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Februar 2006
Das Passwort
von Gisa M. Zigan

Der Schirm des Monitors war dunkel. Nur ein kleines grünes Flimmern am oberen Rand zeigte, dass noch Leben in ihm pulsierte.
Der Kopf davor war bleich und leblos. Das sah auch der Laie auf den ersten Blick. Das sah auch Lisa, als sie mit Hilfe des Hausmeisters endlich in die Wohnung gelangt war.
Vaters Schlüssel hatte von innen gesteckt.
„Bitte, helfen Sie, ja, ich nehme alles auf meine Kappe, nun kommen Sie doch schon, ich mache mir ernsthafte Sorgen, nachdem er zwei Tage lang nicht auf meine Anrufe reagiert hat!“ So hatte sie hastig auf den Mann eingeredet, sich in immer größere Aufregung steigernd.
„Tschä, das sieht nicht gut aus!“
Lisa starrte in sprachlosem Entsetzen auf das Bild vor ihnen.. Ihr Vater hockte vor dem Computer am Fenster. Seine linke Hand baumelte herunter, die rechte lag neben der Maus. Ein leeres Wasserglas stand auf dem Mousepad.
Lisa wollte ihn herumreißen, ihn schütteln, aber Jensen hielt sie mit energischer Hand zurück.
„Rühren Sie ihn lieber nicht an, bevor Arzt und Polizei hier waren!“
Lisa sah wie gelähmt zu, als er die Notrufnummer wählte.
Stumm warteten sie auf die Rückmeldung, auf die Sirene, das Ankommen, kopfschüttelnd beantwortete sie die Fragen der Beamten, nachdem der Notarzt ihr mitfühlend die Hand geschüttelt hatte.
„Ja, ich verstehe ja, dass Sie ihn mitnehmen müssen – ja, ich werde das Ergebnis der Obduktion abwarten – aber sollte nicht mein Bruder auch herkommen? Wir sind zwar seit Jahren zerstritten, aber...“
Nachdem die Spurensicherung abgezogen war – „Reine Routine, aber bei ungeklärten Todesfällen müssen wir eben auch ein Fremdverschulden ausschließen, ja, das Glas nehmen wir mit, im übrigen können Sie sich nun nach Belieben in der Wohnung aufhalten“ – hockte sie wartend im Sessel. Jensen war gegangen, es wurde dämmerig.
Markus würde in einer halben Stunde hier sein, er wollte nur noch seiner Frau Bescheid geben. Auf Lisa wartete niemand, und morgen war Sonntag, da brauchte sie auch nicht zur Arbeit.
Was war mit Vater geschehen? Herzinfarkt? Falsches Medikament? Tötung durch andere schloss sie aus, das war doch unsinnig, die Polizei sah Gespenster. Nun ja, die Balkontür war offen gewesen im Gegensatz zur Wohnungstür, aber ein Einbrecher hätte Spuren hinterlassen, in der Wohnung und an der – Leiche. Sie schauderte bei dem Wort.
Das grüne Symbol flimmerte noch immer. In einem jähen Impuls stand sie auf und rüttelte an der Maus.
Eine Website erschien, auf der in großer Kursivschrift nur ein Wort stand: „Wunschwald“. Darunter das Logo einer bekannten Firma. Auch Markus’ Blick fiel sofort darauf, nachdem sie ihm geöffnet und ihn verlegen begrüßt hatte.
„Ob er uns da eine letzte Nachricht hinterlassen hat?“
Markus, der Computerfreak, hatte dem Vater vor einiger Zeit diese Maschine geschenkt, und Lisa hatte mit leisem Neid festgestellt, wie glücklich er ihn damit gemacht hatte. Wann immer sie nach dem Vater schaute, hatte sie ihn davor angetroffen.
Markus setzte sich vor den Rechner und schaute sich das „Wunschwald“-Logo näher an. Er klickte auf „Spielanweisung“ und „Start“ und meinte dann:
„Unser Vater hat hier einen „Wunschbaum“ gepflanzt. Mal schauen, was sein letzter Wunsch war.“
Lisa schluchzte kurz auf, und Markus sah sie zum ersten Mal voll an.
„Ist hart, auch für mich. Vergessen wir mal für den Augenblick unsere Streitigkeiten und spielen Detektiv, ok?“
Bald hatte er es.
„Ich wünsche mir, dass meine Kinder sich endlich wieder vertragen. Nur dann werden sie die Datei mit meinem letzten Willen und alle notwendigen Hinweise finden, wenn sie sich zusammen setzen und erinnern, was früher unser Wahlspruch war.“
Diese Sätze erschienen, nachdem Markus auf einen der vielen Bäume geklickt hatte, die auf dem Bildschirm empor wuchsen, wenn man der Spielanleitung folgte. Ein anderer User hatte einen Kommentar zu dem Wunsch des Vaters gegeben: „Das hört sich zwar hart, aber gerecht an. Meistens zerstreiten sich Kinder ja erst NACH dem Erbe. Aber ich wünsche Dir, dass es damit noch gute Weile hat.“
Nun, der Zeitpunkt war da, der Vater tot. Die Ursache war jetzt zweitrangig.
„Wir müssen seinen letzten Willen finden“, aus Markus sprach, wenn nicht Gier, so doch ein verständlicher Jagdeifer. Lisa ließ sich anstecken.
„Such doch mal die Dateien durch“, schlug sie vor.
Markus klickte eifrig. Auch die Maus war auf Fingerabdrücke untersucht worden, noch immer lag feiner Staub auf dem Pad.
„Also unter `Testament` gibt es kein File, auch nicht unter `Letzter Wille`.“
„Wir sollen uns an einen Spruch erinnern, um das Passwort zu haben“, erinnerte Lisa ihn.
„Ja und? Was soll das für ein Spruch sein?“
Bei Markus wurde seine übliche Ungeduld sichtbar, und Lisa dachte: Bloß keinen Streit, nicht heute, nicht hier, wo Vater noch vor kurzem gesessen hat. Und gestorben ist ...
Sie fühlte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, und ging in die Küche. Dort war alles blitzsauber und aufgeräumt, der Vater war gut allein zurecht gekommen, er war noch lange nicht lebensuntüchtig und vergreist gewesen. Doch nun war er tot.
Sie füllte ein Glas mit Wasser, ähnlich dem, das neben dem PC gestanden hatte. Wo waren Vaters Medikamente? Hatte er an sein schwaches Herz gedacht und alle regelmäßig genommen?
Das Arzneischränkchen im Badezimmer gab ihr keinen Aufschluss, es war zum Bersten mit Schachteln und Fläschchen gefüllt.
„Ich hab eine Spur“, rief Markus aus dem Wohnzimmer, „Lisa, komm her!“
Es war mittlerweile stockdunkel draußen, nur der helle Bildschirm erleuchtete das Zimmer.
„Ich habe alles durchprobiert: unsere Vornamen, Mutters Namen, Geburtstage, Sprichwörter – nun bin ich mit dem simplen Wort „Familie“ in einen Ordner gelangt, in dem die nächste Nachricht steht!“
Lisa beugte sich vor und las halblaut:
„Liebe Kinder, nun seid Ihr endlich hier angelangt, bei dem, was Eurer Mutter und mir immer am wichtigsten war. Aber damit ist es nicht getan. Ich habe Euch ein schönes Erbe hinterlassen, ich habe hier am Computer nicht nur gespielt, sondern auch genau die Börse beobachtet und im Gegensatz zu vielen Glück gehabt. Ihr könnt Euch also eine knappe Million teilen, Mark, nicht Euro, ich bin da immer noch altmodisch.
Lisa kann endlich ihr Sabbatjahr nehmen und reisen, Markus wird wohl einiges in die Firma stecken, aber er soll auch bitte seiner Familie und den Enkeln, die ich viel zu selten gesehen habe, etwas Gutes tun.“
Nun schluchzte auch Markus auf. Lisa, die über ihn gebeugt stand, legte ihm die Hand auf die Schulter. Dann las sie weiter.
„Setzt Euch nun friedlich zusammen und sucht nach dem Wahlspruch, der Maxime unserer Familie. Dann öffnet sich eine Datei mit allen Kontenangaben.
Viel Glück! Euer Vater.“
„Das ist doch einer ...“, Lisa hätte fast gelacht.
„Ok, ich speicher das und dann lass uns überlegen.“ Markus klickte.
Die Nacht verging, der Aschenbecher füllte sich, die letzten Vorräte an Mineralwasser aus Vaters Küche gingen zur Neige, doch sie kamen zu keinem Ergebnis.
Gegen Morgen schliefen sie beide im Sitzen ein. Lisa hörte als erste die Türklingel.
Als sie verschlafen öffnete, stand Markus’ Frau vor ihr.
„Ich wollte doch mal nach euch schauen und auch was zu essen bringen“, sagte sie und stellte einen großen Korb ab. „Herzliches Beileid, wenn ich so sagen darf.“
Lisa nahm sie spontan in die Arme.
„Das ist nett, dass du gekommen bist, Susanne.“
Auch Markus hatte sich nun erhoben, streckte sich und riss das Fenster auf.
„Lieb von dir, Susannchen, entschuldige unseren Zustand, aber Du musst wissen –“ Er erzählte seiner Frau ausführlich von den Tricks des Alten.
„Na, dann macht mal weiter“, meinte sie lakonisch und wandte sich zum Gehen. „Freut mich, dass ihr nun endlich wieder an einem Tisch sitzt. Blut ist halt doch dicker als Wasser.“ Und damit schloss sie die Wohnungstür hinter sich. Lisa fuhr hoch: „Was hat sie gesagt?“
„Blut ist dicker als Wasser ... Das war einer seiner Lieblingssprüche, erinnerst du dich?“
In diesem Augenblick klingelte das Telefon.
„Wir wollten Ihnen so früh wie möglich Bescheid geben –“ , Markus hatte den Knopf für den Lautsprecher gedrückt, und Lisa konnte alles mithören „wir sind zu dem Schluss gekommen, dass Ihr Vater eines natürlichen Todes gestorben ist. Es liegt zwar eine hohe Konzentration eines Kreislaufmittels vor, das er nach Auskunft seines Hausarztes nehmen musste, aber das muss er selbst geschluckt haben, vielleicht irrtümlicherweise in falscher Dosis. Vielleicht in Selbsttötungsabsicht. Eine Fremdeinwirkung durch Gewalt kann jedenfalls ausgeschlossen werden. Auch Einstiche oder ähnliches konnten nicht gefunden werden.“
„Und die Balkontür?“ Lisa machte ihrem Bruder Zeichen, und er gab ihre Frage weiter. Keine fremden Fingerabdrücke, hörten sie, keine Fußspuren, nichts Verdächtiges.
„Die Leiche wird in zwei Tagen freigegeben, Sie können also alles Notwendige für die Bestattung veranlassen.“
Beide waren nach diesem Anruf eine Weile still. Lisa wischte sich Tränen aus ihrem übernächtigten Gesicht.
„Blut ist dicker als Wasser“, murmelte sie, und Markus stürzte nun doch wieder zum Computer.
„Das ist es!“ Er schrie so laut, dass Lisa eilig das Fenster schloss, schließlich war Sonntag.
Sie fühlte etwas wie Erleichterung, fast Freude, für die sie sich augenblicklich schämte. Aber warum? Vater hatte an sie gedacht und wollte sie noch nach seinem Tode glücklich machen. Bei dem Gedanken an ein Jahr ohne Arbeit wurde es ihr warm und leicht ums Herz.
„Da steht alles!“
Markus deutete auf die Liste von Adressen und Kontonummern, die auf dem Bildschirm herunter scrollten. Am Ende stand ein dickes Smiley und ein letzter Gruß ihres Vaters.
„Ich nehme jetzt die mehrfache Dosis von meinem Mittel. Ich will nicht mehr. Der Arzt sagt, das Aneurysma am Herzen hat sich vergrößert und bald ... Aber das hat nichts mit Euch zu tun. Ich liebe Euch.“
„Danke, Vater“, sagte Lisa leise, „wir werden deinen letzten Wunsch erfüllen und uns nie mehr streiten, gell?“
Markus gab ihr die linke Hand und klickte mit der rechten auf „Ausdrucken“.
„Ich werde in unserem Vorgarten ein Bäumchen pflanzen, das mich täglich an Vaters ´Wunschwald´ erinnern soll.“
„Vergiss das Gießen nicht“, lachte Lisa und fuhr ihm mit der Hand durch das verschwitzte Haar, „ich werde ja auf Reisen sein und kann dich nicht erinnern.“
„Du kriegst einen Laptop und wirst uns täglich mailen“, Markus lachte nun auch und fuhr den Computer herunter. Der Bildschirm wurde schwarz, alle Lämpchen verloschen. Der Rechner rödelte noch ein bisschen, dann schwieg auch er.

©Pearl aka Gisa M. Zigan
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Letzte Aktualisierung: 28.06.2006 - 09.51 Uhr
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