute einen großen Tisch reserviert hatte. Insgeheim schmunzelte der Wirt ĂŒber diese lustigen Gesellen, die sich mittelalterlich kleideten und sich im MajestĂ€tsplural ansprachen, als könnten sie eine lĂ€ngst vergangene Zeit ins Leben zurĂŒck holen. Doch weil sein kleines AmbientecafĂ© gut ging, machte er den Humbug gerne mit.
„Was darf ich Euch denn bringen?“, fragte der Wirt und befand die Verkleidung des kleinen MĂ€nnleins als wirklich gelungen. Sogar der Dreck in dessen Gesicht wirkte echt.

Wulf gestikulierte zu den BierkrĂŒgen, die auf einem Regal standen und deutete eine Trinkbewegung an. Der Wirt servierte ihm einen Humpen Gerstensaft „FĂŒr den ersten Versuch gar nicht schlecht. Und das Bier ist auch lecker“, dachte sich der kleine Mann und leerte den Krug zur HĂ€lfte. Kurze Zeit spĂ€ter bekam er Gesellschaft. Die soeben eintreffenden Mitglieder des Vereins „Historisches Mittelalter“ quetschten sich zu ihm an den Tisch. Als dann gar ein Ritter in PlattenrĂŒstung in den Raum geschritten kam, erhob sich Wulf, eilte auf ihn zu, warf sich vor ihm auf die Knie und begrĂŒĂŸte ihn in untertĂ€niger Manier. Allgemeines GelĂ€chter erklang ringsum. Gönnerhaft schlug ihm der Ritter auf die Schulter und zog ihn auf die Beine. Sein Haupt schicksalsergeben gesenkt, harrte Wulf der SchlĂ€ge, die nun normalerweise folgten. Doch sie blieben aus. Das Lachen verebbte und wurde von fragenden Tönen abgelöst. Wulf blickte schĂŒchtern auf und stellte fest, dass ihn alle GĂ€ste irritiert musterten. Puterrot nahm er seinen Platz am Tisch wieder ein. Der Ritter setzte sich neben ihn. „Oh nein, auch das noch!“, dachte Wulf entsetzt. Schnell musste er diese Scharte wieder auswetzen. Er hob seinen Krug und signalisierte dem Wirt `Bier fĂŒr alle am Tisch`. Das löste die Spannung. Freudig prostete sich die Runde zu.
Einige Humpen Bier spĂ€ter, war Wulf mutig genug, seine abenteuerliche Reise zu schildern. Da er die hiesige Sprache nicht beherrschte, glich seine Darstellung einem TheaterstĂŒck, er sprach betont artikuliert und untermalte seine ErzĂ€hlung mit vielen Gesten. Dabei kam ihm seine Erfahrung zugute, die er im Salbenverkauf gesammelt hatte. Es machte ihm Spaß vor fremden Menschen zu reden. Sein Publikum applaudierte begeistert.

Wulf verdankte es diesem Talent, dass der Wirt ihn bei sich aufnahm und ihm Arbeit in seinem CafĂ© gab. Der kleine Mann aus dem Mittelalter lernte mit Feuereifer. Nur wenige Monate spĂ€ter, stellte die Sprache kein Hindernis mehr dar. Jeden Tag ĂŒbte er sich im Lesen und Schreiben.
Drei Jahre spĂ€ter verpachtete ihm der Wirt das Mittelalter-CafĂ©, das inzwischen einige Filialen in der Stadt hatte. Wulf war stĂ€ndig ausgebucht. Jeden Abend erzĂ€hlte er seinem, immer grĂ¶ĂŸer werdenden, Publikum die Geschichte seiner verrĂŒckten Zeitreise. Er hatte einen Trend gesetzt. Mittlerweile dachte er nicht mehr gerne an sein frĂŒheres Leben zurĂŒck, bediente seinen Laptop und sein Handy so routiniert, als wĂ€re er in der neuzeitlichen Epoche aufgewachsen. Und manchmal, wenn er nachts nicht schlafen konnte, weil ihn dann doch Melancholie und Heimweh ĂŒberfielen, steckte er sich die kleinen Stöpsel seines MP3 Players in die Ohren und hörte In Extremo, dann stellte er zufrieden fest, dass die Hölle gar nicht so ĂŒbel war.

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