Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
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März 2006
Wer hat Angst vorm schwarzen Mann
von Claudia Späth

Irgend etwas hatte mich geweckt. Erschrocken setze ich mich im Bett auf und suche den Wecker unter meinem Kopfkissen. Ich taste weiter, lasse meine Hände unter die Decke gleiten, aber ich finde ihn nicht. Draußen ist es noch sehr dunkel aber durch einen winzigen Spalt im Rollo sehe ich ganz deutlich den Mond. Er ist groß und fast ganz rund, nur auf der rechten Seite erkenne ich eine kleine, nach innen gewölbte Delle. Wenn ich in Erdkunde aufgepasst hätte, wüsste ich wie spät es jetzt ist. Ich lausche konzentriert in die Stille ob ich etwas hören kann, ein vorbeifahrendes Auto, oder jemanden, der auf dem Weg zur Arbeit den Aufzug heraufholt. Es scheint noch sehr früh zu sein. Gerade hatte ich die Suche nach dem Wecker aufgegeben, mich wieder zurück in das warme Kissen fallen lassen und wollte schnell einschlafen um an den letzten Traum neu anzuknüpfen, als ich vor Schreck die Augen weit aufreiße und mich wie erstarrt im Bett aufsetze. Sofort beruhige ich mich wieder, denn es ist nur Jacky, der neben meinem Bett auf seinem eigenen Hundekissen schläft und im Schlaf knurrt.
„Er träumt schlecht“; denke ich.
„Das macht er öfter.“ Leise beuge ich mich über die Bettkante zu seinem Schlafkissen, dass ich am Vorabend noch frisch bezogen hatte, herunter. Es ist leer. Mit einem Ruck, bei dem irgendwo im Nacken eine Sehne arg gezerrt wird, fahre ich zurück. Jacky knurrt, ich kenne doch das Knurren meines Hundes, aber er knurrt nicht im Schlaf. Es klingt jetzt auch viel ernster, ganz tief poltert es aus dem kleinen Körper heraus. Vorsichtig suche ich mit den Augen das dunkle Zimmer ab. Ich erkenne nichts, was aussieht wie der Umriss meines
Hundes.
„Jacky“ hauche ich so leise in die schwarze Nacht, dass ich mich selber kaum
hören kann, weil ich mich selber nicht hören will.
Und noch einmal rufe ich zaghaft nach ihm, mit der großen Hoffnung, er würde wedelnd auf mein Bett springen und alles wäre gut.
Kritz, kritz, kritz,
In gleichmäßigen Abständen schabt etwas langsam über das Parkett. Versucht Jacky zu graben? Hier in der Wohnung? Graben Hunde eigentlich nicht mit schnellere, flinkeren Pfoten?
Kritz, kritz, kritz.
Meine Hände sind ganz kalt. Als ich bemerke, dass sie ungeschützt auf der Bettdecke liegen, verstecke ich sie schnell in meinen Kniekehlen.
Ich habe großen Durst. Mir ist warm.
Als das Kratzen aufhört, wird Jacky`s Knurren lauter und aggressiver. Es steigert sich, bis nur noch ein tiefes Grollen die Finsternis erfüllt.
Mein Gott, was um Himmels Willen hat dieser Hund denn nur?
„Jacky!!“ Brülle ich mutig, mit dem Ziel, dieser unheimlichen Situation ein Ende zu bereiten. Über mich selber erschrocken schlägt mein Herz für einen Moment viel zu schnell. Rechts unten neben mir raschelt es. Über die Bettkante hinweg schaut mich ein helles Hundegesicht an. In der Düsternis kann ich deutlich die zwei dunklen Flecken neben seiner Nase erkennen. Erleichtert beuge ich mich zu ihm herunter und kraule ihn am Rücken. Jacky ist ganz warm und weich. Sofort entspanne ich mich während ich ihm über den Kopf streiche, den er mir wohlig entgegenstreckt.
Kritz, kritz, kritz.
Da ist es wieder.
Jacky reißt seinen Kopf aus meinen Händen, fährt herum und starrt durch die geöffnete Schlafzimmertüre in das Zimmer nebenan. Ich sitze aufrecht und fröstelnd in der Mitte meines Bettes und versuche irgend etwas dort drüben zu erkennen.
Trrrrratttta, trrrrratttta, trrrratttta.
Was ist das denn jetzt?
Hüpfen dort Perlen über den Boden?
Jacky winselt. Ich schwitze.
„Hallo?“ hauche ich in meine vor das Gesicht gezogene Bettdecke.
Kritz, Kritz, Kritz.
Dann ist es wieder still.
Wo ist nur dieser verdammte Wecker? Es muss doch schon spät sein, es muss doch schon hell werden. Ich luge durch den Schlitz, aber der Mond ist beharrlich an seinem Platz stehen geblieben. Jacky schleicht von seinem Platz und geht in Richtung Schlafzimmertür.
Bleib hier, denke ich, geh da nicht rüber. Widerwillig aber entschlossen geht er in geduckter Haltung auf das große schwarze Loch zu. Ich würde ihn gerne zurückrufen, aber ich kann nicht. Meine eigene Stimme in der Stille würde mir noch mehr Angst machen.
Da hüpfen doch Perlen über den Boden.
Trrrattttta.
Der kleine weiße Hund leuchtet in der Finsternis wie ein Phosphorstäbchen. Er wagt sich immer näher an das andere Zimmer heran, zwischendurch winselt er zaghaft. Ich habe das Gefühl mein Herzschlag müsste gleich aussetzen, wenn es in diesem Tempo weiter rast.
Wäre ich Hauptdarsteller in einem schlechten Film, würde ich tapfer die Decke zurückschlagen, entschlossen zu einem harten, langen, gut greifbaren Gegenstand greifen und auf nackten Füßen in das angrenzende Zimmer herübergehen um zu sehen was ich eigentlich gar nicht sehen will. Aber ich bleibe wo ich bin. Mein tapferer kleiner Hund wagt sich nun über die Schwelle in das Nebenzimmer und verschwindet in der Dunkelheit.
Trrrrattttta.
Kritz, kritz, kritz.
Herrje ist mir schlecht. Wie kann man nur so viel Angst haben.
Plötzlich zucke ich zusammen, was war dass? Es hat gerade, nur ganz kurz, hell aufgeleuchtet.
Jacky?
Meine Schultern kleben verkrampft an meinen Ohren. Mein ganzer Nackenbereich schmerzt. Ich zwinge mich, meine Schultern zu lockern und versuche mir einzureden, mich nur nicht aufzuregen.
Die Geräusche kommen von draußen, hier drinnen ist nichts.
Wo ist nur der Hund?
Dann fällt die Zimmertüre ins Schloss. Mit einem leichten Klackklick schnappt das Schloss zu und trennt mich von dem Nebenzimmer und von meinem Hund. Ich bin abgegrenzt von dem Rest der Wohnung, alleine in diesem Zimmer, alleine unter der Bettdecke. Wer hat die Türe geschlossen? Ich schwitze wie verrückt, mir geht es nicht gut. Ich lausche nach nebenan. Mir laufen Tränen der Anspannung aus den Augenwinkeln. Mit zwei langen Schritten wäre ich am Lichtschalter, der sich natürlich gleich neben der Türe befindet. Zwei endlos lange Schritte, ungeschützt mit nackten Füßen. Das schaffe ich nicht.
Niemand ist auf der Straße zu hören.
Kein Vogel zwitschert um den herannahenden Morgen einzustimmen.
Ok, denke ich mir.
Eine Minute hat sechzig Sekunden. Eine Stunde hat sechzig Minuten. Ich zähle jetzt immer wieder bis sechzig und irgendwann wird es dann hell werden.
Eins, zwei, drei, vier, fünf...
nicht zu schnell zählen,
...sechs, sieben,...
Kritz, kritz, kritz.
Jacky? Jacky wo bist du?
.....acht, neun, zehn, elf.....
Plötzlich wird die Türe mit einem heftigen Ruck geöffnet und ich sehe mit weit aufgerissenen Augen die Umrisse eines Menschen. Ein schwarzer Schatten vor noch schwärzerem Hintergrund.
Mein Blut rauscht schmerzhaft und laut in meinem Kopf, kalte nasse Tropfen laufen mir an der Wirbelsäule den Rücken herunter, ich bekomme keine Luft mehr. Völlig verängstigt ziehe ich mir die Bettdecke vor das Gesicht, so, dass ich gerade noch darüber hinwegsehen kann.
Da steht jemand, ganz eindeutig.
Er bewegt sich nicht. Er steht einfach nur so da.
Geh weg, schreit es in mir, bitte, geh weg.
Licht, ich will Licht. Zwei Schritte in die Feindliche Richtung; unmöglich.
„Wer ist da?“ Jammere ich leise.
„Was willst du?“ Schluchze ich.
„Jacky?“
An meinem linken Fuß spüre ich etwas Hartes. Das muss der Wecker sein. Damit könnte ich zuschlagen, wenn es darauf ankommt.
„Nein“ winsele ich.
Er steht einfach nur da. Groß, breit, schwarz. Seine Arme liegen eng an seinem Körper. Ein wenig kann ich von dem Weiß in seinen Augen erkennen, er sieht direkt zu mir.
Ich habe das Gefühl, als müsse ich mich auf der Stelle übergeben und daran ersticken.
Wieso sagt er nichts, wieso macht er nichts. Wie kommt er hier herein. Mein Herzschlag bohrt sich in meinen Hals und treibt mein Blut rücksichtslos in meine Schläfen.
Ich ziehe die Decke noch ein Stück höher ungeachtet der Hitze die sich darunter mittlerweile gestaut hat. Obwohl ich gerne gewollte hätte, schaffe ich es nicht, meinen Blick von ihm abzuwenden.
Für einen Moment glaube ich, habe ich ein Stück meines Lebens vor mir gesehen. Es muss irgendetwas aus der Kindergartenzeit gewesen sein. Ach, was weiß ich!
Werde ich heute sterben? Wird er mich verletzten? Wird sich alles in meinem Leben heute Nacht verändern? Wusste er schon gestern, dass er mir heute Nacht die Hölle zeigen würde?
Es geschieht nichts, er bleibt wo er ist.
Ich atme immer hektischer, weil ich vermute, dass mit jeder verstreichenden Minute, die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs größer wird.
Gerade als mein Brustkorb zu zerbersten droht, dreht er sich lautlos um und geht.
Er verschwindet aus meinem Blickfeld. Verspannt und hechelnd bleibe im Bett sitzen und warte auf die Helligkeit, die noch lange nicht kommt.
Erst als die Geräusche auf der Straße und das in die Wohnung einfallende Tageslicht deutlich die Mittagszeit anzeigen, wage ich, mein von Angst durchtränktes Bett zu verlassen.
Die Wohnungstüre steht einen Spalt breit auf.
Ohne klaren Gedanken schließe ich sie und krieche zu dem verstörten Jacky unter die Anrichte, nehme ihn fest in den Arm um dort ängstlich auf die nächste Nacht zu warten.

Letzte Aktualisierung: 29.06.2006 - 08.48 Uhr
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