Der Tod aus der Teekiste
Der Tod aus der Teekiste
"Viele Autoren können schreiben, aber nur wenige können originell schreiben. Wir präsentieren Ihnen die Stecknadeln aus dem Heuhaufen."
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Sandy Green IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
März 2006
Meine Schattenwelt
von Sandy Green

Die Wiese mit dem hohen Gras, das niedere Buschwerk, die weiß blühenden Apfelbäume, zum Greifen nah und doch seltsam entrückt. Alles lag im Halbdunkel vor mir. Aber es war kein gewöhnliches Halbdunkel, kein Zwielicht, wie man es von den ersten Morgenstunden oder den Sonnenuntergängen kennt. Keiner der Gegenstände, die ich sah, warf einen Schatten. Ich schaute an mir herab. Auch mein Körper war schattenlos. Es schien, als hätte sich ein riesiger Gegenstand vor die einzige existierende Lichtquelle geschoben. Alles wirkte zweidimensional wie das Werk eines Malers, dem all seine leuchtenden Farben ausgegangen waren. Ein wenig verunsichert sah ich mich um. Nichts bewegte sich. Kein Grashalm schaukelte im Wind, nicht ein Blatt regte sich. Es war still.
Ich beschloss, loszugehen. Der Sand des Feldweges knirschte leise unter meinen Sohlen. Es war das einzige Geräusch und schien nicht hierher zu gehören, so als hätte es sich heimlich in diese Welt des Schweigens geschlichen. Langsam machte ich Schritt um Schritt. Am Horizont wurde ein dunkler Streifen sichtbar, der größer wurde und größer. Ich bewegte mich direkt darauf zu, bis sich das Gebilde aus Dunkelheit in einen Wald verwandelte, der sich nach beiden Seiten bis in die Endlosigkeit ausbreitete. Neugierig folgte ich dem Weg bis zum Waldrand, wo er sich zu einem schmalen Pfad verengte, der sich zwischen den dicht stehenden Bäumen verlor. Zögernd blieb ich stehen. Es ging etwas Bedrohliches von dieser lautlosen Starrheit aus, ein eisiger Hauch wehte mir aus dem Ungewissen entgegen und jagte mir einen Schauer über den Rücken. Erschrocken wandte ich mich um, doch beim Blick auf meine Spuren im Sand wusste ich, dass der Weg in die scheinbare Sicherheit ein Rückschritt war.
Langsam folgte ich dem Pfad, der sich bald rechts, bald links durch das Gewirr der unzähligen Bäume wand. Mit jedem Schritt spürte ich, wie die Beklemmung in mir zunahm. Unsicher sah ich mich um, blickte zurück. Ich war von Bäumen umgeben, eingekreist. Der Pfad vor mir schien immer enger zu werden. Klein und hilflos fühlte ich mich und spürte plötzlich, wie mein Körper zu schrumpfen begann. Gleichzeitig sah ich, dass die Bäume anfingen zu wachsen. Sie wurden größer, streckten ihre Äste in den Himmel, stießen mit der Krone an die Wolken. Eine furchtbare Angst ergriff mich, ließ meinen Körper zittern, der kleiner wurde und kleiner.
Ein lautes entschlossenes „Nein!“ durchbrach die Stille, hallte wider in meinem Kopf, echote in meiner Seele. Obwohl es meine eigene Stimme war, erkannte ich sie nicht sofort. Ruckartig blieb ich stehen und sofort hörte mein Körper auf zu schrumpfen, die Bäume hörten auf zu wachsen. Ich wich ihrem erschreckenden Anblick nicht mehr aus, wagte es, an ihnen empor zu sehen. So groß und übermächtig sie auch wirkten und so winzig und unbedeutend ich mir vorkam, wurde mir doch mit einem Mal bewusst, wie überlegen ich ihnen war. Denn ich konnte mich bewegen, konnte weitergehen und konnte sie hinter mir lassen. Die Angst floss von meiner Seele ab und versickerte vor mir im Waldboden. Mein ertrunkenes Selbstvertrauen atmete wieder frei.
Langsam ging ich weiter. Mit jedem Schritt spürte ich, wie mein Körper wuchs, meine Schritte länger wurden, kraftvoller. Die Bäume jedoch wurden kleiner und kleiner, ihre Kronen sanken von den Wolken herab, bis sie in meiner Augenhöhe waren und ich plötzlich ein helles Licht durch ihr Blättermeer dringen sah. Ich konnte nicht erkennen, was es war, doch eine magische Kraft zog mich auf dieses Leuchten zu. Als ich dem Waldrand näher kam, wich das dumpfe Grau immer mehr satten Grüntönen, lebendigen Farben. Ich spürte die Ungeduld in mir, ging schneller. Und dann entdeckte ich die Schatten. Überall. Der vertraute Anblick meines eigenen Schattens ließ mich voll freudiger Erwartung auf das Licht zueilen. Auf dem letzten Stück begann ich zu rennen.
Ich erreichte den Waldrand. Das überirdische Strahlen blendete meine, an die Schattenwelt gewöhnten Augen. Der eisige Windhauch war verschwunden und eine sanfte Wärme hüllte mich ein, umschloss meine Seele und mein Herz wurde erfüllt von unaussprechlicher Freude und dem Wissen einer ungeahnten Heimat.


Letzte Aktualisierung: 29.06.2006 - 08.19 Uhr
Dieser Text enthält 4239 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.