Sexlibris
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Februar 2006
Gefallene Riesen
von Thom Delißen

Er tanzte den letzten Schritt der Pavane und geleitete dann seine, in weißen Rüschen gekleidete Dame zum Tisch.
Ein Kenner der Szene war er, in jeder Beziehung, doch auch Zigeuner.
Er kannte die Cafes, alle Tanzlokale, schlug sich durch, recht und schlecht.
Der große Wurf war noch nicht gelungen.
Doch vielleicht diese weiße Fee? Er ahnte Verheißung in ihrem Parfüm. Zumindest eine entspannte Nacht und damit eine weniger in dem heruntergekommenen Herrenhaus, das ihm sein Vater hinterlassen hatte. Leidiges Kartenspiel!
Stallknecht und Gärtner längst entlassen, nur Anna, die Köchin seiner toten Eltern, war ihm noch geblieben.
“Ich bleib alle Tag bei dir, Bub. Aber ich sag dir, die sind gezählt. Wirst sehn.“ Sie hatte ihren Finger geleckt und in dem Abrechnungsbuch die fünfzig Dukaten vermerkt, die sie ihm aus dem Schränkchen gab.
Er drückte einen Kuss auf das schüttere Haar.

Beim Besuch einer Lokalität, in der nur die premiere classe verkehrte, (die Dame in Weiß hatte ihn eingeführt) versicherte ihm ein Tischgenosse, der zur Oberschicht Brasiliens zählte, man benötige junge, fähige Organisatoren aus Europa.
Daraufhin machte er alles zu Geld, was irgend ging. Zwei Monate später war Ferdinand Köstergard mit einem drittklassigen Handelsschiff auf dem Weg von Spanien nach Kuba.

Richard Köstergard war aus gutem Grund betrunken – man hatte ihn heute entlassen. Er wagte kaum die Tür des ärmlichen Appartements aufzusperren, in dem er mit seiner Frau wohnte.
Als er öffnete, bot von innen etwas Widerstand. Wütend stemmte er sich dagegen, zwängte sich durch.
“Was zum Teufel …“ wollte er loslegen, als er die Kiste bemerkte, die das Hindernis gewesen war. In der richtigen Laune für einen ausgewachsenen Streit, in dem er sich über sein Leben beklagen, Schuldige benennen konnte, überfiel ihn jedoch eine besondere Stille, ließ ihn den Atem anhalten.
Die Kiste, groß wie ein Reisekoffer, klotzte in der Diele. Stempel, Siegel auf dem Holz.
“Deborah! Was ist das?“, rief er in diese Leere in der Leere.
Stille.
Die Küche tadellos aufgeräumt. Auf dem Tisch ein Bogen Papier, Deborahs Schrift erkannte er von weitem. Er ging an den Küchenschrank, griff hinter die Konservendosen, holte eine Flasche billigen Branntweines hervor. Nach einem Schluck las er flatternd. Die üblichen Vorhaltungen. Es endete theatralisch mit: „deswegen gehe ich.“
Damit gab es kein Quäntchen Hoffnung in seiner Existenz. Alles verspielt.

Er schlug mit der Faust auf den Küchentisch. Sein Blick flog noch einmal über die Zeilen. „Nie für mich da; immer nur Deine Freunde und Hobbys im Kopf, das blaue Auge ...“
Er betrachtete das aus Sperrholz gebaute Ungetüm neben der Eingangstür.
Der Absender? Alles in Englisch. Eine brasilianische Regierungsbehörde. Der Kasten war mit Metallstreifen armiert. Er löste die vernagelten Bretter; auf der rechten Seite lag ein Stapel Notizbücher, links davon ein brauner Leinensack. Enttäuscht betrachtete er die fremdsprachige Beschriftung der Bücher. Portugiesisch wahrscheinlich. In Brasilien sprach man portugiesisch. Er wendete sich dem Beutel zu. Darin fand er acht mandarinengroße, nussartige Früchte. Er schüttelte sie, im Inneren rasselte es. Im selben Augenblick läutete das Telefon.
“Deborah?“ Er sprang auf, stolperte über die Schriften, fing sich, meldete sich atemlos.
“Ist dort Richard Köstergard?“
Die Stimme hatte einen ausländischen Akzent.
„Ja“, sagte Köstergard enttäuscht.“
„Herr Köstergard, mein Name ist Alvarez von der brasilianischen Botschaft hier in Bonn. Es geht um eine Erbschaftsangelegenheit.“
Sein Atem stockte,
“Herr Köstergard? Sie haben einen direkten Vorfahren in Brasilien. Ferdinand Köstergard. Verstorben am 29.06.1924. Sie sind der Erbe seines Nachkommens.“
Er fühlte eine Handgranate in seinem Kopf explodieren. „Regierungsangelegenheiten haben ihre Benachrichtigung bis heute verhindert. Sie werden in den nächsten Tagen ein Paket mit seinen Tagebücher und andere Dinge, die ihm wertvoll waren erhalten.“
„Habe Paket“, gurgelte Köstergard.
„Sie werden nicht umhin kommen, in die brasilianische Botschaft nach Bonn zu reisen. Ist das in Ordnung für Sie?“
“Aber“, keuchte Köstergard in den Hörer, „Ja.“
“Ausgezeichnet.“
Es klickte im Telefon, die Leitung war unterbrochen.
Er machte die paar Schritte zu der Brandyflasche.
Tagebücher. Von einem Unbekannten. Niemand hatte ihm je etwas von seinen Ahnen erzählt. Er nahm erneut einen Zug aus der Flasche, dann löste er die Schnüre um die Hefte. Er blätterte sie durch, unverständliches Portugiesisch, das erste, das zweite. Im dritten der duftenden Hefte, - sie hatten einen Wohlgeruch, wie von Blüten, - entdeckte er einen deutschen Satz: „Sie trug mich mit Moschushänden in das Licht.“
Von da an waren die Notizbücher in Deutsch geschrieben, wenn auch in Kurrent.
„Wir befinden uns den dritten Tag auf einer Reise, die mir anmutet, als sei ich durch ein glückliches Schicksal in das Land meiner Träume geraten und dürfe es nun durchqueren. Die Menschen denen wir begegnen, sind wohlgenährt und fröhlich. Die Natur gibt ihnen alles, was sie für ihr Dasein benötigen, mehr noch, scheint mir.
Immer ist der Urwald um uns herum, die gerodeten Inseln der Siedlungen sind weit verstreut. Hier verschwimmen Tag und Nacht wie die Flammen zweier Kerzen, man spürt ständig quellendes Leben, ungebändigt, nach Erfüllung strebend. Jede Pflanze, jedwelches Getier, so meine ich, gibt sich fröhlichen Herzens dem täglichen Kampf um die Existenz hin. Hat man eine Stelle für die Nacht bereitet, so wird man schon nach wenigen Stunden feststellen, dass die Vegetation auf das Spiel eingegangen ist und eine Karte nach der anderen in die Runde wirft. Am Morgen haben sich die ersten Farne und Lianen schon wieder Lebensraum zurückerobert. Die Natur ist die Bank. Und die Bank gewinnt immer.“
Auf einer der nächsten Seiten, fand sich eine grob gezeichnete Karte der Gegend, von der sein Urgroßvater berichtete. Obwohl ihm die Namen der Städte, nichts sagten, erkannte er die ungefähre Lage.
Köstergard las, auf dem Boden neben der Kiste sitzend, Stunde um Stunde. Der Urgroßvater hatte im fernen Land sein Glück gemacht und er, Richard war der Erbe.
“Ein schlankes Wunderwerk ist die Carnaubapalme, nur zwölf Meter hoch, was gering erscheint, angesichts der Riesen um uns herum, doch von großer Vielfältigkeit. Die kirschgroßen Früchte schmecken süß wie der Himmel, sein hartes Holz verwendet man zur Herstellung hochwertiger Furniere, aus den Palmenstämmen gewinnt man Stärke und der Marksaft liefert Zucker. Die Fasern der Blätter können zu Tauwerk, Matten und Hüten verarbeitet werden. Doch Geld machte ich mit dem Wachs der Blätter. Es findet sich in Form von Schuppen auf der Unterseite der Blätter. Copernicia prunifera hat mir den Reichtum geschenkt.“
Richard hatte die Seiten mit wachsender Erregung gelesen, der Pegel der Flasche war stetig gefallen, schließlich schlief er, eines der Hefte auf dem Bauch, erschöpft von den Bildern seiner Phantasie, selig lächelnd ein.

Richard saß im Zug von München nach Bonn, auf den Knien hielt er das letzte Heft seines Urgroßvaters. Bis dahin kein Hinweis auf die seltsamen Früchte in der Kiste. Doch dann, der Satz, den er schon kannte.
„Sie trug mich mit Moschushänden in das Licht. Ihre Körperformen so vollendet, dass sie blendeten. In der Hütte angekommen ging sie an ein kleines tönernes Behältnis. Sich immer wieder nach mir umsehend, holte sie eine Nuss hervor, die sie mir schließlich lächelnd präsentierte. Sie erwartete von mir, die Schalenfrucht zu öffnen. Ich nahm die Machete, die neben der Tür lehnte, legte die Nuss auf den Boden und versetzte ihr einen kräftigen Hieb.
Lächelnd fiel sie dann in meine Arme, drängte mich auf die Bettstatt. Nahm ein kleines Messer, öffnete das Innere der Länge nach, schnitt ein Stück des Fruchtfleisches heraus und teilte es in zwei Teile. Eines davon schob sie mir in den Mund, das andere zerbiss sie mit ihren strahlend weißen Zähnen, kaute, schluckte. Ich tat es ihr nach. Bittersüß der Geschmack, prickelnd nahezu, allemal ungewöhnlich. Ich werde die nachfolgende Nacht nie vergessen.“

Er erging sich auf den nächsten Blättern in den Vorzügen der Nuss, die neben den Wachspalmen wüchse, schilderte ihre stimulierende Wirkung, pries ihre Einzigartigkeit.

Der Botschaftsangehörige, ein kakaobrauner, distinguierter Herr, der ihn empfing, hielt sich kurz.
“Ihr Großvater, zugewandert 1897, Eigentümer eines großen Areals, dass nun, aufgrund Regierungsbeschlüssen, rechtmäßig seinen Erben zusteht. Wollen Sie das Erbe antreten?“

Zwei Tage später saß Richard Köstergard, der, genau wie sein Vorfahre, alles zu Geld gemacht hatte, was er besaß, einschließlich des Zweizimmerappartements, in einem Linienflugzeug nach Brasilia. Seine Vergangenheit lag hinter ihm. Nach der Ankunft des Fliegers setzte er die Reise mit der Bahn fort.
Nach einem üppigen Abendessen versank er im Schlafabteil in seine Träume von einem strahlendem Leben in exotischer Natur mit ebenso fremdartigen Frauen. Brasilia! Reichtum und Macht über einen ganzen Landstrich erwarteten ihn. Als er am nächsten Morgen gemächlich seinen Frühstückskaffee trank, erklärte ihm der Zugschaffner mit hochgezogenen Augenbrauen, sein Ziel sei erreicht.
Köstergard sah gespannt aus dem Fenster.
Da war – Staub.
Dann stand er auf dem Bahnsteig.

„Senor, hier, por aqui – „ der Mann hinter der Theke des einzigen Ausschanks in dem Nest, breitete wie ohnmächtig die Arme aus. „Nur Staub!“
„Sie hätten vor 50 Jahren an diesem Ort sein sollen!“
Er legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen. “Ein Paradies, Senor! Palmen, Früchte, alles Grün. Doch „la rata“, der Hundesohn, hat die Natur verschwinden und alles abholzen lassen. Erst Monokultur, - dann Staub, Senor.“
Er schob Richard ein halbgefülltes Wasserglas voll brauner Flüssigkeit hin.
“Trinken Sie noch ein letztes Glas, Senor Köstergard.“
Er winkte mit den Augen zur Tür.
“Da draußen warten die Leute, die sich bedanken wollen.“

©TD 022006



























Letzte Aktualisierung: 28.06.2006 - 09.56 Uhr
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