Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Januar 2006
Ein hässlicher Vertrag
von Sergej A. Maslennikow

Ich stolziere entlang einer einsamen Straße. Es ist Nacht und regnet. Bunte Reklameschilder flackern allerorts. Eine elegante Dame mit einem Schirm kommt mir entgegen. Ich grüße sie, indem ich mit den Fingern an meinen Hut tippe. Die Frau sieht es, läuft dennoch an mir vorbei, ohne mich zu beachten - wie immer. Mit ausgreifenden Schritten erhöhe ich das Tempo. Schon bald stehe ich vor einer großen Tür. Ich klopfe. Nach einer Ewigkeit öffnet sich die Pforte. Eine alte, runzelige Frau lugt hervor und mustert mich neugierig ­- dann ein erleichtertes Nicken. Sie winkt mich herein.



In ihrer Wohnung riecht es streng nach Alter. Massive Möbel lassen den Raum sehr beengend wirken. Ich hänge meine triefenden Sachen an den Kleiderständer und folge ihr in ein abgedunkeltes Zimmer. Schmeißfliegen summen durch den Raum. Mich schaudert. Die Alte deutet auf einen Stuhl; ich setze mich.



Vor mir steht ein Eichentisch mit zahlreichen, verstaubten Gläsern. Sie beinhalten Getier, welches dort sein elendes Dasein fristet. Brabbelnd entnimmt die Frau einem Gefäß etwas Gelbes, das sie mir stolz grinsend präsentiert. Es ist ein zappelnder Frosch, den sie mit ihren knochigen Fingern hält. Die Alte blickt nach oben. Der Arm schwebt über ihr faltiges Gesicht - verharrt dort. Ich warte gespannt ab. Sie öffnet ihr zahnloses Loch und lässt den Frosch plötzlich fallen. Ich sehe wie sie ihn schluckt. Ein wabbelnder Klumpen den sie krampfhaft durch ihren Hals drückt. Der Adamsapfel bewegt sich noch ein letztes Mal, dann ist die Vorstellung vorbei. Mir wird übel.



Die Frau steht auf. Ihre Pupillen glotzen trüb aber stechend. Ihr Blick fängt den meinen, lässt ihn nicht mehr los. Dabei knöpft sie ihre braune, verschlissene Bluse auf. Graue Haarsträhnen hängen ihr wirr ins Gesicht, unmöglich zu sagen wie alt diese Greisin ist. Nun hat sie sich entblößt. Meine Augen streifen ihren ausgemergelten, schlaff hängenden Busen: Zwei Ballons, denen die Luft entwichen ist.



„Komm her, junger Bursche!“ Wie in Trance trete ich näher. "Saug!", befiehlt sie mir schroff. Ich starre sie ungläubig an.

"Aber ... das ... so war das nicht vereinbart!", stottere ich. Ein krächzendes, schleimiges Lachen ertönt.

"Wir haben nur über das Was, nicht über das Wie gesprochen, Jungchen. Behalte einfach das Ziel im Auge. Jetzt saug!" Die letzten beiden Worte scheinen magisch, so dass ich mich ihrer nicht erwehren kann. Ich tue, wie geheißen.



Es fühlt sich widerlich an: Eine Mischung aus Eiter, Blut sowie einem bitterem Etwas. Ich könnte würgen, sie weiß es, drückt mich deshalb fester an ihre Brust. "Behalten! Alles musst du behalten, Bursche, sonst wirkt es nicht! Wenn du speist, gehen wir beide leer aus!" Gierige, alte Schlampe, denke ich mir. Aber ich sage nichts.



Nachdem der Fluss versiegt ist, lässt sie mich endlich los. Nach Luft ringend, fall’ ich vor ihre Füße; krieche rückwärts unter den Tisch. Ich zittere und huste. Als ich wieder atmen kann, wünsch’ ich mir, ich könnte es nicht: Mit aller Gewalt muss ich den Brechreiz unterdrücken, der in meinen Gedärmen explodiert wie eine stinkende Bombe. Irgendwie schaffe ich es sogar.

Mühsam stehe ich wieder auf. Sie öffnet eine Schublade und holt ein vergilbtes Blatt hervor. Dabei fällt mir auf, dass ihre Hand dem Pergament ähnelt, auf dem sie ihre dürren Finger liegen hat. Ein kalter Schauer überkommt mich.

"Unterschreibe hier!" Sie deutet auf eine Stelle. Ich kritzle meinen Namen hin. Die Tinte ist rot. Sieht aus, als schriebe ich mit Blut auf einem brüchigen Hautfetzen. Ich möchte nur noch raus aus diesem morbiden Albtraum. Eilig kram’ ich nach meiner Börse, um die Restschuld zu begleichen, doch die barbusige Alte blickt mich nur irritiert an.

“Willst deinen noch ausstehenden Teil bezahlen?" Ich nicke stumm.

"Nur ... wenn es auch funktioniert hat!", füge ich vorsichtig hinzu. Plötzlich krächzt sie wie ein altes, gackerndes Huhn:

"Ich will dein Geld nicht! Diese Schuld wirst du auf eine andere Weise begleichen müssen, Bürschchen!"

"Und wie?", entgegne ich ihr tonlos. Die Alte nähert sich mir. Geheimnisvoll blickt sie in meine Augen.

"Keine Angst! Wie du dafür bezahlst, wirst du noch früh genug erfahren. Mit Scheinchen ist es jedenfalls nicht getan!" Bei diesen Worten schlägt mir ein schwefeliger Geruch aus ihrem zahnlosen Schlund entgegen. Ich blicke das Weibsstück einen Augenblick hasserfüllt an, bevor ich ihr den Rücken kehre. Nachdenklich fahre ich mir über das Gesicht. Dann fällt mir etwas ein. "Einen Spiegel! Geben Sie mir sofort einen Spiegel, ich will es überprüfen!"

"Ich habe keine Spiegel im Haus, mein Junge!", sagt sie in einer Art, die sich selber Lügen straft.

"Das ... das glaube ich nicht!" Ich fahre wütend zu ihr herum.

"Was soll ich in meinem Alter mit einem Spiegel? Verrate mir das! Glaubst du meinen Worten nicht? Mein Teil der Abmachung wird sich erfüllen, schließlich haben wir einen besiegelten Vertrag!"

"Gut …", sage ich keineswegs überzeugt. "Wenn aber etwas nicht so ist, wie es der Übereinkunft nach sein sollte, dann wirst du was erleben!" Mit diesen Worten nehme ich meinen Mantel, setze den Hut wieder auf und stampfe hinaus in den Regen. Ich laufe los.



Wut entfacht mein Blut. Eine düstere Ahnung peitscht stet durch meine Gedanken: Sie hat mich betrogen! Sie sollte mich kurieren, hat mich stattdessen aber nur verhöhnt! Ich balle meine Fäuste so fest, dass sie zittern. Meine Zähne knirschen. Ich will nach Hause, fort aus diesem Viertel, fort von dieser erbärmlichen Hexe.

Plötzlich sehe ich die Dame von vorhin. Sie scheint in einer Pfütze ausgerutscht zu sein, ihre Klamotten sind durchnässt. Ich eile ihr zu Hilfe, auch in der Hoffnung endlich zu erfahren, ob das Gemisch seine Wirkung tut. Als sie meine Hand ergreift, atme ich erleichtert auf.



"Irgendetwas Seltsames ist passiert!", sagt sie. Wie wunderschön ihre zarte Stimme klingt; ein wohltuender Kontrast zu dem Krächzen des alten Weibes. "Mir wurde schwarz vor Augen, dann fiel ich hin." Sie blickt zu mir auf. "Jedenfalls danke ich Ihnen. Ich glaube, nun geht es wieder. Begleiten Sie mich dennoch ein Stückchen?"

Das darf doch nicht wahr sein!

Ich stehe vor ihr und blicke in dieses Gesicht. Es ist nicht dasselbe, wie das der eleganten Dame von vorhin. Sie hat die gleiche Statur, die gleiche Kleidung, sogar den gleichen Schirm, nur das Gesicht ... das Gesicht dieser Frau ist einfach abgrundtief hässlich: Ihre Haut ist porös. Die schiefen Ohren stehen ab; sie schielt. Ein Augenlid hängt unförmig zur Seite - genauso wie die dicke Unterlippe, die faulig blau ist, als wäre sie im Begriff abzusterben. Sie lächelt mir hoffnungsvoll entgegen, dabei offenbaren sich mir schwarze und gelbe Stümpfe statt sauberen Zähnen. Ich schüttele ungläubig den Kopf. Schwankend weiche ich zurück.

Was ist das für ein Albtraum?!



Ich drehe mich um und renne. Der Regen hat aufgehört. Hoch über den Straßen steht der bleiche Mond; dunkle, unheimliche Wolkenfetzen ziehen in rasanter Geschwindigkeit an ihm vorüber. Ich beschleunige meinen Laufschritt noch mehr. Die Welt ist nicht mehr so, wie sie gewesen war. Alles scheint plötzlich so düster, so realitätsfern. Was hat die Alte bloß angestellt?

Auf dem Weg begegnet mir ein Paar mit einem böse kichernden Mädchen an der Seite – leere Menschenhüllen. Die Kleine blickt im Vorübergehen anklagend zu mir herauf. Schnell drehe ich mein Gesicht weg. In vier Jahrzehnten habe ich so etwas Abscheuliches noch nicht gesehen.



Erneut stehe ich vor dem verfallenen Gebäude. Ich läute Sturm, klopfe gegen die Tür. Erst als ich das morsche Holz durchzutreten versuche, öffnet mir die Alte endlich.

"Was soll das?!" Ich schubse sie zur Seite und verschaffe mir ungebeten Einlass. "Ich sollte alle Frauen der Welt kriegen können!", keuche ich atemlos. Das Weib nickt ruhig. "Erkläre mir dann, was das zu bedeuten hat! Alle sind so abgrundtief abstoßend! Das ist nicht das, was ich wollte!"

"Natürlich ist es das.", behauptet sie mit einem hinterlistigen Funkeln in ihren Augen. Eine düstere Vorahnung beschleicht mich, die ich nicht auszusprechen wage. Sie aber tut es an meiner statt.

"Wer mit seinem Schicksal hadert, Bürschchen, hat es nicht anders verdient!", spricht sie. "Ich habe mir redlich Mühe gegeben, meinen Teil der Vereinbarung zu erfüllen. Es war anstrengend, doch es ist vollbracht: Du bist der schönste Mann der Welt!" Ich muss schlucken.

"Jede Frau liegt dir zu Füssen - wie vereinbart!"

"Aber, aber ..." Ich kann es nicht fassen. "Ich dachte du machst mich schön - nicht die Welt hässlich! Das führt unseren Vertrag ad absurdum!" Die Hexe schüttelt nur den Kopf.

"Es ist wie es ist. Es geht nicht darum auf welche Art, sondern nur dass unsere Vereinbarung eingehalten wurde. Das Ergebnis ist, was zählt."

"Und das besagt, dass ich alle Frauen kriegen kann ..."

"Nicht mehr, aber auch nicht weniger, Kleiner!" Sie grinst mich hämisch an. Ich bin den Tränen nah.

"Was wenn ich einfach nicht zahle?"

"Glaube mir, du wirst es ... dein ganzes Leben lang!"

Ihr schleimiges Lachen hallt noch unangenehm in meinen Ohren wider, als ich übergangslos in einer Pfütze auf der Fahrbahn vor ihrer Haustür erwache. Ein Auto kommt mir entgegen. Im letzten Augenblick lenkt es wild hupend um mich herum. Das war zuviel. Ich muss brechen.



"Geht es Ihnen nicht gut?" Es ist die Stimme der hässlichen Dame. Ich blicke nicht zu ihr auf, sondern starre lieber auf das Erbrochene.

"Soll ich vielleicht einen Arzt rufen?" Nun schaue ich doch erschrocken hoch.

"Nein, bitte nicht! Ein Arzt wird mir jetzt auch nicht mehr ..." Ich stocke. Vor mir befindet sich das Gesicht einer jungen Dame. Es ist eindeutig dieselbe, die ich auf dem Weg zur Hexe gesehen habe: Schlank, elegant und ... wunderschön! Ich begreife nichts mehr.

War das alles nur ein Traum?

"Kommen Sie, diesmal helfe ich Ihnen auf!" Sie reicht mir die Hand und zieht mich in die Höhe. Mir wird schwindelig. "Sie sehen aber gar nicht gesund aus. Wenn Sie wünschen, könnte ich Sie nach Hause begleiten?" Ich nicke wild. Natürlich will ich das! Ein letztes Mal spucke ich etwas Gelbes aus, dann setze ich mich mit ihr in Bewegung. In meinem Mund schmeckt es nach Eiter, Blut und Bitterem. Nun geht mir ein Licht auf: Das widerliche Zeug des Weibes ist aus mir heraus - und ihr Part des Vertrages somit unerfüllt. Jetzt ist es an ihr zu bezahlen, denke ich zufrieden ...



"Was war das für ein fürchterlicher Schrei?"

Die Dame in meinem Arm dreht sich erschrocken herum, doch ich zerre sie unerbittlich weiter. Sie schaut mich aus ihren leuchtend blauen Augen fragend an.

"Ich habe ihn auch gehört: Furchtbar! Ich weiß wirklich nicht, woher er kommen könnte!" Wir gehen im fahlen Mondschein weiter, und ein schmales Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus … Ich habe gelogen.





© S.A.Maslennikow

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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