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März 2006
Tränen auf Veilchen
von Ulrike Lauterberg

Sorgfältig versuchte ich mit Make-up das blaue Auge abzudecken. Durch einen Tränenschleier betrachtete ich mein Spiegelbild und berührte die aufgeplatzte Lippe, ... die zu verstecken war mir unmöglich.

Meine Schulter schmerzte und im Unterleib fĂĽhlte ich ein Brennen.

Es fing romantisch an, der erste Kuss im Mondenschein, Hochzeit in Weiß, ganz groß. Er war zärtlich und ...

”Mama, weinst du?”, unterbrach mich Julian in meinen Überlegungen. Unbemerkt hatte mein Sohn das Badezimmer betreten.

”Nein”, log ich, ”habe mir eben Wimperntusche ins Auge geschmiert.”

Den Kopf zur Seite geneigt, betrachtete er mich skeptisch.

Es war laut gewesen in der vergangenen Nacht. Mit seinen vier Jahren hätte er genug verstehen können. Hatte er meine Schreie und mein Wimmern gehört?

Lächelnd nahm ich ihn in den Arm und sagte munter:

”Geh schon mal den Frühstückstisch decken, mein Schatz. Ich bin gleich fertig.”



Klaus verlor vor drei Jahren seine Arbeit. Bald begann er zu trinken und schwelgte seither in Selbstmitleid. Nicht lange und seine Gefühle wandelten sich in unberechenbare Aggressivität. Sowie er Alkohol im Blut hatte, schlug er mich. In mir wuchs eine bis zu dem Zeitpunkt unbekannte Emotion, die sich stets mit Angst abwechselte. Hass. Ja, ich begann ihn zu hassen. Jedes Mal, nachdem er mich verprügelt hatte, schwor ich von neuem: Ich werde ihn verlassen. Das waren Gedanken, die mir auf geheimnisvolle Art Kraft gaben, den nächsten Tag zu überstehen. Einmal hatte ich es versucht. Heimlich packte ich das Nötigste ein und wollte mich mit den Kindern aus der Wohnung schleichen. Er kam prompt früher zurück.

Seitdem durfte ich das Haus nicht mehr ohne ihn verlassen. Ein Jahr bereits hielt er mich wie eine Gefangene.



Sarah weinte und riss mich aus meinen Gedanken. Sie verlangte nach einer frischen Windel und ihrem Fläschchen. Ich liebte sie, aber warum musste sie in diese kaputte Ehe geboren werden. Vergewaltigt hatte er mich, wie so oft. Nach seinen Boxhieben in den Magen kotzte ich die Pille aus.

”Du hast deine eheliche Pflicht zu erfüllen!”, schrie er.



Plötzlich verstummte das Schluchzen Saras. Erschrocken verharrte ich an der Tür des Kinderzimmers. Mein Herz begann schneller zu schlagen.

Klaus stand ĂĽber das Bettchen gebeugt. Warum war er schon wach? Er kam doch sonst nie vor dem Mittagessen heraus.

Es raubte mir den Atem, was ich sah. Er drĂĽckte Sara ein Kissen auf das Gesicht.

”Du kleine Krähe, lässt du deinen Papa jetzt schlafen?”, hörte ich ihn zischen.

Mit einem Schrei stürzte ich los, riss meine Sara an mich. Mir war es fast gleichgültig, dass Schläge auf meinen Rücken einprasselten, ich schützte das Baby, so gut es ging. Irgendwann spürt man den Schmerz nicht mehr. Klaus trat nach mir, ich fiel zu Boden, krümmte mich schützend um die brüllende Sara. Als er fertig war mit mir, verließ er fluchend das Kinderzimmer: ”Eines Tages bringe ich dich um, du bescheuerte Kuh.”

Sein letzter Tritt in den RĂĽcken machte mir zu schaffen.

Langsam richtete ich mich auf, bekam kaum Luft. Ungeachtet des Blutes, das aus meiner Lippe tropfte, drückte ich das Kind an mich. Sara wirkte verstört, aber ich habe sie gerettet, das allein zählte.

Julian stand mit einem Mal hinter mir, umklammerte mein Bein.

”Mama, warum hat Papa sich geärgert?”, schluchzte er.

Ich bekam keinen Ton heraus und streichelte mit meiner freien Hand ĂĽber seinen Kopf.

Noch nie hatte er sich an unsere Kindern vergriffen ... noch nie, bis heute. Da war etwas anderes in mir, es wurde stärker und nahm vollkommen Besitz von mir.

Ich muss es abstellen, waren die einzigen Gedanken die mich beherrschten. Abstellen ... Abstellen.



***



”Was liest du denn für einen Müll? Willst dich etwa bilden?” Ein schäbiges Lachen drang aus seiner Kehle. ”Hat eh keinen Zweck mehr bei dir.”

Breit grinsend sah er mich an und riss mir den Krimi aus der Hand.

”Oha, ein richtiges Buch.”, sagte er zynisch und warf es auf den Tisch, als würde es ihn anwidern. Die Haustür schlug zu. Er vergaß nicht, sie gut zu verschließen. Ich wusste, er würde erst in einigen Stunden zurückkommen. Es war Donnerstag und er traf sich wie immer mit seinen Saufkumpanen. Also blieb mir genug Zeit, um mich meinem Vorhaben zu widmen.



***

Gleich Montag früh lief ich zum Kommissariat und gab mit tränenerstickter Stimme die Vermisstenmeldung auf. Der Polizist beruhigte mich und sagte: ”Sie kommen alle wieder, keine Bange.” Nun, diesmal würde er sich täuschen.

Als ich danach unsere Wohnung betrat, sog ich den Duft der aromatischen Öle ein. Seit zwei Tagen ließ ich sie verströmen.

Alles wirkte frischer und sauberer, kein Alkoholdunst mehr.

Die Kinder wollte ich heute wieder zu mir holen. Meine Mutter würde keinen Verdacht schöpfen, ich hatte ihr eine Grippe vorgetäuscht. Noch immer wunderte ich mich, dass alles so einfach war und fragte mich, ob ich auch nichts übersehen hatte?

Von einer inneren Unruhe gepackt lief ich ins Badezimmer, sah mich um. Doch auch da war nichts Außergewöhnliches. Nicht einmal die Klobrille war wie sonst hochgeklappt. Alles war angenehm sauber und duftete blumig nach Putzmitteln.

Das Läuten des Telefons schreckte mich aus meinen Gedanken.

”Scheuer”, hauchte ich mit einem verzweifelten Unterton in den Hörer.

”Karin, geht es dir wirklich schon wieder so gut, dass du die Kinder versorgen kannst? Du hörst dich übel an.”

”Ja, Mutter, es wird gehen. Ich werde sie gegen achtzehn Uhr abholen.”

”Und hast du schon was von Klaus gehört? Hat die Polizei sich schon gemeldet?”

”Nein Mutter, noch nicht!”

Freitag in der Früh hatte ich die Kleinen zu meinen Eltern gefahren. Sie wussten von all den Quälereien nichts, sie wohnten weit genug weg, so dass ich es verbergen konnte.

Den Abschiedsbrief hatte ich bereits Donnerstag auf unserer alten Schreibmaschine geschrieben. Die Unterschrift zu fälschen war kein Problem. Klaus unterschrieb immer sehr merkwürdig, mit fast kindlicher Schrift. Nach einer Stunde Übung ähnelte sie der seinigen.

Als er auĂźer Haus war, mischte ich mit zittrigen Fingern das farblose, flĂĽssige Schlafmittel in die Whiskey-Flasche und stellte sie zurĂĽck in den Schrank.



***

Donnerstagnacht saĂź ich mit nassen Haaren zusammengekauert auf dem Sofa und kĂĽhlte mein geschundenes Gesicht. Ich hatte mich dort hingesetzt, nachdem er mir Gewalt angetan hatte.

Aufgeregt hatte er sich davor beschwert, weil ich nichts mehr für ihn zu essen hatte und schlug auf mich ein, als ich ihn daran erinnerte, wie spät es war. Dann schimpfte er, dass ich den Teppich mit meinem Blut versaute und schleifte mich an den Haaren ins Bad. Er war schon so betrunken, dass seine Stimme schleppend klang. Angst und Hass krochen in meine Zellen. Erstmals war beides zugleich in mir. Ich wehrte mich, schrie, doch es beeindruckte ihn nicht. Mit einer Hand drückte er mich zu Boden, während er kaltes Wasser in die Wanne einließ. Ich dachte nur noch an den Whiskey, den er gleich trinken würde, wie immer, wenn er von seiner Sauftour zurückkam. Als die Wanne halb voll war, zerrte er mich an den Kleidern hoch und ich dachte plötzlich an seine Worte: ”Eines Tages bringe ich dich um.” Triumph breitete sich aus in meinen Gedanken, und als er meinen Kopf unter Wasser drückte, bis mir fast die Sinne schwanden, flüsterte ich in die aufsteigenden Luftblasen: Und der Tag ist heute, Arschloch.

Bald spürte ich nur mehr den Druck im Nacken, wartete das Ende ab. Plötzlich gab er mich frei, mit einem Kreischen schoss ich hoch. Er knallte mir noch eine und verließ das Badezimmer. Hustend und nach Luft schnappend übergab ich mich. Der Tag ist heute, Arschloch. Der Gedanke belebte mich wieder.

Er war ein Sadist geworden, hatte Freude an Grausamkeit. Was war nur passiert mit ihm? Nach den ersten Schlägen damals, war er heulend zusammengebrochen, hatte mich um Verzeihung gebeten.

Ich hockte auf dem Boden vor der Wanne, das Wasser lief mir aus den Haaren. Mit schweren Gliedern zog ich die nassen Sachen aus. Im Bademantel ging ich ins Wohnzimmer. Ich wollte es sehen. Ich musste es sehen. Dann der Moment, als er den ersten Schluck eingoss. Das Herz schlug mir bis zum Hals, während er das Glas leerte. Gefangen von Angst, dass er es jeden Moment bemerken würde und ich dafür erneut seinen Hass und seine Wut zu spüren bekommen könnte.

So saß ich da, abwartend. Zitternd vor Nervosität, ob das Getränk seine Wirkung zeigen würde. Heute ... nur noch heute ...



Als es vorbei war wickelte ich ihn in eine Wolldecke und drehte ihn auf den flachen, Rollen besetzten Pflanzenuntersetzer unserer Palme. Spät in der Nacht zog ich ihn über den Flur, in den Fahrstuhl. So brachte ich seinen schweren Körper in den Keller und setzte ihn an die Wand, hinter unseren alten Möbeln und einem Fahrrad. Meine Angst entdeckt zu werden, ließ mich fast vergessen ihn von der Decke zu befreien. Den Abschiedsbrief legte ich neben die Schlaftropfen und der Flasche Whiskey. Schweißgebadet, aber erleichtert schlich ich zurück nach oben.



***

Eine Woche danach schellte es an der TĂĽr.

”Julian, machst du bitte auf.”, rief ich aus der Küche.

”Die Polizei, Mama.” Mir stockte der Atem. Es ist so weit, dachte ich und legte mir meinen eingeübten Text zurecht.

”Guten Tag Frau Scheuer. Wir haben ihren Mann gefunden.”

”Ja? Wo ist er?”, tat ich erfreut.

”Wie geht’s ihm?”

”Im Keller, Frau Scheuer, er ist tot. Der Polizist holte tief Luft und sprach: ”Ich nehme Sie vorläufig fest wegen Verdachts des Mordes an ihrem Mann.”

Hitze stieg in mir auf.

”Warum? Was ist los?” Meine Stimme überschlug sich.

Meine mĂĽhevoll aufgebaute Fassade brach zusammen.

”Woher wissen Sie ...?”, schluchzte ich.

”Sie kannten ein Geheimnis ihres Mannes nicht. Nur seine Mutter wusste davon.”

Erstaunt sah ich durch meine Tränen hoch.

”Was für ein Geheimnis?”

”Ihr Mann war Analphabet. Er hat nie schreiben gelernt.”

Letzte Aktualisierung: 29.06.2006 - 08.18 Uhr
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