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Januar 2006
Nur vom Feinsten
von Sigrid Wohlgemuth

„Hast du alles, Doris?“, fragte Vasilis, als ich ins Auto stieg.

„Ich denke, ja.“

Ausgerüstet mit einer zwanzig Jahre alten Minolton Spiegelreflexkamera, deren stolze Besitzerin ich war, ging die Tour los. Nach zwei Stunden Fahrzeit näherten wir uns dem Cretaquarium.

„So viele Autos!“, rief Vasilis und ich spürte, dass er bei der Suche nach einem Parkplatz immer nervöser wurde.



Dann war es soweit. Wir standen in der elegant eingerichteten Empfangshalle, am Ende einer sehr langen Warteschlange.
„Freust du dich?“ Ich sah Vasilis an und konnte die Antwort in seinen strahlenden Augen ablesen.

„Seit Jahren habe ich Fische für dieses Aquarium aus dem Meer geholt. Jetzt kann ich dir jeden einzelnen zeigen.“



Nach einem Blick zum Eingang wurde es mir mulmig im Magen. Einen schwarzen Tunnelgang hatte ich dort ausgemacht. Aufgeregt zupfte ich Vasilis an der Jacke. Er neigte sich zu mir herĂĽber.
„Da ist es aber ziemlich düster. Du weißt doch, ich habe

Angst vor engen, dunklen Räumen“, flüsterte ich ihm ins Ohr.

Beruhigend tätschelte er meine Hand. „Das ist nur hier vorn, drinnen wird es heller. Die Aquarien sind von innen

beleuchtet.“
„Und die Gänge?“

„Ich bin doch bei dir.“ Er nahm die Karten entgegen. Ich griff nach seiner Hand und hielt sie ganz fest. Schon standen wir am Anfang des Tunnels. Ich spürte, wie mein Herz hämmerte. Vasilis zog mich weiter hinein in die Dunkelheit.



Im ersten Aquarium wimmelte es von Krebsen und Hummern. Das hatte mir gerade noch gefehlt! Ich hatte das GefĂĽhl, als wĂĽrde ich Vasilis Finger zerquetschen. Meine andere Hand krampfte sich um die Kamera.

„Siehst du, alles halb so schlimm“, versuchte er mich zu beruhigen und schlenderte zum nächsten Becken, das hinter einer Kurve lag. Verstohlen schielte ich um die Ecke, bevor ich mich näher heran traute. Vor Schreck zog ich kräftig an Vasilis Arm, sodass er das Gleichgewicht verlor. Seine Finger musste ich dabei loslassen. Als er wieder auf beiden Beinen stand, wandte er sich mir zu.



„Sollen wir rausgehen?“

Ich schüttelte heftig den Kopf und deutete auf das Fischbecken. Er drehte sich um und dann standen wir beide verblüfft da. Zahlreiche Besucher gingen an uns vorbei, zückten ihr Handy und fotografierten die Meereswelt. So, als wäre es ganz normal, was sie zu sehen bekamen.



„Ich kann es nicht glauben“, rief Vasilis und trat näher an die Scheibe. Ich folgte ihm vorsichtig, hielt jedoch Abstand.

„Das musst du unbedingt fotografieren!“

Ich nickte ihm zu, doch war nicht fähig die Kamera zu betätigen.

Unglaublich!

Da schwamm gerade ein zwei Meter langer grauer Hai an uns vorbei. Er trug ein Headset. Das Handy lag auf seiner Flosse.

Cool!

Ein silberfarbener Fischschwarm zog an unseren Augen vorüber. Der Fisch-Gruppenleiter hielt ein Schild hoch: 'Gruppe 4' stand darauf geschrieben. Mit umgehängten Digitalkameras folgte ihm der Rest der Truppe und verschwand in einer Grotte.



Ich erkannte im Hintergrund einen weiteren, kleineren Hai, heftig mit den Flossen gestikulierend. Es sah aus, als beschimpfte er eine Sting Ray, die lässig auf einem Felsvorsprung ruhte und Zeitung las.

„Hast du Fotos gemacht?“

„Nein.“ Ich hatte mich noch immer nicht von der Stelle bewegt.
„Schau mal.“ Er zeigte auf eine Gruppe von Fischen, die um einen Konferenztisch herum schwammen. Ein riesiger Flachbildschirm hing frei im Becken und übertrug die Börsennachrichten. Mein Blick wanderte zurück zum Tisch. Mit den Flossen schlug abwechselnd der eine oder andere auf die Aluminiumplatte. Beim größten vibrierten unnatürlich heftig die Kiemen, ein schmaler hyperventilierte, wenn rote Zahlen aufflackerten. Ein Faxgerät im Hintergrund warf unaufhörlich Papier aus. Eine Streifenbrasse tauchte eilends zwischen Gerät und Tisch auf und ab.



Langsam löste ich mich aus meiner Erstarrung und trat näher an die Glasscheibe. Was ich dort sah, übertraf meine sonst lebhafte Fantasie bei weitem. Technologie vom Feinsten, verankert in einer Tiefenwelt. Es gab nichts, was nicht dort vorzufinden war. Schnell versteckte ich meine Minolton unter der Jacke. Vasilis wurde darauf aufmerksam.

„Was machst du da?“

„Ich ... ich kann doch nicht mit so einem alten Ding Fotos machen.“

„Wieso nicht?“

„Siehst du denn nicht? Die Fische sind viel besser ausgestattet.“
„Das ist verständlich, das Fischinstitut möchte reichlich Besucher anziehen. Der Bau hat einige Euros ...!“

„Sei ehrlich, findest du es normal, dass Meerestiere Rechner, Fax, Handy, TV, schnurlose Telefone haben? Das erinnert mich mehr an Disneyworld.“

„Warum nicht?“ Er zuckte mit den Schultern. „Mach jetzt Bilder, dann gehen wir weiter.“
Ich nickte, sah mich nach allen Seiten um, zog die Kamera unter meiner Bekleidung hervor und schoss Fotos, weil das meine Familie und Freunde zu sehen bekommen sollten. Die würden mich für verrückt erklären, wenn ich nur davon erzählte und keine Beweise lieferte.



Vor lauter Staunen war meine Angst verschwunden. Wir gingen weiter in der dunklen Halle herum. Erwartungsvoll spähte ich ins nächste Becken.

Langusten! Ausgewachsen und von enormer Größe. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper. Ich blieb mit Sicherheitsabstand vor dem Becken stehen. Dann fiel mir in einer Ecke, unter einem Felsvorsprung, ein noch größeres Exemplar, des Ungeheuers auf. Es tippte auf einem Laptop. Vor lauter Neugier traute ich mich näher heran und erkannte, dass die Languste im Internet auf Seiten für Boote surfte.

Ob sie sich ein Segelboot ... Das war mir zu viel des Guten und ich kniff mich in den Arm, um festzustellen, ob ich nicht träumte.



Verdammt! Das hatte wehgetan. Vasilis war in der Zwischenzeit weitergegangen. Ich machte einen Schnappschuss, dann eilte ich ihm nach. Wir standen vor einer Fischart, die ich gerne angerichtet auf dem Teller sehe. Seelenruhig zogen die Meeresbewohner ihre Runden. Luft wurde ins Wasser geblasen und es entstanden kleine Wellen. Doch diese groĂźen Fische konnte nichts aus der Ruhe bringen. Das Becken war mit Gartenzwergen ausstaffiert.

Hobbygärtner im Ruhestand, ging es mir durch den Kopf und ich konnte mein Lachen nur schwer unterdrücken.



Grelles Scheinwerferlicht ließ die weiß schimmernden Quallen in einer Beleuchtung erscheinen, wie bei einer exklusiven Modenshow. Eine Kamera war auf ein männliches Seepferdchen gerichtet. Man erkannte, dass es kurz vor der Niederkunft stand. Mit Diktiergeräten bewaffnete goldfarbene Fische bildeten einen Halbkreis um das Tier herum.



Ein ansehnlicher brauner Fisch schwamm seine Runden vor einem Bankautomaten. Ich erschrak, als ich ganz in seiner Nähe eine Muräne erblickte. Endlich konnte ich wenigstens einen Fisch beim Namen nennen. Versteckt in einem Erdloch lauerte sie auf ihren Angriff.

Wie im Horrorfilm!
Plötzlich schnellte sie mit weit aufgerissenem Maul hervor.



„Wieso schreist du?“, fragte Vasilis.

„Bist du blind? Hast du nicht gesehen, wie die Muräne zuschnappte?“

„Du siehst blass aus, geht’s dir nicht gut?“ Er sah mich besorgt an. Erst da bemerkte ich, dass er vor meinem Bett stand. Ich schlug wütend die Decke zurück und sprang auf.

„Ist doch alles Mist!“

„Wieso?“

„Mein Rechner ist abgestürzt! Ich falle ständig über das Telefonkabel, habe kein Handy, geschweige denn eine Digitalkamera, und unser Fernseher pfeift aus dem letzten Loch. Und die Fische hatten alles! Ganz besonders diese eklige, rötliche Languste! Ha! Einen Laptop vom Feinsten!“ Ich lief im Zimmer umher und fuchtelte wild mit den Armen.

Auf einmal spĂĽrte ich Vasilis Hand auf meiner Schulter.

„Was redest du für wirres Zeug?“ Sorgenfalten zeigten sich auf seiner Stirn.

„Du hast es doch selbst gesehen! Im Aquarium!“

„Aber wir fahren doch erst nachher ...“



sigrid_wohlgemuth@yahoo.de

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