Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Januar 2006
Der Rosenkrieg
von André Franke

Es war früh am Morgen, die Sonne stieg am Horizont allmählich höher und schickte ihre Strahlen über ein Beet mit Strauchrosen. Sie gehörten zu einer 1967 erstmals gezogenen Sorte, die sich durch einen kräftigen Wuchs und eine reiche Blüte auszeichnete. Tau benetzte an diesem Tag die samtenen Blüten, die sich blutrot von dem hübschen Grün ihrer Blätter und Äste abhoben. Langsam schritt die Zeit voran. Die ersten Bienen kamen herangesummt, schwirrten von Blüte zu Blüte. Der zarte Duft der Rosen lockte sie jeden Morgen aufs Neue an und betörte sie. Auch einige wenige weiße Rosen waren am Rande der Anpflanzung zu finden. Sie waren ebenso sehr blühfreudig und hatten sich mit den alles dominierenden Strauchrosen dahingehend arrangiert, dass sie sich gegenseitig duldeten. Aber die Weißen, wie sie von den Roten genannt wurden, erreichten etwa die halbe Höhe ihrer wie Blut gefärbten Nachbarn. Sie bildeten keine wirkliche Bedrohung ihrer weiteren Ausbreitung. Alles war friedlich.

Schon von weitem war er zu sehen. Ein riesiger Wagen kam die Straße hinauf auf die kleine Anhöhe, wo der sich die Edelpflanzen in der Sonne räkelten. Sie freuten sich schon auf den frühen Abend, wenn der Gärtner sie mit seinem Schlauch leicht in Wasser baden würde. Es war noch früh am Morgen. Warum kam er heute so früh? War etwas Besonderes geschehen? Gespannt warteten sie auf das Eintreffen des näher kommenden Fahrzeugs. Was war nur los? Hatte er einen besonderen Grund für sein frühes Eintreffen oder wollte er sie nur besuchen und sich an ihrem betörenden Blick erfreuen? Sie streckten sich, um sich ins rechte Licht zu rücken.

Der Wagen war fast angekommen, bremste auf dem kleinen Weg, der an der Seite des Beetes vorbeiführte, langsam ab. Der Gärtner stellte den Motor aus, warf sich behände durch die gerade geöffnete Tür. Mit einem blechernen Knall fiel diese ins Schloss. Er ging nun um sein Fahrzeug herum und öffnete das Heck. Hier befand sich eine Art Metallgestell, in dem mehrere Etagen Kisten mit weiteren Rosen standen. Er stellte sie zunächst auf den Boden und pflanzte sie dann neben das Beet mit den roten Rosen. Einzig eine kleine Bewässerungsrinne befand sich zwischen den beiden unterschiedlichen Sorten. Der Gärtner fuhr wieder davon.

Die Neuen hatten einen aufrechten Wuchs. Die Blüten waren reingelb, recht groß, hoben sich von den Nachbarpflanzen erheblich ab. Sie wirkten zart und grazil, aber dennoch buschig. Fast adelig. Durstig waren sie, hatten schnell wachsende Wurzeln, verbreiteten einen unwiderstehlichen Duft. Dieser war viel stärker, als der, den die Roten abgaben. Zwar noch jung und klein, ließ doch ihr Aussehen und die Note ihres Aromas alle umliegenden Rosensträucher erblassen, richtig farblos dastehen. Unfassbar was ihnen als Nachbarn zugemutet wurde. So jedenfalls empfanden es die roten Rosen. Warum tat der Meister ihnen solch etwas Schreckliches an und pflanzte diese arrogant wirkenden Teile dicht in ihrer Nachbarschaft?

Das konnte nicht angehen. Sämtliche roten Rosen fühlten sich übergangen. Schlimmer noch. Der kräftige, alles überragende Duft lockte die Bienen von ihnen fort. Sie fühlten sich verraten und verkauft. Auch der Boden unter ihnen wurde immer trockener, die Wurzeln Ihrer Nachbarn wuchsen schnell und breiteten sich rasant aus. Neid erwachte in ihnen auf die stärkere Anziehungskraft der bezaubernden Gelben. Eifersucht auf alles was sie hatten. Verschärft wurde diese Situation noch durch das immer mehr schwindende Wasser. Gegen Abend würde es zwar eine neue Wasserration geben, doch bis dahin würde noch viel Zeit vergehen. Die Sonne hatte zwischenzeitlich den Zenit überwunden, würde aber noch lange nicht untergehen. Diskussionen waren offenbar zwecklos. Einen Versuch, zu verhandeln, hatten die Gegner einfach abgeblockt, in dem sie auf ihre Bedürfnisse hinwiesen, bei denen sie sich durch nichts, durch niemanden einschränken lassen wollten. Warum sollten sie aufhören, ihren Durst zu stillen? Oder mit den Alteingesessenen reden? Das Feld zu räumen, sahen sie nicht ein. Die Roten fühlten sich im Recht, schließlich waren sie die Ersten hier gewesen und drohten den frechen Eindringlingen Konsequenzen an. Zu Kompromissen war keine Seite bereit.

Die roten Rosen beschlossen deshalb mit aller Gewalt gegen ihre Widersacher, Futterneider und Bienendiebe vorzugehen. Diese Lebensraumschänder hatten eine Lektion verdient. In einer ersten Salve schossen sie Dornen auf die Invasoren ab. Die weißen Edelrosen versuchten sie davon abzuhalten und zu überzeugen, dass ihr Unterfangen zwecklos sein würde. Sie sollten sich miteinander arrangieren. Doch ihre Einwendungen zeigten keinerlei Wirkung, wurden von den Rotrosen einfach ignoriert. Sie hatten sich zu weit in Wut und Neid hereingesteigert, als das ihr Hass durch Worte hätte besänftigt werden können.

Ihre Dornenattacke blieb wirkungslos. Sie hatte kaum Schaden angerichtet und eine Reaktion seitens der Gelben war nicht zu bemerken. Diese Ignoranz! So eine ungeheure Arroganz empfanden sie als einen Affront, konnte keinesfalls toleriert werden! Blutrot verfärbten sich die Blütenblätter der Verteidiger, und sie beschlossen stärkere Geschütze aufzufahren. Eine weitere Dornensalve brachte zumindest eine Reaktion. Der Gegner richtete seine Blätter auf, um die Angriffe abzuwehren, die gelben Köpfe streckten sich stur und eigensinnig. Eine Unverschämtheit! Wie konnten sie es wagen, sich nicht zu beugen! Im Gegenteil die gelben Eindringlinge starteten einen heimtückischen Gegenangriff, der nicht unerwidert blieb. Spitze Dornen flogen Welle auf Welle zwischen den Fronten hin und her, bohrten sich in Blätter, Blüten und Stängel. Dicker Saft lief aus den Wunden. Die Verluste stiegen auf beiden Seiten.

Die Munition ging ihnen aus, kahle Stängel blieben zurück. Aber der Zorn und die Rachsucht waren längst nicht gestillt. Wurzeln schlängelten sich aus der vom Rosenblut getränkten Erde. Wie eine Armee marschierten die Gegner aufeinander zu. Ihr Zusammenstoß kam einer Urgewalt gleich, sie schlugen wild mit Wurzeln und Ranken aufeinander ein, kämpften, umklammerten sich. Immer stärker wurde ihr Griff untereinander. Die Wurzeln schnitten tief in die Wasseradern von Gegnern und Freunden gleichermaßen. Immer mehr Pflanzen sanken ausblutend zu Boden, die mit ihnen verfitzten Rosen mit sich reißend. Ein Riesengewirr aus Wurzeln und Ästen blieb auf dem Schlachtfeld zurück. Blüten abgeknickt, kahl, unansehnlich. Das Bild, das sich den Weißen bot, war jämmerlich, grausam, ja einfach furcht einflößend.

Am Abend kam der Gärtner, um seinen Pflanzen das ersehnte Nass zu bringen. Er führte einen langen, zusammengerollten Gartenschlauch auf seinem Lieferwagen mit, wollte ihnen damit neues Leben einhauchen. Als er an den Beeten ankam, zeigte sich ihm ein Bild der Verwüstung. Trocken sahen sie aus. Ineinander verschlungen und verheddert. Sowohl die roten als auch die gelben Rosen. Er sah keine Chance die verschlungenen Pflanzen zu entwirren. Schweren Herzens fasste er den Entschluss, die Rosen, die sich offenbar einen Krieg geliefert hatten, zu entsorgen. Verwirrt und traurig griff er zu Schaufel und Spaten, um die beklagenswerten Überreste seiner früheren Schmuckstücke zu entfernen.

Früh am Morgen kehrte er zurück. Auf der Ladefläche seines Wagens standen kistenweise Astern, die er übergangsweise an die Stelle pflanzen wollte, wo sich am Vortag ein riesiges Gemetzel abgespielt hatte und das Beet öd und leer auf ihn wirkte. Ein erneutes Risiko wollte er nicht eingehen. So grub er in mühevoller Arbeit für jede Aster ein kleines Loch in die Erde. Anschließend füllte er diese Vertiefungen mit den Pflänzchen aus den mitgebrachten Kisten. Die verbleibenden Edelrosen, die sich aus dem Kampfhandlungen heraushielten und sogar versucht hatten, den Streit zu schlichten, schauten seinen Arbeiten zu, während die ersten Bienen um ihre reinweißen Blüten tanzten.

Zur gleichen Zeit zeigte sich auf dem Komposthaufen am Rande des Beets ein Bild des Jammerns. Die sterbenden Rosen beklagten ihr Schicksal, die Dummheit des Krieges, der keinen Sieger kannte. Den Hass, die Gier und den Neid der sie dazu getrieben hatte. Waren sie nicht letzten Endes alle Rosen? Unabhängig davon in welcher Farbe sie erstrahlten? Jetzt hatten sie verstanden, was die Weißen ihnen hatten klarmachen wollen. Krieg ist sinnlos, führt nur zu Verlusten, Entbehrung und Tod. Vielleicht würde sich der nächsten Generation die Chance bieten, es besser zu machen. Doch Jammern war im Augenblick überflüssig, beide Parteien hatten die Schlacht verloren...

Letzte Aktualisierung: 27.06.2006 - 23.19 Uhr
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