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Januar 2006
Kein Koks für Lehmann, oder: Her mit der Dröhnung!
von Matthias Ziebarth

I

Für Überraschungen ist Lehmann gut, das muss man ihm lassen. Hundert pro: Eben hat er seine Nachos in die Himbeermarmelade getunkt, ins Glas gleich neben der Dip-Sauce. So ist er nun mal, unser Lehmann: immer ein bisschen extrem, ein bisschen schräg und ein bisschen doof. I proudly present: Oswald Lehmann, den Peinlichmann vom Altbau gegenüber. Schon seinetwegen hat sich die Investition in mein neues Fernglas gelohnt!

Wenn du wüsstest, wie porentief nahe ich dir bin, Lehmann! Per Fernglas weiß ich nämlich von Sächelchen, die du streng unter Verschluss hältst. Ich peile durch dein Wohnzimmerfenster vis à vis, zoome ganz nah ran an deine Schmuddel-Magazine, wie sie aufgeschlagen gleich vorn in der offenen Schubladen-Kommode liegen. Du wirst sie hastig verschließen, sobald du Geräusche vom Flur her hörst - dann kommt bestimmt deine Frau heim! Jetzt habe ich dich optimal im Visier: Ich sehe dich schnaufend in den Lehnstuhl plumpsen und mit zusammengebissenen Lippen auf den Zipfel eines Sexhefts starren, das aus der Kommode herauslugt, da öffnet sich - klapp! - die Wohnzimmertür, und drin steht: deine Alte. Wahrscheinlich blafft sie, du hättest wieder mal vergessen, den Müll runterzutragen.

II

Was ist denn heute los mit dir, Lehmann, deine Show ist zum Gähnen! Seit Stunden hockst du wie festgeschraubt vor der Glotze. Warum bleibt die Kommode heute geschlossen? Deine Frau überrascht dich schon nicht, die ist doch zusammen mit meiner Alten im Teppichknüpferkurs. Aber anstatt die Hosen runterzulassen läufst im Zimmer herum und - Lehmann, was soll das? - ziehst die Vorhänge zu! Verweigerst dich mir, deinem aufmerksamen Nachbarn! Jetzt bringst du mich dazu, genau wie du in die Glotze zu starren. Da läuft die Skandalchronik der Promis. Die nehmen da gerade so´n Kokser aufs Korn. Diesen Rockstar, der erst für „Keine-Macht-den-Drogen!“ warb, dann zusammenklappte und jetzt auf Entzug ist. Geschieht dem recht; was muss er sich auch erwischen lassen!

III

Ja spinnt denn mein Fernglas? Die Haustür gegenüber geht auf, und heraus tritt niemand anderes als unser leibhaftiger Lehmann. Das sieht dem Kerl, der sein Haus sonst nur zum Mülleimerleeren verlässt, aber gar nicht ähnlich! Schon wirft sein alarmierter Nachbar die Tür ins Schloss und folgt ihm mit hochgeschlagenem Mantelkragen durch die engen Gassen bis hin zum "Durstigen Wolf". Welchen Durst willst du da stillen, Lehmann-Rätselmann? Und was soll ich halten von dieser lehmannfremden Entschlossenheit, mit der du direkt auf dein Ziel losgehst?

Der "Durstige Wolf" ist proppevoll. Kinderleicht für mich, unauffällig hinterm Garderobeständer Beobachtungsposten zu beziehen. Kannst jetzt loslegen, ich bin dir wieder ganz nah. Klappe Lehmann, die nächste!

Was soll das werden, Lehmann? Stehst wacklig herum und steckst abwechselnd die linke und die rechte Hand in die Manteltasche. Jetzt fingerst du nach Zigaretten, kriegst dein Feuerzeug zu fassen und lässt es fahrig wegflutschen, dass es gegen diesen Typen am Flipperautomaten prallt. Nennst du das vielleicht cool?

Was jetzt kommt, zieht dir praktisch die Hosen von den wabbeligen Schenkeln und lässt dich nackig dastehen, Lehmann-Peinlichmann. Ich danke dir, so viel Anteil an deiner Erbärmlichkeit nehmen zu dürfen! Jetzt dreht sich dieser Typ in Jeans und Cowboystiefeln langsam zu dir um, grunzt: „Is´ was?“, während du in die Hocke gehst und nach dem Feuerzeug tastest.

"Bitte vielmals um Entschuldigung, es tut mir sehr leid", stottert Lehmann und plumpst auf den Arsch. Mr. Cowboystiefel zieht seine Augen zu gefährlichen Schlitzen zusammen:

"Hast du ein Problem, Mann?"

Lehmann richtet sich auf und hält Cowboystiefel seine Visitenkarte hin: Oswald Lehmann, Lebensmittelhändler, Hinterstraße 6.
Mr. Cowboystiefel langt verdutzt nach der Karte. Ich fass´ es nicht, was ich nun höre:

"Mein Name ist Lehmann, ich bin Kaufmann. Ich denke, wir verstehen uns."
"Wa?", krächzt Cowboystiefel und legt den Kopf schräg.
"Ich meine ... Sie haben da doch Erfahrung, und heutzutage nehmen doch alle dieses Zeug - Sie doch auch?"

Cowboystiefel will sich auf Lehmann werfen, ein Kumpel von ihm verhindert das gerade noch per Klammergriff. Als drei Kneipengäste an dem zappelnden Knäuel vorbeigehen, nutzt Lehmann die Gelegenheit und verschwindet.

Das hast du mal gut gemacht, es gibt also auch Fettnäpfe, die du auslässt!

IV

Na, das war ja echt stark: Scharf auf Stoff bist du in diese Kneipe für Starktrinker gelaufen und wolltest mit Koksdealern, die du dort vermutet hast, ins Geschäft kommen! Zu dumm aber auch, dass man dir dort nichts in, dafür aber beinahe eins auf die Nase verpasst hat. Es kann ins Auge gehen, Lehmann, wenn man sich unsere Promis zum Vorbild nimmt ... so ein Koks-Trip, chic, hip und verboten-dekadent, ist halt nur was für Leute, die das klug und generalstabsmäßig angehen. Für dich leider eine Nummer zu groß! Armer Lehmann, schon hockst du wieder schlaff im Sessel vor der Glotze und bejammerst dein Fiasko.

Aber das soll sich ändern, und weißt du auch schon, durch wen? Genau. Bekifft und abgedreht werde ich dich vor meinem Fernglas tanzen lassen. Und deine Schweinsäuglein sollen flackern und blinken wie die Lichter in Spielautomaten!

Schau, mein Plan ist harmlos und tut nicht weh: Ich verdinge mich als dein Agent und Undercover-Dealer, und du lieferst mir die Show. Papier und Stift liegen bereit. Versetzen wir uns in Mr. Cowboystiefel. Er schreibt dir diesen Brief:

„Hallo Mister Lehmann, Sie sind mir vielleicht einer! Ihr Auftritt im Durstigen Wolf war, sagen wir, ungeschickt. Ich drücke mal ein Auge zu, denn Sie sind neu in der Kokserbranche. Sie sagten: "Wir verstehen uns!". Ich antworte: In Ordnung, Mister Lehmann. Ihre Adresse haben Sie mir ja gegeben. Im Umschlag finden Sie ausreichend Stoff für einen intensiven Trip. Wenn es Ihnen gefallen hat, liefere ich gern mehr. Alles erste Ware und vom Feinsten! Natürlich hat das seinen Preis. Sie überweisen 250 Euro auf das unten genannte Konto und kommen nächsten Mittwoch wieder in den Durstigen Wolf. Alles Weitere findet sich. Gruß, Mr. C.“

Lehmann, so blöd kannst nicht mal du sein, aber weil du´s bist, notiere ich meinen Namen und Kontonummer unter den Gruß. Kennst mich ja namentlich nicht, ha ha!

So, es folgt der praktische Teil: Ich werde ein bisschen Chemiker spielen: Etwas Puderzucker, Natriumcarbonat und eine Prise Juckpulver aus der Spielkiste meiner kleinen Nichte: Fertig ist die weiße Mixtur. Das gibt einen prickelnden Pulversegen, der die Nasenschleimhäute angenehm kitzeln lässt. Freu dich auf den Kokaintrip der besonderen Art! Jetzt noch den Umschlag verschließen und das Ganze unauffällig in Lehmanns Briefkasten versenken.

V

Ich kriege dein Bild nicht richtig scharf, Lehmann, halt doch mal still! Was rennst du ziellos in deiner Wohnung herum, plumpst auf die Couch, schnellst hoch wie angestochen und redest konfus vor dich hin? Dass mein Koks-Placebo so durchschlagend wirkt, konnte ich nicht ahnen. Ich krieg` jetzt noch ´nen Lachanfall, wenn ich mich an den Anblick erinnere, wie du dir mein Pulver in die Knollennase gerieben hast! Danach fegtest du wie Rumpelstilzchen durchs Zimmer, dass ich schon dachte, das Placebo wirkt wie echter Stoff.

Ich hab´s geahnt, du lässt aber auch nichts aus: Nachdem du über eine Viertelstunde herumtelefoniert hast, kämmst du dir jetzt die Schuppen aus den letzten Haaren und versuchst vergeblich, dir eine Zigarette anzuzünden. Du solltest cool bleiben, Lehmann, Coolsein macht sich gut bei den Frauen!

VI

Junge, Junge, soviel junges Gemüse auf einmal hat sich noch nie in deiner Bude gestapelt! Durch die Vorhänge erkenne ich die Silhouetten gut gewachsener Damen. Hätte ich doch eine Kamera mit Tele - Ruck-zuck hätte ich belastendes Material gegen dich in der Hand, deine Frau würde Augen machen, ha ha! Doch du hast Glück - wieder mal: Meine und deine Alte kommen heute Abend verspätet vom Teppichknüpferkurs zurück. Lehmann, ich gönn´ ihn dir ja, deinen bekifften Spaß. Nur: Die zugezogenen Vorhänge stellen meine Freundschaft auf eine gar zu harte Probe ...

VII

Tja, das Leben ist hart. Überhaupt nicht schön, was ich da heute früh durchs Fernglas sehe: Wann hat deine Frau zum letzten Mal dermaßen getobt? Sie schreit, dass es über die Straße bis an meine Ohren dringt. Tränen stehen ihr ins Gesicht, und dann wedelt sie dauernd mit so einem Zettel herum. Würde sie endlich mal stillhalten, könnte ich draufhalten und scharf stellen. Ah ... jetzt: Ich dachte es mir schon, ein Kontoauszug. Was lernen wir daraus? Schöne Frauen kosten. Nicht wahr, Lehmann?

VIII

Mal ehrlich: Deinen Koks-Hype fand ich zehnmal aufregender als deine augenblickliche Katerstimmung. Wie fad, armer Nachbar! Du musst zugeben, dass du an deinem Unglück selbst schuld bist. Mir würde so etwas nicht passieren. Nicht umsonst führen meine Frau und ich getrennte Konten.

Aber, dein jüngster Coup, der hat mich dann doch aus den Filzpantoffeln gekippt: Vorhin lese ich nichts ahnend meine neuesten Kontoauszüge. Erst ist alles so, wie gehabt: berstende Fülle unter Soll, gähnende Leere unter Haben. Dann das Wunder: In der Haben-Spalte prangen 250 Euro. Es sind deine 250 Euro, Lehmann, es ist von dir, du schenkst mir dein Geld!! Oh, dass die Welt doch die Dummen erhalte, uns Alphatieren das Leben zu versüßen! Ich danke dir!

IX

"Du hättest damals bei der Stasi als IM anheuern sollen, blöder Spanner."
Das ist noch ihr harmlosester Spruch. Meine Frau redet neuerdings nur noch so mit mir. Ständig mäkelt sie an mir herum. Gestern hat sie mir das Fernglas aus den Händen gerissen, als ich mich gerade wieder so richtig in dieses Jammerbild von meinem Nachbarn vis à vis vertieft hatte.

Soll die Alte doch lästern! Möge sie ihr Konto plündern, ich plündere meines. Für Lehmann werde ich nächsten Mittwoch ein Streifchen mit meinem Teufelspulver beim Wirt des "Durstigen Wolfs" hinterlegen. Er wird Lehmann sagen, der Stoff sei von Mr. C. Auf den Wirt ist Verlass, er kriegt seine 10 Prozent.

Und dann werde ich mein Leben in vollen Zügen genießen. Lehmann verschafft mir die nötigen Einnahmen. In der Kokserszene werde ich mich mit erstklassigem Kokain eindecken. Und die Puppen lasse ich mit voller Dröhnung bei mir abtanzen. Meine Frau werde ich überreden, wöchentlich ein paar mehr Teppichknüpferabende einzulegen. Sie darf nichts merken von alledem. Soll sie doch ihren spießigen Vergnügungen nachgehen, dieweil ich auf dem Altar meines häuslichen Kokstempels opfern werde! Ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich meine Frau bescheiß´ und´n Loch in Lehmanns Konto reiß´!

***

(Copyright Matthias Ziebarth, 01/2006)

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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