Ganz schön bissig ...
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Februar 2006
Tage der Finsternis
von Ivonne Schönherr

Albert Cockenhoppel verließ das Notariat, strich zufrieden über seinen Zwirbelbart, zupfte sein Jackett zurecht, schwang seinen Spazierstock und stolzierte die Treppe herunter. Dann rümpfte er die Nase, der Geruch eines ungewaschenen Körpers wehte die Stufen hoch. Er nahm die letzte Biegung und entdeckte die Ursache des Miefs; eine alte Frau, deren Kleidung vor Dreck starrte, stand zwischen ihm und dem Ausgang. Sie stierte ihn an.

„Ekelhaft.“ Albert drückte sich an ihr vorbei, schliff an der Wand entlang, vermied es, sie zu streifen. Ihr Kopf folgte seinen Bewegungen.

„Was glotzt Du mich so an?“, fuhr er sie an und öffnete die Tür.

„Du musst es achten.“ Ihre Stimme klang hohl.

Er verharrte. „Was?“

„Das Bild“, erwiderte sie.

„Bild? Welches Bild?“ Erst jetzt wurde ihm der Umstand bewusst, dass sie ihm dem Rücken zukehrte und ihn dennoch anglotzte. Er schüttelte den Kopf, doch ihr Schädel blieb um einhundertachtzig Grad gedreht. Entsetzt schloss er die Augen, öffnete sie wieder, die Alte stand von ihm abgewendet und verpestete die Luft.

Erleichtert atmete er auf, zog sein Taschentuch aus der Jackettasche und tupfte die Stirn trocken. `Das muss die Aufregung sein. Ich habe mir das nur eingebildet.´



Eilig verließ er das Gebäude und winkte seinem Chauffeur. Mit einem eleganten Schwung hielt der ihm die Wagentür auf. „Nach Hause, Sir?“

Albert schwieg, bis der Fahrer ebenfalls eingestiegen war. „Nein. Zum Schloss“, sagte er geziert.

„Darf ich Ihnen zu Ihrem Erbe gratulieren, Sir?“, wollte der Chauffeur wissen und erhielt ein bestätigendes Nicken.



*



Einen Moment sah Albert der Limousine hinterher, welche die lange Auffahrt bereits wieder herunterfuhr. Sein Fahrer würde sich um den Umzug kümmern. Daran würde er, Albert, sich nicht die Finger schmutzig machen. Er musterte sein neues Anwesen. Der Rasen machte einen verwilderten Eindruck und auch das gelbe Laub der ungestutzten Büsche hatte niemand zur Seite geräumt. Seine Großtante, Irma Gertrude Cockenhoppel, hatte wohl zuletzt die Zügel ziemlich schleifen lassen. In seinen Gedanken notierte er, einen Gärtner damit zu beauftragen und ließ den Blick über das Gebäude wandern. Zahlreiche Giebel, Erker und Türme verzierten es. Der große Drache, der seine schwarzen, gusseisernen Flügel über der Eingangstür ausbreitete, wirkte im Schein der tief stehenden Sonne besonders lebendig. Lächelnd holte Albert den großen Schlüssel aus dem Umschlag des Testamentvollstreckers, schloss auf und trat ein.



Verblüfft starrte er auf das Bild gegenüber. Es war das grauenhafteste Gemälde, das er jemals gesehen hatte. Eine disharmonische Aneinanderklecksung von Farben, die Übelkeit erregend durcheinander wirbelten. Diese Scheußlichkeit passte überhaupt nicht in das vornehme, altertümliche Ambiente des restlichen Raumes. Zwei Ritterrüstungen flankierten das Bild. Malereien von Jagdszenen, verziert mit kostbaren Goldrahmen, schmückten die übrigen Wände. Das sah doch schon ganz anders aus, erneut warf er einen ungnädigen Blick auf den Schandfleck und schnaubte abfällig.



Er durchquerte die Empfangshalle und strebte auf die linke der beiden Freitreppen zu, die geschwungen aufwärts führten und dort wieder zusammentrafen. Bilder von Hunden hingen an den Wänden seiner Seite, die von Pferden gegenüber. Alle wirkten lebendig, als hätte der Künstler ihre Seelen auf die Leinwand gebannt. Oben schloss sich ein langer Gang an, von Ritterrüstungen gesäumt. Staub lag auf dem matt gewordenen Metall und Spinnen hatten ihre Netze zwischen ihnen gewebt. Noch ein Punkt auf seiner Liste. An jeder Tür hielt er an, schaute hinein und bewunderte die stilvollen Möbel. Zahlreiche Glühbirnen waren defekt. Großtante Irma war nachlässig geworden auf ihre alten Tage. In einem offen stehenden Kleiderschrank entdeckte er Männerkleidung, elegant geschnitten und in Schutzhüllen aufgehängt. Sorgfältig schloss er die Tür und inspizierte den Raum, der ihm sehr gefiel. `Hier werde ich nächtigen´, entschied er, bevor er die Kontrollrunde fortsetzte. Die Küche wirkte modern, bis auf das antike Beil im Regal neben den Konserven, die er zu einem Mahl verarbeitete. Beim Essen sah er das Testament genauer durch. Albert öffnete den Briefumschlag, den seine Anverwandte ihm hinterlassen hatte. Eine Karte lag darin. Mit verschnörkelter Schrift hatte sie ihm eine merkwürdige Nachricht hinterlassen: `Deine Sicherheit liegt im Bild.´ Er kratzte sich am Hinterkopf, drehte das Kärtchen um, schaute in den Umschlag. Da war nichts. `Irma war wohl gewaltig verschroben´, dachte er und steckte die Karte wieder weg.



Ehe Albert ins Bett ging, lief er in die Vorhalle, weil es ihm keine Ruhe ließ und nahm die Hässlichkeit von der Wand. Er schleppte das schwere Gemälde in die kleine Bibliothek, runzelte verärgert die Stirn, als er feststellte, dass es nicht in den Kamin passte. „Na warte“, flüsterte er und holte das Beil aus der Küche. Kraftvoll schlug er auf die Leinwand ein. Als die Klinge auftraf, flackerte das Licht. Er blickte hoch und fügte seiner Liste `elektrische Leitungen prüfen´ hinzu. Erneut ließ er das Beil auf die Scheußlichkeit krachen, diesmal ging es entzwei und das Licht verlosch endgültig. Verärgert entzündete er das Feuerzeug aus seiner Hosentasche und sah sich nach dem Kerzenständer um, den er bei seiner Inspektionstour gesehen hatte. „Da bist du ja“, murmelte er und entflammte die sechs Kerzen. Er hockte sich vor den Kamin und verbrannte das geborstene Bild. Zufrieden sah er, wie die Flammen darüber züngelten, nahm den Kerzenleuchter und ging in seinen Schlafraum.



Der Rauch aus dem Kamin quoll in die Bibliothek, bildete leuchtende Schemen, waberte durch die Tür nach draußen, verteilte sich im Schloss und sickerte in die Wände ein, mit denen er in Berührung kam. Ein finsterer Schatten umhüllte das Haus, verschluckte alles Licht, das von außen kam.

Über Albert erschien eine pulsierende Hand, senkte sich langsam herab und tippte dem Schlafenden auf die Schulter. Er zuckte zusammen, kratzte sich und fröstelte, denn es war eisig im Raum. Mürrisch zog er die Decke höher und versuchte weiter zu schlafen.



„Rums“, dröhnte es. Und noch einmal. Er fuhr hoch, lugte hinter seiner Decke vor. „Rums.“ Die Wände zitterten, Putz rieselte auf Albert, und große Kratzer zerschrammten die Tür, dann warf sich etwas dagegen. Entsetzt kroch er unter das Bett und spähte hervor. Die Luft im Zimmer wurde kälter und die Tür schwang auf. Er hielt den Atem an, aus Angst, dass die ausgestoßene Luft ihn verraten würde. Nebel schwebte über die Türschwelle, strahlte ein seltsames Licht aus und tanzte eine Weile auf der Stelle. „Rums.“ Der Nebel floss auseinander, als sich ein metallener Fuß knirschend auf die Holzdielen senkte, ein zweiter folgte. Es kam näher, dem nebligen Leuchten folgend, blieb am Bett stehen, umrundete es. Albert kniff sich kräftig in die Wange. `Au.´ Er war wach. Ein Zischen dröhnte an seinem Ohr vorbei, er verdrehte die Augen und sah eine Schwertklinge, die direkt neben seinem Kopf in den Boden eingedrungen war. Langsam wurde sie wieder nach oben gezogen. „Zisch.“ Die Klinge, schon wieder, weiter weg von ihm als zuvor. Dann verschwand sie aus seinem Sichtfeld, Albert hatte keine Lust zu warten, bis sie ihn traf, krabbelte unter dem Bett hervor und jagte auf den Flur hinaus.



Aus den Augenwinkeln sah er die Ritterrüstung herumfahren, spürte den Boden unter ihren stampfenden Schritten beben. Albert rannte so schnell er konnte. Die anderen Rüstungen im Gang ächzten, als der glühende Nebel sie durchdrang. Ihre Visiere schnellten zu dem flüchtenden Mann herum, starrten ihn an, die Gepanzerten zogen ihre Schwerter und setzten sich ruckartig in Bewegung. Anfängliches Schwanken wich Sicherheit. Albert konnte gerade noch den Kopf unter einer Klinge wegducken, die Funken sprühend gegen die Mauersteine krachte. Mit bleichem Gesicht, ein Gebet stammelnd, floh er die Treppe hinunter, verfolgt von den metallenen Ungetümen. Etwas sprang ihn von der Seite an, riss ihn die restlichen Stufen mit, verbiss sich knurrend in seinem Arm. Schreiend schlug er dem Geschöpf auf den Kopf, trat danach, bis es ihn los ließ. Das Wesen, ein Rottweiler, rappelte sich auf, seine Lefzen zogen sich hasserfüllt nach unten, er knurrte und sprang. Albert ließ sich zu Boden plumpsen und hörte einen scheppernden Aufschlag, drehte seinen Kopf und sah den Hund in einer Rüstung verkeilt liegen. Für einen Moment hielt das den Ansturm der anderen Schwertschwinger auf. Sein Blick fiel auf die Hundegalerie, auf die leere Leinwand und auch die Hunde in den anderen Gemälden regten sich nun, streckten ihre Köpfe aus den Rahmen. Der bizarre Anblick ließ ihn schaudern, rückwärts schlich er auf die Tür zu, seinen blutenden Arm haltend, als er ein Geräusch aus einer völlig anderen Richtung hörte. Gerüstete Gestalten stapften die rechte Treppe herunter. Die Pferde bäumten sich mit angelegten Ohren auf, peitschten ihre Schweife. Eins sprang aus seinem Gemälde in die Vorhalle, schlitterte wiehernd gegen die Wächter des inzwischen verbrannten Bildes.



Albert stieß gegen die Tür, tastete nach der Klinke und öffnete. Die Hundemeute sprang auf ihn zu, gerade noch rechtzeitig konnte er die Tür hinter sich zuwerfen. Zitternd lauschte er dem Heulen, spürte wie das dicke Holz unter ihrem Aufprall knirschte, hörte das Dröhnen von Metallfüßen, die näher kamen. Finsternis war um ihn, obwohl es seinem Zeitgefühl nach längst hell sein musste. Nicht einmal die Lichter der Stadt waren auszumachen. Unschlüssig stand er da, als die Flügel über ihm herabsausten, den um sich schlagenden Mann packten und ihr Opfer in das geöffnete Drachenmaul schoben.



*



Die Tür schwang auf. Der leuchtende Nebel pulsierte, sammelte sich dem Eingang gegenüber, wirbelte schneller und ein Bild entstand.



Die Dunkelheit floss in das Haus zurück, wich einem sonnigen Herbstmorgen. Eine Lerche sang melancholisch ihr Lied und eine alte Frau mit schmutzigen Sachen starrte die Auffahrt hinauf. „Du warst gewarnt, dein Erbe zu missachten“, murmelte sie.

Letzte Aktualisierung: 28.06.2006 - 10.36 Uhr
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