Der Tod aus der Teekiste
Der Tod aus der Teekiste
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Januar 2006
Bühnenreif
von Ulrike Lauterberg

Teresa sah mich mit zusammen gekniffenen Augen an. Sie stand neben dem Kühlregal bei Aldi und brüllte: ”Du bist total geizig. Stell dich nicht so pingelig an!” Kraftvoll fuhr sie sich mit der Hand durch ihren modischen Kurzhaarschnitt. Die umherstehenden Kunden sahen in unsere Richtung, amüsiert. Schrill und hemmungslos hallte ihre Stimme durch den Markt und ich hätte mich am liebsten aufgelöst. Zu allem Überfluss stampfte sie auch noch mit dem Fuß auf. ”Warum geht das nicht?”, fragte sie fordernd. ”Ihr Geizkragen könnt mich mal. Ich will einkaufen was mir schmeckt!”

”Nicht schon wieder!”, knirschte ich leise, holte tief Luft und bat erneut: ”Teresa, bitte leg den Fisch zurück, der ist zu teuer und zwei Packungen Lachs reichen.”

Grinsende Kunden drängten sich an unserem halbvollen Einkaufswagen vorbei.

”Ich hab dir schon so oft gesagt, dass ein fester Betrag zur Verfügung steht.”

”Ist mir doch egal, den kaufen wir jetzt, basta!”, fauchte sie und warf weitere Packungen in den Wagen.

Hitze stieg in meinen Adern hoch, rauschte durch den Kopf und das typische Klingeln in den Ohren setzte ein; das Zeichen für Stress. Mit Mühe beherrschte ich mich nicht zurückzubrüllen. Ich atmete durch, das Rauschen klang ab. Plötzlich war in mir das Gefühl, neben mir zu stehen. Meine Gliedmassen wurden schwer, als würden Bleigewichte an ihnen hängen.

Einmal in der Woche stand Einkaufen auf dem Plan. Für jede Wohngruppe musste eine Bewohnerin mit einer Betreuerin oder dem Zivildienstleistenden den Vorrat für sieben Tage einkaufen. Der Zivi war im Urlaub, somit beschlossen Teresa und ich heute Morgen zusammen diese Aktion zu starten.

Sie schimpfte weiter, ich hielt ihr den Einkaufszettel vor die Nase und erklärte: ”Dann reicht das Geld nicht für andere wichtige Dinge.” Teresa machte große Augen, sah prüfend den Zettel an und nach einer Weile rief sie: ”Da, ich hab’s, dann fehlt eben mal das Toilettenpapier, sollen sie doch nicht immer soviel Blatt nehmen oder zur Abwechslung Tempotücher benutzen.”

Ich sah es genau, obwohl sie sich den Krabbensalaten zuwandte: Sie schmunzelte verschmitzt.

Gerne hätte ich sie jetzt geschüttelt. Ruhig, bleib ganz ruhig, suggerierte ich mir, du bist Betreuerin, kompetent genug, um damit zurechtzukommen. Eine schizophrene Psychose ist schließlich kein Honigschlecken. Ich flüsterte: ”Ich werde jetzt zu unserem Bus gehen, einsteigen und dort auf dich warten. Hier hast du das Geld und den Einkaufszettel. Setz dich bitte später selber mit den Mitbewohnern auseinander. Bis nachher.”

”Halt!”, rief sie und hielt mich am Ärmel fest. Kleinlaut, mit Schmollschnute, packte sie den Edelfisch zurück ins Kühlfach. ”Na gut, du hast gewonnen. Das ist aber Erpressung”, sprach sie im weinerlichen Ton. Das erinnerte mich an irgendetwas. Was war es nur? Ich kam nicht darauf. Meinen Pulsschlag spürte ich bis zum Hals. Ein älterer Herr stand unverfroren neben uns, lauschte grinsend unserer Diskussion. Einem inneren Impuls folgend hätte ich ihm am liebsten die Zunge herausgestreckt.

Als wir nach einer halben Stunde die Ware aufs Förderband und wieder in den Wagen zurückgepackt hatten, bezahlte ich und schob den schweren Metallrolli aus dem Supermarkt. Vier der zehn Hühnereier hatten den Wurf vom Band in den Wagen trotz des stabilen Pappkartons nicht überstanden. An der Seite liefen Eiweiß und Dotter heraus und tropften zäh auf die Spülmittelflasche mit Zitronenduft. Die Eier waren das einzige, was Teresa gelangweilt vom Transportband in den Wagen geworfen hatte, dann konnte sie nicht mehr. Sie sei erschöpft, sagte sie mit verdrehten Augen.

Schweiß lief mir den Rücken herunter und löste einen Juckreiz aus. Warum muss es heute auch noch so heiß sein? Während ich dem Himmel einen bösen Blick zuwarf, öffnete ich die Heckklappe des Transits. Dann lud ich die Lebensmittel ein. Teresa löschte ihren Durst und sah zu, wie ich mich plagte. ”Sabine, ich bin begeistert, das ging super. Du hast es blendend gemeistert.”, sprach sie.

Hatte ich mich verhört? Ich unterbrach das Einpacken und stemmte wütend meine Arme in die Hüften, wandte mich aber nach kurzem Überlegen wieder meiner Arbeit zu. Meine Fassade wollte ich um jeden Preis aufrecht halten. Wie sollte ich jetzt reagieren?, fragte ich mich, während meine Mimik unverändert blieb, mit strengem Blick und der steilen Zornesfalte über meiner Nasenwurzel.

”Blendend? Ha! Der Einkauf ist absolut daneben gelaufen. Ich bin echt sauer auf dich.”, antwortete ich.

”Was?”, fragte Teresa erstaunt. ”Wie kommst du denn darauf? Sabine, das lief doch prima! War ein Riesenspaß für mich. Aber okay, wir reden in der Wohngruppe darüber.”

Meinte sie das ernst oder machte sie sich lustig über mich? Aber würde sie mich dann so liebevoll anblicken. Während ich weiter Margarine und Kartoffeln, wie auch die zerdätschten Hühnereier in einer der Einkaufskisten verstaute, fühlte ich plötzlich, wie sehr ich sie mochte. Immer wieder bot Teresa mir Gelegenheiten, an meine eigenen Grenzen zu stoßen, so wie heute. Sie war ein besonderer Mensch, oft extrem in ihrem Handeln, kompromisslos, was ihr Denken betraf, sich über starre Vorschriften hinwegsetzend. Darum beneidete ich sie. Teresa verstand es, mich zum Lachen oder Weinen zu bringen. Jetzt liefen mir ein paar Tränen übers Gesicht, die ich verstohlen fortwischte. Ich war an meiner Grenze angelangt. Heute Morgen noch freute ich mich auf die Fahrt und dachte, mit ihr, würde es ein toller Tag werden. Sie hatte eine Super Show geliefert im Aldi und hielt immer noch durch. Die Sonne brannte auf meinem Hinterkopf und ich fühlte, dass ich sie nicht nur beneidete, sondern auch bewunderte.

Ich hievte den Karton mit den zwölf Litern Milch in den Bus. Der Haarpony klebte in den Schweißperlen meiner Stirn. Teresa lehnte mit geschlossenen Augen am Kotflügel, das Gesicht der Sonne zugewandt, lächelnd. Tief inhalierte sie den Rauch ihrer Zigarette, die sie sich von dem neben uns parkenden Kunden geschnorrt, und mit einem Mal wusste ich es. Ihre ungestüme Freiheit war es, um die ich sie beneidete und ihre Lebensfreude, deretwegen ich sie bewunderte.

Ob sie das ahnte?



Die Lebensmittel waren verstaut. Schwitzend und erschöpft fiel ich auf den Fahrersitz, drehte das Fenster herunter und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Es war stickig im Wagen. Teresa kam hinterher, warf sich neben mich. Sie hielt mir strahlend die Hand hin und sagte: ”Sabine, ich möchte mich bei dir für das Verhalten im Laden entschuldigen.” Das Schmunzeln verwandelte sich in ein draufgängerisches Grinsen, das durch ihre grell rot geschminkten Lippen noch breiter wirkte. Hatte ich bis dahin noch grummelnd zu ihr herübergeschielt, konnte ich nun ihrem Charme nicht widerstehen, brach in Lachen aus und schlug ein. Im selben Moment – ich erschrak – stürzte sich Teresa jauchzend über die Gangschaltung hinweg auf mich. Ehe ich ”Nein!” sagen konnte, saß sie auf meinem Schoß.

”Ach Bine, du bist ein Schatz”, brüllte sie in mein Ohr. Während ich versuchte, sie abzuwehren, bemerkte ich aus den Augenwinkeln einen Mann, der uns anstarrte. Sein Mund stand offen. Es war der ältere Herr, der bereits die Szene im Supermarkt hemmungslos beobachtet hatte. Nun musterte er uns kopfschüttelnd. Atemlos durch Teresas Körpergewicht keuchte ich: ”Sieh mal, wir haben schon wieder einen Zuschauer.” Langsam, an ihrer Schulter vorbei, drehte ich den Kopf zum Fenster und gab meinem inneren Zwang nach. Ich rief: ”Gibt’s hier irgendwas zu sehen? Hast du immer noch nicht genug? Hast wohl keinen Fernseher zu Hause.” Und dann streckte ich weit, sehr weit meine Zunge heraus. Plötzlich tasteten Teresas Hände hektisch an der Innentür entlang, bis sie die Kurbel gefunden hatten. Im Eiltempo drehte sie das Seitenfenster hoch. Sie schüttelte den Kopf und sprach: ”Na gut Sabine, bevor noch mehr Frechheiten über deine Lippen kommen und wir Ärger kriegen, denke ich mal, wir lassen es gut sein. Unser Tausch ist hiermit beendet, ich entbinde dich von der Rolle als Betreuerin.”

”Gott sei Dank! Gerne, aber geh jetzt endlich mit deinem dicken Hintern von mir runter. Du bist viel zu schwer.” Teresa grunzte, zog sich am Deckenfalz hoch und ich rutschte unter ihr weg, rüber auf den Beifahrersitz. Dort war mein wahrer Platz. Ich lehnte mich erschöpft, aber erleichtert zurück. Teresa legte den Gurt an und startete.

”Ich hab genug. Mensch, dein Job ist aber nicht leicht”, sagte ich respektvoll.

”Das stimmt, aber er macht auch Freude.”

”Bin ich tatsächlich so laut, schwierig und aufdringlich?”, fragte ich vorsichtig.

Teresas Lachen erklang, warm und herzlich wie immer; vertraut, belebend. Alles an mir fühlte sich wieder leicht an; ich war in Sicherheit.

”Ja, Sabine, an manchen Tagen bist du tatsächlich so. Deine Rolle zu übernehmen war auch nicht leicht für mich und ich danke dir, dass ich diese Erfahrung machen durfte. Du aber hast sehen können, dass du dich beherrschen kannst. Einen großen Schritt nach vorne hast du heute gemacht.”

Mit einem guten Gefühl richtete ich mich auf.

”Stimmt. Hat mich aber ’ne Menge Kraft gekostet.” Ich klappte die Sonnenblende herunter und starrte in den Spiegel. Ist ewig her, dass ich mich angesehen habe. Mein Gesicht leuchtete rosig. Ich fragte: ”Darf ich nächste Woche wieder deine Rolle übernehmen? Oder war das nur mal eine Ausnahme?”

Teresa antwortete nicht, aber ich sah ihr Lächeln und wie sie sich kraftvoll mit der Hand durch ihren modischen Kurzhaarschnitt fuhr.

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