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März 2006
Der Teufel fragt nicht
von Regina Lindemann

Es lag vor mir, wie es schon oft vor mir gelegen hatte. Es war mir immer ein Freund gewesen, immer, so lange ich denken konnte. Es hörte mir stets zu, ohne jemals zu widersprechen. Hier durfte ich fehlerhaft sein, hier schuf ich Lebensentwürfe aus Zellstoff und Farbpigmenten, änderte, verwarf. Mit ihm gemeinsam beging ich Morde, eroberte Planeten, hatte Existenzen gegründet und wieder vernichtet. Es war mir immer ein Partner gewesen, der mir viel Freiraum ließ.
Je weißer es noch war, desto ungehemmter konnte ich drauf los schreiben. Das war vorbei, heute war alles anders. Das Blatt blieb leer, so sehr ich auch versuchte, ihm Leben aufzuhauchen. Das Weiß glänzte unschuldig im Schein meiner Schreibtischlampe, das dezente Grau der Linien schien mich zu verhöhnen. Die Tinte, die ich an diesem Abend auf das Papier brachte, erwachte nicht zum Leben; die Worte blieben tot und sinnentleert. Dabei hatte ich bereits auf alle Tricks zurückgegriffen, die bei ähnlichen Gelegenheiten funktioniert hatten.
Zuerst beschrieb ich eine halbe Seite mit sinnlosen Worten, manchmal half das, um in den Schreibfluß zu kommen. Ich schaltete damit den kleinen Zensor in meinem Kopf auf Standby und beschäftigte die rechte Hand. Normalerweise bildeten sich nach wenigen Zeilen sinnvolle Sätze und Tinte und Papier wurden zu einer eigenen kleinen Welt. Nicht heute.
Als nächstes hatte ich im Lexikon geblättert und darauf gewartet, dass eines der fettgedruckten Worte begann, mir seine Geschichte zu erzählen. Hin und wieder taten sie das. Manche Worte sprangen einfach aus den Seiten des Buches und pochten auf ihr Recht, als Individuum wahrgenommen zu werden. Sie waren Stellvertreter und wählten mich aus, ihre Geschichte zu erzählen. Heute sprach keines von ihnen.
Schließlich versuchte ich es mit dem ersten Satz. Ein guter erster Satz ist wie ein Tor, das dem Leser den Zugang zu einer Erzählung gewährt – oder dem Autor. Ein schlechter erster Satz dagegen wirkt wie ein massives Schloss. Heute blieb der Weg versperrt.
Ich probierte verschiedene Tricks einiger anderer, bekannterer, besserer Schriftsteller. Wer hatte noch gesagt, er schreibe oft auf die Rückseite von benutztem Papier? Egal, mir half es ohnehin nicht, nicht heute.
Das Blatt musste aber gefüllt werden, ich musste einen Abgabetermin einhalten. Es schien auch alles ganz einfach zu sein, die Figuren standen fest, der Plot war ausgearbeitet, die ganze Sache musste lediglich noch mit Worten belebt werden. Ein Problem, dass ich schon tausend Mal gelöst hatte. Trotzdem ging es nicht voran. Ich spürte, dass ich mich selber blockierte, ich hatte Angst, es würde nicht mehr funktionieren, ich hätte das Schreiben verloren.
Es war zu mir gekommen, als ich geglaubt hatte, mein Leben könnte nicht mehr weitergehen. Papier und Tinte nahmen mich als Dritten in den Bund der Phantasie auf, als die Welt mich als „zu alt, nicht mehr vermittelbar“ ausgestoßen hatte. Mit ihrer Hilfe konnte ich ein relativ eigenständig bestimmtes Leben außerhalb von staatlichen Hilfen erhalten. Was, wenn das jetzt vorbei war? Was würde dann aus mir werden?
Ich seufzte, ich hatte das Blatt zu füllen und wenn es die ganze Nacht dauerte. Etwas zu tun würde mich vielleicht vor einer alles blockierenden Panikattacke bewahren, also stand ich auf und ließ meine Bündnispartner für den Augenblick allein zurück.
Als ich meine Küche betrat, saß dort ein runzliges Männlein auf einem der Stühle und knabberte an einer ungekochten Nudel. Es sah aus, wie ich mir Rumpelstilzchen immer vorgestellt hatte, klein, hutzelig, verschrumpelt, ein Märchenwesen. Was wollte er hier, wie kam er in meine Küche? Für mich sah er nicht aus wie ein Einbrecher, mir kam ein ungeheuerlicher Gedanke. Waren nicht vielen großen Werken Schaffenskrisen der Künstler vorangegangen? Saß dort meine Rettung, meine Erlösung, mein Schicksal? War ich auserwählt?
„Bist du Mephisto?“
Was sollte ich jetzt tun? Bücher, Filme, Märchen, Theaterstücke zeigten seit es sie gab die Gefährlichkeit eines solchen Paktes. Wollte ich das wirklich riskieren? Was für eine Chance! Aber was sollte dabei herauskommen? Nur die Überwindung der momentanen Krise wäre doch wohl ein zu geringer Preis für meine Seele. Was also fordern – Ruhm, Anerkennung, profanen Reichtum?
Das Männchen hatte eine krächzende Stimme, die zu seinem verhutzelten Aussehen passte:
„Wer ist Mephisto? Ich bin Dave.“
---???
Dave?! Wer ist Mephisto?! Was konnte dieser abgerissene Vorgartenzwerg bloß von mir wollen. Er musste mir die Verblüffung vom Gesicht abgelesen haben, denn er sprach weiter, bevor ich mich erholt hatte:
„Ich bin deine Muse!“
Ich hatte meine Muse immer mehr als hysterische Zicke gesehen, aber dieser verkappte Yoda, der seelenruhig Nudeln in meiner Küche knabberte, während ich ihn am Nötigsten brauchte, war auch nicht besser. „Und wieso tust du dann nichts? Gerade eben hätte ich dich dringend gebraucht.“
Er betrachtete einen alten Fleck auf dem Tisch, als gäbe es nichts Wichtigeres auf dieser Welt. Er sah mich nicht an, während er mir lakonisch mitteilte: „Ich mag nicht mehr!“
Langsam wurde ich richtig sauer: „Was soll das heißen: du magst nicht mehr. Wie kannst du nicht mehr mögen? Du bist meine Muse, oder mein Muserich oder was auch immer. Inspirier mich! Ich muss Geld verdienen!“
Der Hutzel war nicht aus der Ruhe zu bringen: „Siehst du, genau das ist das Problem. Ich bin einst zu dir geschickt worden, weil du ein Anliegen hattest, weil du der Welt viel sagen wolltest. Du hast Dinge geschrieben, die die Leute zum Nachdenken brachten, Texte, die etwas bedeuteten. Das tust du aber nicht mehr. Ich bringe dir die tollsten Eingebungen und du verwurstest sie zu flachen Allerwelts-Texten. Sieh mich an, ich gehe dabei ein!“
Ich sah ihn an und er sah wirklich nicht besonders gut aus, ganz blass und klein und abgerissen. Ich fühlte, dass das meine Schuld sein könnte und das drängte mich zur Verteidigung: „Aber die Leute wollten die Texte so, sie verkaufen sich jetzt gut, viel besser als früher. Wenn du eine Botschaft hast, dann solltest du sie deutlicher rüberbringen, dann kann ich sie auch umsetzen.“
Urplötzlich sprang er auf, stand jetzt auf dem Stuhl, in Augenhöhe mit mir. „Aber das ist DEIN verdammter Job, du schreibst, nicht ich! Ich habe dir Anstöße gegeben, bis ich nicht mehr konnte. Ich habe dir Inspiration geschenkt, bis ich beinahe vergangen bin, aber du willst es offenbar gar nicht mehr. Du hast überhaupt keine Botschaft mehr, denkst nur noch an Verkaufen. Du willst von den Lesern geliebt werden, aber es steckt kein Herzblut mehr drin. Du gibst nichts mehr von dir, deswegen sind deine Texte flach und leblos. Und mit jedem schlechten Text werde auch ich immer flacher und lebloser und deswegen mag ich jetzt nicht mehr!“
Er verschwand in einer Nebelwolke und ließ mich mit wattigem Dunst im Hirn zurück.
Es dauerte Tage, bis der Nebel sich langsam lichtete und ich erkannte, dass Dave die Wahrheit gesagt hatte. Tage, in denen das weiße Blatt sich vom Freund zum Feind verwandelte. Jetzt sind die endlosen grauen Linien auf dem Papier mein Gegner, dem ich ohne Dave nicht gewachsen bin. Ich habe meine ersten Texte noch einmal gesichtet: sie waren grauenhaft, stilistisch schlecht, brüllten dem Leser ihre Botschaft ohne jede Rhetorik ins Gesicht – aber jeder konnte nach Jahren noch problemlos erkennen, was mir damals wichtig gewesen war. Lagen mir die Inhalte meiner neueren Texte, die sich so gut verkauften, wirklich am Herzen? Ihr Stil war viel ausgefeilter, es gab erkennbare Spannungsbögen, ausgearbeitete Charaktere, aber was taten meine Figuren? Ihre Gedanken kreisten ununterbrochen um Macht, Reichtum und darum, wie Sie Ihr eigenes Leben verbessern könnten. Genau wie meine Gedanken viel zu oft darum kreisten, ob sich der Text auch verkaufen ließe.
Mephisto musste mit mir niemals handeln, ich hatte ihm meine Seele einfach geschenkt.

Letzte Aktualisierung: 29.06.2006 - 08.04 Uhr
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