Der himmelblaue Schmengeling
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Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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Januar 2006
Ein seltsames Völkchen
von Christine Hettich

Ich kann nicht erklären, warum ich mir das einmal pro Monat antue. Wie fast allen

Frauen sind mir Stammtische und ähnliche Versammlungen ein Gräuel. Die dummen Sprüche und Hinterhof-Philosophien, die dabei entstehen, langweilen mich zutiefst. Dennoch, seit nunmehr fünf Jahren habe ich keine unserer Verabredungen verpasst. Es war Marias Idee, ein monatliches Treffen ins Leben zu rufen.

„Ich bin dabei“, rief ich damals voller Übermut. Ein Großteil meiner Begeisterung war allerdings auf meinen vorangegangenen Chianti-Konsum zurückzuführen. Außerdem glaubte ich kein besonderes Risiko einzugehen. Der Rest der Gesellschaft befand sich schließlich in einem ähnlichen Zustand wie ich, das heißt mehr oder weniger stark alkoholisiert. So kann man sich irren. Heute bin ich die Gastgeberin. „Wir sind schon ein seltsames Völkchen“, denke ich, während ich die Schnittchen belege. Nehmen wir einmal Jutta, unsere Emma-abonnierte Frauenrechtlerin. Sagt „Sie“, wenn sie von Gott spricht, aus Prinzip versteht sich, sie glaubt nämlich gar nicht an eine höhere Macht. Dann Tom, Macho und Frauenheld. Wie man sich denken kann, liegen sich Jutta und er oft in den Haaren, ihre Ansichten liegen weit auseinander. Klaus ist ebenfalls ein ziemlich schräger Typ. Mit seinen achtundvierzig ist er immer noch ungewollt Single. Das liegt daran, dass seine Eroberungen spätestens dann die Flucht ergreifen, wenn sie ihrer zukünftigen Schwiegermama vorgestellt werden. Die hat bisher alle abgeschreckt – und Klausi wird auch nicht jünger. Maria ist ein Fall für sich. Sie leidet unter einem seltsamen Zwang, muss einfach mit jedem Mann, den sie kennt, wenn auch nur flüchtig, sofort ins Bett gehen. Das sei eine nicht steuerbare Manie, erklärte sie uns. Um sich davon zu heilen, geht sie seit kurzem zu einem Psychoanalytiker. Der hat sie dazu ermuntert, alles zu sagen, was ihr durch den Kopf geht, einfach so, ohne zu überlegen. Er meinte, dies sei die beste Methode, um die inneren Konflikte, die im Unterbewusstsein schlummern, an die Oberfläche zu bringen. Was Maria zuerst einfiel, war natürlich: „Herr Doktor, ich würde gern mit Ihnen schlafen.“ Seither bumst er sie einmal pro Woche auf Krankenschein. Und was ist mit mir? Nun, ich bin einfach stinknormal. Beruf: Beamtin; Familienstand: geschieden; Kinder: keine; Hobbys: lesen, Computerspiele. Banal! Da gibt es nichts Außergewöhnliches, außer vielleicht meine Vorliebe für bestimmte Tierchen: Spinnen. Was mich an diesen niedlichen Geschöpfen reizt, ist die Tatsache, dass viele Weibchen nach der Paarung ihren Partner töten. Dies fasziniert mich dermaßen, dass ich es nicht lassen kann, es ihnen nachzuahmen. Nicht jedes Mal, das würde auffallen und dies entspräche nicht meinem Stil, ich bin eher diskreter Natur. Lediglich hin und wieder gönne ich mir den Spaß. Selbstverständlich sind meine Beweggründe nicht die gleichen wie die der Spinnen. Nein, ich verspeise meine Liebhaber nicht anschließend, das wäre wohl ziemlich skurril, nicht wahr?

Tom kommt als Erster zu unserem Treff. Natürlich kann er seine Macho-Sprüche nicht lassen. Ob wir uns danach nicht noch ein wenig vergnügen könnten, schließlich wolle ich doch auch nichts anderes. Vorsicht Tom, du spielst mit dem Feuer. Nachdem alle eingetroffen sind und ein paar Flaschen Wein geleert wurden, lösen sich die Zungen. „Was haltet ihr davon, wenn jeder von uns eine Geschichte erzählt? Irgend etwas Verschrobenes, das ihm widerfahren ist. Also ich hätte da was“, meint Klaus.

„Du hast immer etwas. Das Problem ist nur, dass es keiner hören will. Lass mich raten, es geht um deine Mutter, oder?“, antwortet Jutta.

„Nun lass ihn doch, ich finde die Idee interessant. Fang schon an, Klausi, du musst es offensichtlich loswerden“, erwidert Maria.

„Also gut. Als ich neulich von der Arbeit heimkam, war Hansi, Mamas Wellensittich, weg. Sie meinte, er sei ihr aus Versehen vor die Düse des Staubsaugers geraten, als sie den Käfig reinigen wollte. Ein schrecklicher Tod, finde ich. Nun ja, ich ging zum Tierladen bei uns um die Ecke und suchte einen neuen Vogel aus. Beim Bezahlen fragte mich der Ladenbesitzer: „Sagen Sie mal, Herr Schulze, was macht ihre Mutter eigentlich mit so vielen Wellensittichen? Das ist bereits der fünfte diesen Monat.“

„Deine Story ist bescheuert“, sage ich. „Entweder ist deine Mutter senil oder sadistisch. Stecke sie endlich in ein Heim und lebe dein eigenes Leben.“

„Und wenn du irgendwelche Probleme mit Vögeln hast“, antwortet Maria, „wende dich einfach an mich.“

„Ich habe auch eine Tiergeschichte“, ergänzt Tom. „Wie ihr wisst, trage ich mich schon seit längerem mit dem Gedanken, mir einen Hund zuzulegen. Ich stelle mir da einen Dobermann oder Rottweiler vor, ein Tier, das ein wenig Eindruck macht, eben.“

„ Sicher“, erwidert Jutta „manche Männer brauchen ein großes Auto, andere ein großes Tier um sich bestätigt zu fühlen.“

„Der Rotwein ist leer“, rief Klaus dazwischen. Toms Geschichte interessierte ihn offensichtlich nicht besonders. Unbeirrt erzählte dieser aber weiter.

„Da fiel mir neulich eine Kontaktanzeige ins Auge: Junge Frau mit Hund, 26, groß, blond, sucht Freizeitpartner. Zwei Fliegen mit einer Klappe! Ich meldete mich und erlebte eine bittere Enttäuschung, wegen des Hundes, meine ich. Es handelte sich um einen hässlichen, kläffenden, nicht stubenreinen Yorkshire, mit Schleifchen im Haar, pardon, im Fell. Damit sollte ich mich nun anfreunden.“

An dieser Stelle konnte sich Maria das Lachen nicht verkneifen. Auch ich fand die Vorstellung, dass Tom mit einem Schoßhündchen Gassi ging, einfach köstlich!

„Die kleine Ratte war verweichlicht“, fuhr er fort. „Das stellte ich bald fest. Ich beschloss, seine Erziehung in die Hand zu nehmen, um doch noch so was wie einen würdigen Wolf-Nachkommen aus ihm zu machen. Nach einem stundenlangen Marsch in der Natur ohne Frauchen war er sogar in der Lage, Stöckchen zu bringen. Er schien kein ganz hoffnungsloser Fall zu sein. Ich schmiss das Stöckchen immer weiter weg und er sprang hinterher. Es wäre alles gut gegangen, wäre da nicht diese Böschung gewesen mit dem steilen Abgrund dahinter. Das war ein fantastischer Sprung, ich war beeindruckt. Er hat ihn leider nicht überlebt. Sein Frauchen hat es mir bis jetzt nicht verziehen.“

Alle lachen, außer mir. Ich finde das gar nicht lustig, hat mal jemand an den armen Hund gedacht? Maria will uns nun ihre Geschichte präsentieren.

„Vor ein paar Tagen lernte ich einen Mann kennen“, erzählt sie. „Einen gefährlichen Psychopathen, wie sich herausstellen sollte. Nach drei, vier Gläschen Wein in einer Bar lud er mich zu sich nach Hause ein. Ich machte mich im Bad ein wenig frisch, als ich ihn telefonieren hörte. Mir stockte der Atem, war er doch gerade dabei, in allen Details zu schildern, wie er drei Morde begangen hatte. Johnny hätte er mit dem Samuraischwert aufgeschlitzt, Lucians Kopf mit der Axt zertrümmert und Bills Schädel mit dem Gewehr weggepustet. Blut sowie Gehirnmasse sollen nur so gespritzt sein, ganz zu schweigen von den herausquellenden Gedärmen. Weitere Einzelheiten will ich euch ersparen. Von Panik überwältigt und vollkommen hysterisch rannte ich davon. Ich weiß nicht, ob es mir jemals gelingen wird, dieses Trauma zu verarbeiten.“

„Sprich doch mit deinem Therapeuten darüber“, sage ich grinsend. „Bestimmt weiß er Rat ... Vorausgesetzt, er findet Zeit dafür.“

Nachdem jeder seinen mehr oder minder klugen Kommentar abgegeben hat, ergreift Jutta das Wort.

„Ich bin das Opfer massiver Mobbing-Attacken, und dies, obwohl ich zweifelsfrei die engagierteste Physiklehrerin unserer Schule bin. Mir ist nicht entgangen, dass meine männlichen Kollegen hinter meinem Rücken tuscheln. Sie kritisieren meine innovativen Methoden, weil ihr beschränkter Geist nichts damit anzufangen weiß.“

„Der Rotwein ist immer noch leer“, unterbrach Klaus.

„Du nervst“, erwiderte Jutta und fuhr fort. „Damit könnte ich leben, es gehört zu den Opfern, die man als Pionierin aufbringen muss. Einer meiner Schüler allerdings machte mich zum Gelächter des gesamten Gymnasiums. Er hielt es für angebracht, mich in einem Brief zu kritisieren. Eine Kopie davon ging an den Rektor. Später hing sie, für alle sichtbar, am schwarzen Brett. Natürlich will es keiner gewesen sein. Ich habe den Wisch dabei:

Sehr geehrte Frau Rieger, Ich habe nichts dagegen, wenn Sie die Meinung vertreten, dass Mädchen auf einer emotionalen Ebene an die Physik herangeführt werden sollen. Auch Ihre New-Age-Ansichten enthalten durchaus brauchbare Elemente, zum Beispiel dienen sie der allgemeinen Erheiterung. Themen wie‚ Besitzen Eisenatome aus Meteoriten kosmische Kräfte?’, ‚Die Chemie eines Frühstückseis’, ‚Telepathie als Teil einer transzendenten Wirklichkeit’ kann man durchaus noch gelten lassen. Doch dass eine Ihrer Zwölftklässlerinnen sie fragt, was eigentlich ein Elektron ist und eine weitere die Meinung vertritt, dass es sich bei dem Begriff Palladium um ein italienisches Restaurant handelt, sollte Ihnen zu denken geben. Lassen Sie uns doch bitte zu den klassischen Physikthemen zurückfinden. Mit freundlichen Grüßen, J. Frey.

Ein unverschämter kleiner Besserwisser, findet ihr nicht?“, meinte Jutta in der Erwartung allgemeiner Zustimmung. Stattdessen erntete sie ein kollektives, höhnisches Lachen, wussten wir doch alle, dass sie als militante Frauenrechtlerin gerne mal über das Ziel hinausschießt. „Ich würde ihn zu gern aus meinem Leistungskurs schmeißen“, fügt sie hinzu, „doch er ist mit Abstand mein bester Schüler.“

„Was ist mit dir?“, wollen nun alle wissen, „erzähle du jetzt.“

„Leute, ich muss euch enttäuschen, ihr wisst doch, mir passiert nichts Aufregendes, mein Leben ist stinknormal. Ich würde euch nur langweilen.“, gab ich zurück.

Ohne Ausnahme geben mir alle Recht, sie kennen mich schließlich.



Nun sind sie gegangen, es ist inzwischen sehr spät. Der Rotwein trägt wesentlich zu meiner Müdigkeit bei. Zu gerne würde ich mich ins Bett begeben, doch ich habe noch eine Leiche im Keller: Viktor. Er war ein wunderbarer Liebhaber, voll ungestümer Leidenschaft. Es hätte gar nicht viel gefehlt, dass Amors Pfeile mich treffen. Ich kann aber nicht riskieren, dass all meine Prinzipien erschüttert werden. Meine kleine, ruhige Welt darf nicht ins Wanken geraten. Ich werde Viktor in den See werfen, wie die anderen.

Morgen nach der Arbeit will ich die dusselige Maria anrufen, um sie von ihrem vermeintlichen Trauma zu erlösen. Sicher, ich hätte ihr bereits heute Abend sagen können, dass Johnny, Lucian und Bill nichts als virtuelle Figuren in einem bekannten Horror-Computerspiel sind, doch ein bisschen Spaß muss sein, oder?

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