Das alte Buch Mamsell
Das alte Buch Mamsell
Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Linde Felber IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Januar 2006
Das Gewehr
von Linde Felber

Aloys lag auf dem Sofa im Wohnzimmer und zappte zwischen neunundneunzig Kanälen hin und her. Im Kachelofen knisterte ein Feuer. In der Küche werkte seine Frau. ‚Wenn sie nur nicht immer so viel Lärm machen würde!’
Rosa stieß die Tür auf und knallte einen Teller mit knusprig gebratenen Hühnerschenkeln auf den Tisch.
“Nicht so laut“, stieß Aloys hervor. Der Duft kitzelte seine Nase und die Stirnfalten glätteten sich. Er hievte den Oberkörper hoch und überlegte, welches Stück wohl das Beste wäre.
Da unterbrach der Lokalsender wegen einer dringenden Warnung:
‚Gefährlicher Braunbär gesichtet … ’
Rosa plapperte über die Hühnerschenkel.
„Psst!“
’… im Süden der Steiermark …’
Rosas Redeschwall brach nicht ab, Aloys verstand nur Wortfetzen.
‚ … Polizei sucht fieberhaft ….’
Er glaubte gehört zu haben, dass die Warnung für die Gegend galt, in der sein Bruder eine Berghütte besaß.

Aloys war hungrig wie ein Bär, doch nun musste er zuerst Georg warnen. Es könnte ja sein, dass er in der Hütte weilte, und das Raubtier ihm auflauerte. Nicht auszudenken. ‚Verdammt, warum kann Rosa niemals den Mund halten.’
„Bring das Telefon!“
Rosas kalter Blick streifte ihn. Sie nahm den Teller mit den Hühnerschenkeln und verschwand in der Küche.

Aloys wählte Georgs Nummer und betete, dass dessen Handy eingeschaltet war. Er hatte es ihm zum Geburtstag geschenkt. Für Notfälle.

„Da kannst du lange drauf warten“, hatte Georg beim letzten Treffen gesagt. „Ich lass mich im Urlaub nicht terrorisieren von euren verfluchten Neuerungen. Wenn ich auf der Hütte bin, brauch ich kein Telefon und kein Radio. Nicht mal die Nachrichten interessieren mich dann.“
Aloys legte auf. Es war sinnlos. Im Umkreis der Hütte gab es niemanden, den er hätte anrufen können. Vielleicht die örtliche Polizei? Wenn er sich aber verhört hatte, es gar kein Braunbär war, oder die Gegend nicht stimmte? Sie würden ihn auslachen, wieder für betrunken oder gar für verrückt halten. Er hatte bereits einige unliebsame Begegnungen mit der dortigen Polizei hinter sich. Er musste hinfahren, eine Stunde Autofahrt in Kauf nehmen.
Aloys tauschte die Jogginghose gegen die Wanderhose, holte den Rucksack und nahm sein Gewehr aus dem Schrank. Dann ging er in die Küche. Er wollte einige der köstlich duftenden Hühnerteile mitnehmen. Georg hatte bestimmt nichts Essbares in der Hütte.
Mit Schwung öffnete er die Küchentür. Die Platte war leer.
„Wo sind sie?“ Er deutete mit dem Gewehr darauf.
Rosa starrte ihn an, kreidebleich.
„Aloys, nicht …“. Sie öffnete den Müllschlucker, langte hinein, zog die Hühnerteile heraus und legte sie auf einen Teller. Vorher wischte sie jedes einzelne an ihrer Schürze ab.

‚Jetzt ist sie endgültig verrückt geworden!’
Aloys schulterte sein Gewehr und schlug die Tür hinter sich zu.





Georg schüttete sich ordentlich Whisky in die Kehle. Direkt aus der Flasche. ‚Herrlich, wie das brennt!’ Das Glas hatte er schon lange zur Seite geschoben und seine Brille oben auf platziert. Gestern war sie auf den Boden gefallen und er wäre beinahe darauf getreten. Das sollte nicht noch einmal passieren!

Draußen vor der Hütte schepperte der Deckel der Mülltonne zu Boden.
’Diese verdammten Marder. Stöbern wieder in den Abfällen herum und verstreuen den ganzen Mist. Nun ist Schluss!’
Schwerfällig erhob er sich und stapfte zur Tür. Er stieß sie auf, hielt sich am Rahmen fest. Gleißendes Licht blendete ihn. Instinktiv griff er auf den Kopf nach seiner Brille. Verdammt, die lag auf dem Whiskyglas! Er wollte umkehren, da erspähte er den Umriss einer mindestens zwei Meter großen Gestalt hinter der Mülltonne. Sie war in einen dicken Pelz gehüllt und hatte eine wuchtige Mütze auf dem Kopf.
Georg blinzelte ungläubig.
’Der Ausländer? Natürlich! Und ich Trottel hab’s ihm erzählt.’
Vor Tagen hatte sich einer zu ihm hinauf verirrt. In einen dicken Pelzmantel gehüllt und mit einer wuchtigen Mütze auf dem Kopf. Nach einer gemeinsam geleerten Flasche Whisky, die der Fremde aus seiner Tasche gezogen hatte, erzählte Georg von seinem Ärger mit den räuberischen Mardern und der Mülltonne. Der Fremde wäre ihm beinahe erstickt vor Lachen, und als Georg zum Abschied eine Flasche Whisky geschenkt bekam, begrub er sein hartnäckiges Vorurteil.
„Das wirst du mir büßen“, brüllte er, „verzieh dich, hau ab du Dreckskerl“.
Er riss beide Arme über den Kopf und schwenkte ein Holzscheit.
Der Eindringling stutzte, drehte sich um, und lief davon. Zuerst aufrecht, dann auf allen Vieren.
„Stockbesoffen auch noch“, murmelte Georg, und stolperte ihm nach. Licht und Schatten machte ihn ganz wirr. Und ohne seine Brille war er so gut wie blind.



Er stand plötzlich am Abhang, der zur Strasse führte. Der Fremde war schon ein Stück weiter unten, da gewahrte Georg am Straßenrand die Umrisse eines Polizeifahrzeuges. ‚Was haben die damit zu schaffen?’
Seine Überlegungen wurden von einem ohrenbetäubenden Krach durchbrochen. Ein Schuss. ‚Ein Schuss?’

Georg lehnte sich an einen Baum. Alles schwankte, auch der Fremde vor ihm. Dann sah er, wie der sich wieder aufrichtete und Sekunden später zusammenbrach.
Der aufdringliche Ton einer Polizeisirene schlug an sein Ohr.
’Soviel Polizei wegen einem Ausländer?’
Georgs Gehirn arbeitete, während er nach unten lief. Knapp vor dem Fremden bremste er seinen Lauf, rutschte aus, stolperte über ihn. Mit hartem Griff wurde er von hinten gepackt und weggezerrt. Sein Bruder Georg hatte ihn am Schlafittchen. Ein Polizist richtete den Lauf seines Gewehrs auf den Ausländer. Die Feuerwaffe zuckte nervös hin und her.
Georg riss sich los.
“Seid Ihr verrückt? Ihr hättet ihn doch nicht gleich erschießen müssen. Eine saftige Strafe und Urlaubsverbot bei uns hätten doch auch genügt!“

Aloys blickte betreten auf seine Schuhspitzen. Der Polizist vergewisserte sich, dass der Bär tot war, dann brach er in wieherndes Gelächter aus.
„Sind wir wieder einmal betrunken, Georg und haben Jagd auf harmlose Urlauber gemacht?“
Georgs Augäpfel rollten hin und her. Er fixierte die Gestalt auf dem Boden, schwankte und fiel um.




© Linde Felber


Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
Dieser Text enthält 6206 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.