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Januar 2006
Kaffeeklatsch
von Stefan Schweikert

”Sie wird wohl nicht mehr kommen”, sagte Großmutter zum Wolf.

”Hab noch etwas Geduld”, erwiderte dieser. ”RotkĂ€ppchen war lange nicht mehr hier. Vielleicht hat sie sich im Wald verlaufen.” Er schĂŒttelte den Kopf bis die grauen Spitzohren schlackerten.

Das brachte Großmutter sonst immer zum Lachen. Doch dieses Mal betrachtete sie traurig die festlich geschmĂŒckte Kaffeetafel. ”Sie will ihren Freund mitbringen. Bin gespannt, wer es ist. Aber sie ist ja ein hĂŒbsches und kluges MĂ€dchen.”

”Oh ja! Ich habe sie auch zum Fressen gern. Aber dein Kuchen ist ebenfalls nicht zu verachten.” Er schleckte mit der Zunge ĂŒber die Schnauze.

”SchwĂ€tz nicht so, das ist geschmacklos!”, schimpfte die Großmutter.

”Ach Oma! Ich bin der Wolf. Ich kann halt nicht anders. Komm, gib mir noch ein StĂŒckchen. Mein Bauch ist zwar voll, als hĂ€tte ich Wackersteine drin, aber ein Kleines passt noch rein.”

Plötzlich klopfte es.

Großmutter ging zur TĂŒr und öffnete sie. Draußen wartete eine junge Frau im schicken rotem KostĂŒm: ”Hallo Oma! Ich hab dir Kuchen und Wein mitgebracht.” Hinter dem MĂ€dchen stand ein smarter junger Mann im Nadelstreifenanzug. ”Und das ist mein Freund”, ergĂ€nzte RotkĂ€ppchen.

Großmutter trat beiseite und ließ die beiden ein. Sie setzten sich an den Tisch, unterhielten sich ĂŒber die Neuigkeiten im MĂ€rchenland. RotkĂ€ppchen lobte Omas Kuchen, ihr Freund bewunderte die spitzen ZĂ€hne vom Wolf.

Irgendwann fragte die Großmutter: ”Wie haben sie meine Enkelin kennen gelernt?”

”Bei der Arbeit.”

”Es hat sofort gefunkt”, ergĂ€nzte RotkĂ€ppchen und errötete.

”Sie sind auch im Kuchen- und GetrĂ€nkehandel tĂ€tig?”

”Nein. Nicht direkt”, erwiderte der junge Mann zaghaft. ”Eher universell ... psychologisch ... ich kĂŒmmere mich um die WĂŒnsche und BedĂŒrfnisse der Menschen ... An- und Verkauf ... sozusagen.”

”Oh! Sie sind doch nicht etwa ...” Großmutter schluckte.

”Nein, nein, nicht was sie denken!”, sagte er eilig. ”Obwohl manche glauben, ich sei der Teufel, so habe ich mit Seelen nur bedingt zu tun. Mein Name ist Mammon.” Er senkte beschĂ€mt den Kopf.

”Mammon? Aber dann sind sie ein Gott! Was tun sie im MĂ€rchenreich?”

”Ich versteh es selber nicht richtig. Da sitz ich gemĂŒtlich auf dem GötterhĂŒgel, sĂ€e ein wenig Neid und Missgunst und schau den Menschen beim Tanz ums Goldene Kalb zu. Und dann ... eh ich mich versehe ... bin ich hier.”

”Wie konnte das geschehen?”

”Nun ... wie gesagt ... ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, es hat was mit dem Geld zu tun. Anfangs dachte ich, es sei eine wirklich gute Idee. Die Menschen konnten handeln und raffen, ĂŒber Grenzen und Zeiten hinweg. Aber dann begannen sie, an das bedruckte Papier an sich zu glauben, an Markt und Gewinn und Zinseszins, ohne sich zu fragen, was dahinter steckt. Wie Sterndeuter und Kaffeesatzleser!” Mammon wurde zusehends lauter. ”Die HĂ€user der Menschen bestehen nicht mehr aus Holz und Stein und Arbeit, sondern aus Aktienkursen und Gewinnprognosen.”

”Warum Ă€rgert dich das alles?”, mischte sich der Wolf ein. ”Du mĂŒsstest der glĂŒcklichste und grĂ¶ĂŸte Gott von allen sein!”

”Du verstehst es nicht! Sie glauben an das ewige Wachstum, obwohl sie wissen, dass ihre Welt eine Kugel - etwas endliches - ist! Sie glauben an Gewinn fĂŒr alle, obwohl offensichtlich ist, dass wo gewonnen wird auch verloren werden muss. Der Goldesel ist wertlos, wenn jeder einen hat. Das unerschöpfliche FĂŒllhorn ist ein MĂ€rchen. Ich bin der Gott eines MĂ€rchens geworden! Deshalb bin ich hier!” Mammon schluchzte. ”Und am aller schlimmsten: FrĂŒher waren die, die an mich glaubten, glĂŒcklich. Heute sind die meisten unglĂŒcklich und darben ... und trotzdem ... trotzdem glauben sie an mich!”

RotkÀppchen legte ihren Arm tröstend um den Freund.

”Ich könnte dich fressen, wenn du es nicht mehr aushĂ€ltst”, bot der Wolf an.

”Ach was!”, rief RotkĂ€ppchen. ”Wie oft hast du die Großmutter und mich gefuttert? Das bringt uns nicht weiter.”

”Was wollen sie dann machen? Der Job des JĂ€gers wĂ€re frei”, schlug Großmutter vor. “Seit Bambi und seit alle vom Tierschutz reden, ist er nicht mehr besonders beliebt.”

”Und wie sollte er das machen?”, spottete der Wolf. ”Er stellt sich vor mich hin und sagt: ‚Hör zu! Ich bin der Mammon, und wenn du die Beiden nicht gleich wieder ausspuckst beschmeiß ich dich mit CentmĂŒnzen!‘ Ha! Die Kinder werden sich kringeln vor Lachen.”

”Nein”, sagte RotkĂ€ppchen. ”Wir haben einen besseren Plan. Mit Mammon als Experte in der GeschĂ€ftswelt, meiner Erfahrung im GetrĂ€nkehandel und meinem Namen ... ich hab da eine Sektkellerei im Auge.”



***

”Kaffeeklatsch”

V 1.2 * 02.01.06 – 12.01.06

© Stefan Schweikert

www.stefanschweikert.de

***

Letzte Aktualisierung: 27.06.2006 - 23.14 Uhr
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