Bitte lächeln!
Bitte lächeln!
Unter der Herausgeberschaft von Sabine Ludwigs und Eva Markert präsentieren wir Ihnen 23 humorvolle Geschichten.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Susanne Ruitenberg IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
März 2006
Trauma
von Susanne Ruitenberg

Der Fötus war unruhig. Alles fühlte sich heute falsch an. Die vertraute Umgebung wurde immer enger und drückte ihn nach unten. Das rhythmische Pulsieren, das so herrlich beruhigend war und ihn stets begleitet hatte, klang anders. Erst gehetzt und zu schnell, dann unerträglich langsam. Er versuchte, sich zu wehren und sich der Bewegung entgegen zu stemmen. In wilder Panik fuchtelte er mit den Armen. Umbarmherzig zogen sich die Wände zusammen und erdrückten ihn, wieder und wieder. Eine Zeitlang widerstand er, dann wurde die bedrohliche Kraft, die ihn nach unten presste, zu stark. Er gab auf und ließ sich treiben.

Nein! Die Höhle wurde noch enger. Er passte gerade noch hinein. Unvermittelt steckte er fest. Jetzt konnte er nicht einmal mehr mit den Armen rudern, um seine nervöse Energie los zu werden. Er fühlte sich matt, hatte Hunger, ihm war schwindelig, alles war falsch heute, alles! Und wieder wurde er von gewaltigen Stößen eingedrückt. Von allen Seiten und in immer schnelleren Abständen pressten die Wände auf ihn ein. Auf einmal bewegte er sich wieder und rutschte ein Stückchen vorwärts, falls man hier überhaupt von Richtung reden konnte.



Sein Kopf stieß plötzlich auf einen Widerstand. Er konnte sich nun gar nicht mehr bewegen. Durch den Stillstand spürte er die Schmerzen am ganzen Körper. Dann gab die Mauer vor ihm etwas nach. Eiskalte Luft prallte wie eine harte Faust gegen die Oberseite seines Kopfes. Bisher hatte er in seinem Leben immer eine wohltemperierte Umgebung gehabt. Die Kälte wirkte daher bedrohlich. Er hatte Angst, und versuchte, die Wärme wieder zu finden.



Er spürte, wie er von hinten geschoben wurde. Sein Kopf stieß immer weiter in die feindselige Kälte hinein, bis er ganz davon umhüllt war. Grelles Licht drang ihm in die Augen, die nur rosige Dämmerung gewohnt waren. Er kniff sie fest zu.



Beim nächsten Stoß wurde sein ganzer Oberkörper durch die Engstelle gepresst. Dabei lief ihm das Wasser aus der Lunge in den Mund und von da durch die schlaffen Lippen nach draußen.



Plötzlich rutschte der kleine Junge mit dem ganzen restlichen Körper ins Freie und landete unsanft auf einem harten Boden. Sofort kühlte sein nasser Körper aus und er zitterte. Er bekam keine Luft und ihm wurde schwarz vor Augen. Dann hoben ihn große Händen auf, er schwebte. Als hätte er schon immer gewusst, wie, öffnete er den Mund und atmete zum ersten Mal in seinem Leben ein. Das Ausatmen endete in einem lauten Schrei.

Es landete auf einer warmen weichen Unterlage und wurde zugedeckt. Eine Stimme, die ihm bekannt vorkam, auch wenn sie anders klang als er es gewohnt war, machte sanfte Töne. Etwas roch verlockend. Die Nähe zu diesem großen Lebewesen war sehr angenehm nach der kalten Landung. Auch das Pochen war wieder da, es klang zwar anders als früher, hatte aber wieder den vertrauten Rhythmus. Sein Instinkt sagte ihm, dass er nun etwas in den Mund nehmen musste, und dann würde der Hunger verschwinden. Er suchte. Die großen Hände schoben seinen Kopf höher, da fand er etwas Rundes. Er zog mit den Lippen daran und schmeckte Süße.

Gerade als er schläfrig wurde, hörte er plötzlich die andere Stimme. Die hatte er auch vorher schon öfter gehört, und sich dabei sehr unwohl gefühlt, denn sie dröhnte immer bedrohlich. Auch jetzt. Seine Ohren schmerzten.

Der laute Mensch näherte sich und riss den Jungen ruckartig hoch. Die nette Person schrie jetzt auch, die sanften Hände versuchten, den Kleinen wieder zu fassen zu bekommen. Dann wurde die Verbindung zwischen ihm und der Höhle, aus der er gekommen war, und die er die ganze Zeit vage gespürt hatte, durchgetrennt. Der Grobe trug ihn weg von dem warmen pochenden Körper, der so gut roch. Der kleine Junge strampelte mit Armen und Beinen, denn er wollte nicht fort von hier, er hatte sich gerade so wohl gefühlt. Die laute Stimme brüllte ihn an. Jetzt hatte der Kleine Todesangst, er spürte, dass hier etwas ganz Furchtbares passierte.

Die rauen Hände steckten ihn in eine unangenehme glatte, raschelnde Hülle. Er fror und zitterte noch viel stärker als vorhin. Fremde Gerüche drangen ihm in die Nase. Er wurde auf einen weichen Untergrund gelegt, der sich schaukelnd in Bewegung setzte. Ein unerträglich brummendes Geräusch begann, konnte aber das laute Schimpfen, das weiterhin auf ihn eindrang, nicht übertönen.

Der Junge begann zu schreien. Nach einer Zeit, die sich endlos anfühlte, hörten das Brummen und Wackeln auf. Er wurde wieder hoch gehoben und schrie so laut, wie er nur konnte. Jemand schüttelte ihn, er spürte einen scharfen Schmerz in Kopf und Nacken. Dann hörte er ein metallisches Ratschen und befand sich plötzlich im freien Fall. Hart landete er auf einer unebenen Oberfläche, die Luft blieb ihm weg. Das Ratschen erklang erneut, und das wenige blaue Licht, das er gesehen hatte, verschwand. Er lag in völliger Dunkelheit.

Er war kalt.

Er war allein.

Das durfte nicht sein, das war nicht richtig. Wo waren die angenehme Stimme mit dem Pochen, die Wärme; das Runde, das Süße spendete? Er weinte immer heftiger, aber seine Kräfte ließen schnell nach. Die Kälte durchdrang alles, lähmte ihm Arme und Beine. Bald konnte er kaum noch jammern, seine Energie reichte nicht mehr. Er bekam zu wenig Sauerstoff, und sein Herzschlag verlangsamte sich.

Er wimmerte leise.

Dann atmete er ein letztes Mal ein.

Mit einem leisen Zischen entwich die Luft aus leblosen, kalten Lippen.

Den großen Müllsack, der zehn Minuten später auf ihm landete, spürte er nicht mehr.

Letzte Aktualisierung: 29.06.2006 - 08.34 Uhr
Dieser Text enthält 5545 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.