Futter für die Bestie
Futter für die Bestie
Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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Februar 2006
Ausgeliefert?
von Sonja B.-Hoffmann

„Herr Brandstetter?“ Alfons Brandstetter spürte ein leichtes Rütteln an seiner Schulter. Er kniff kurz die Augenlider zusammen und blinzelte in das junges Gesicht. Was erdreistete sich dieses Mädchen?

“Wer sind Sie? Frauen haben hier nichts verloren!“

„Herr Brandstetter, ich muss das Geschirr holen. Wir haben Schichtwechsel. Essen Sie den Christstollen noch fertig?“

„Christstollen?“ Seine Mundwinkel zuckten verächtlich. Im operierten Knie pochte der Schmerz. Jedes Jahr kroch das nasskalte Wetter in seine kranken Gelenke und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.

„Ich werde Meldung machen“, herrschte er sie an.

Die Frau stellte hastig das leere Teeglas und den Teller mit dem angebissenen Gebäckstück aufs Tablett.

„Soll ich Ihnen noch das Licht anmachen? Es wird bald dunkel.“

„Das kann ich selber“, raunzte er und drehte sich zur Seite.

Durch die noch offen stehende Zimmertür hörte er das Klappern von Porzellan und die helle Stimme des Mädchens: „Er hat mich rausgeschmissen.“

„Mach dir nichts draus. Das sind Phasen“, antwortete eine ältere Stimme. „Das letzte Mal hat er Frau Schäfer die Tür gewiesen. Er wähnt sich dann im Krieg und da hat unsereins nichts verloren.“ Es folgte ein dunkles Lachen.

„Schäfer?“ hörte er das Mädchen fragen.

„Cordula Schäfer, seine Betreuerin, die einzige die ihn besucht. Seinen Sohn …“

Die Tür fiel ins Schloss. Jetzt hörte Alfons nur noch das ständige Brausen von Autoreifen auf der schneenassen Fahrbahn. Lächerlich. Wer hatte sich wohl den Namen für das Heim ausgedacht? Seniorenresidenz Pasinger Frieden.



Alfons lag bloß da. Er wusste nicht, wie lange. Plötzlich machte es Klack. Das gleißende Licht der Deckenleuchte blendete ihn und er sah schemenhaft zwei Personen im Raum. Der groß gewachsene Mann trug einen dunklen Wintermantel. Wortlos trat er an das Bett und zog den Notruf aus der Steckdose.

„Du fängst mit dem Kleiderschrank an und ich nehme mir die Kommode vor!“, kommandierte er die zierliche Frau, die unschlüssig im Zimmer stand. Gehorsam wandte sie sich zum Kirschbaumschrank gleich neben der Tür.

Die Stimme. Alfons überlegte. Der Mann musste unter ihm gedient haben. Mühsam stemmte er sich mit beiden Armen hoch, um besser sehen zu können. Sein Blick heftete sich an die Frau. Sie kam ihm ebenfalls bekannt vor. Er kramte in seinem Gedächtnis, während sie die Kleider durchwühlte und schließlich eine Zigarrenschachtel aus Spanholz in den Händen hielt. Alfons brummte missbilligend, doch schon fielen ihr zahlreiche Schwarzweißbilder entgegen. Schnell sammelte sie sie von dem abgetretenen Teppich auf. Ein vergilbtes Foto musterte sie genauer. Sie verglich die Aufnahme mit Alfons und legte es dann mit einem kaum merklichen Kopfschütteln zurück in die Schachtel.

Schulterzuckend bemerkte sie: „Nichts!“

„Verdammt noch mal. Der misstrauische Bock hat es hier, ich weiß es!“

Der Riese im schwarzen Wintermantel knallte die Schublade des Schränkchens zu und wandte sich zum Bett. „Hast du es im Schreibtisch?“ Sein Blick verfinsterte sich.

Alfons erkannte seinen Sohn Heinz, ein Taugenichts. Vor fünfzehn Jahren waren sie im Streit auseinander gegangen. Was also suchte er hier?

„Wir finden es schon, verlass dich drauf!“ Heinz Brandstetter drehte sich zum Schreibtisch, Alfons Heiligtum. In Alfons begann es zu brodeln. Er duldete niemanden daran. Es revoltierte in ihm, doch schon wischte Heinz Brandstetter einen Berg Prospekte, kopierte Unterlagen und eingestaubte unerledigte Briefe zur Seite. Essensreste, Büroklammern, Kugelschreiberminen und sogar ein getragenes Unterhemd kamen zum Vorschein. Heinz Brandstetter verzog sein Gesicht und warf es auf den Boden.

„Cordula, schau in den unteren Schubladen nach!“, wies er die Frau an, die gerade den Kleiderschrank schloss.

„Cordula?“ Alfons schaute zu ihr. Sie bückte sich und zog die erste Lade heraus.

Alfons begann zu zittern. Er streckte seinen knochigen Leib in die Höhe. Blitzartig bohrte sich der Schmerz ins Knie und ließ ihn zurück in die Kissen sacken.

„Das darf sie nicht!“, dachte er und quälte sich erneut auf. Langsam schob er die verschmutzte Bettdecke zur Seite. Es stank nach Schweiß und Urin. Alfons roch es nicht. Er fixierte nur die Frau.

„Cordula“, dachte er. Cordula Schäfer, die Frau, die sich in alles einmischte. Aber er brauchte keine Hilfe, er nicht. Und trotzdem hat der Richter ihn entmündigt.

„Drecksau, wäscht dich hier keiner?“, fuhr sein Sohn ihn an.

„Verschwindet!“ Alfons Stimme bebte. Zögernd schob er seine dürren Beine über den Bettrand.

Heinz Brandstetter lachte nur. Er neigte sich in Alfons Richtung und flüsterte: „Gerne, sag uns einfach das Versteck.“

„Nein!“

„Dann eben nicht!“ Ein dunkler Schatten zog sich über Heinz Brandstetters Gesicht.

„Gehorche“, befahl Alfons.

„Sonst? Was willst du denn machen, du Krüppel? Deine altersschwache Hand gegen mich erheben?“

„Heinz, die Pfleger —, bitte!“, beschwichtigte die junge Frau.

„Ich bin dein General …“ Alfons hielt sich mit seiner zittrigen Hand am Nachttisch fest. Er sah sich plötzlich auf einem Feldbett sitzen, das Bein mit einem verschmutzten, Blut durchtränkten Verband umwickelt. Jede Bewegung schmerzte. Aber er musste durchhalten.

„Du hast zu gehorchen“, wiederholte er. Der Mann vor ihm trug jetzt den Mantel eines Soldaten. Er unterstand seinem Befehl.

„Halt’s Maul!“, herrschte der Soldat ihn an, doch ein General duldete keine Gehorsamsverweigerung.

„Ich lasse dich abholen“, verkündete Alfons mit erhobener Faust.

„Du alter Sack, du kannst mir nichts mehr befehlen, kapiert? Ich bekomme, was mir zusteht. Du wirst es nicht verhindern, du nicht.“

„Hör auf, Heinz, das versteht er doch nicht mehr“, sagte die Frau. Cordula Schäfer, Alfons erinnerte sich.

„Mach weiter!“, schnauzte sein Sohn sie an.

Alfons begriff, Heinz suchte das Testament. Aber er würde es nicht bekommen.

Heinz Brandstetter öffnete die rechte Tür des Schreibtisches. Eine Reihe Aktenordner polterten heraus.

„Ich werde es verhindern“, dachte Alfons. Er beugte sich zur Seite und ergriff seinen Gehstock, ein Familienerbstück mit einem schweren silbernen Hundekopf als Knauf. Mühsam zog er sich hoch. Er sah, wie Cordula Schäfer die Schublade ganz herauszog.

„Nein“, dachte Alfons.

Sie klopfte intuitiv den Boden ab. Es klang hohl.

„Schau, ein doppelter Boden!“ Aufgeregt zeigte sie auf die Bodenplatte. Heinz Brandstetter ließ ein Bündel Papier fallen und beugte sich zu ihr. Mit einem Brieföffner entfernte er das Brett. Ein Schriftstück lag in der Öffnung.

Alfons schwankte unsicher auf die beiden zu.

Heinz Brandstetter überflog das Dokument und schlug dann mit dem rechten Handrücken dagegen.

„Ich kenne doch den Alten! Er hat noch nie jemandem getraut. Und er kann wirklich nichts mehr machen, Cordula?“

“Nein, kann er nicht. Das ärztliche Gutachten bestätigt es eindeutig. Er kann kein neues Testament verfassen. Zumindest wäre es nicht wirksam.“ Sie strahlte ihn an.

„Dann erbe ich alles!“ Die Genugtuung stand Heinz Brandstetter im Gesicht. Er nahm das Stück Papier und drückte einen Kuss darauf.

„Geht!“ Alfons flüsterte die Worte. Sein fahles Gesicht rötete sich vor Zorn. Sie hörten ihn nicht. Er straffte seinen Körper und hob den Gehstock. Die spitze Hundeschnauze zischte nach unten. Sie sahen es nicht …

Letzte Aktualisierung: 28.06.2006 - 10.14 Uhr
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