Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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März 2006
Kleine Schwester
von Luzia Fischer

„Die Angst hockt in diesem Blumentopf, zumindest die kärglichen Überreste davon. Gestern habe ich sie verbrannt, feierlich und mit tiefster Freude. Dann verstreute ich die Asche auf mein kümmerliches Blumenbeet, harkte sie unter die Erde wie Dünger. Eine Blume habe ich ausgegraben und in diesen Topf gepflanzt, für dich kleine Schwester.
Die Angst zu verbrennen war nicht schwer, es war sogar schön, aber sie einzufangen beinahe unmöglich.
Es erfordert viel Kraft und Mut … und Mut ist so selten geworden. Doch die Angst lauert überall, sie springt dich an, wenn du es am wenigsten erwartest und dann beißt sie dich wie ein wildes Tier. Sie frisst dich auf, wenn du dich nicht wehrst. Sie frisst dich restlos auf.

Die Tage, wo die Sicherheit so wärmend war wie eine kuschelige Daunendecke, sind vorbei. Wärme. Ein paar Sonnenstrahlen wären schön. Findest du nicht auch?
Der Winter dauert schon so lang und die Sonne versteckt sich. Das graue kalte Licht erstickt alles. Wie spärlich jetzt doch alles wächst auf den weiß gefleckten Feldern. Ein paar Halme konnte ich einsammeln. Das ist recht wenig. Es reicht nicht einmal für einen. Hast du Hunger? Ach, was frage ich, natürlich hast du keinen Hunger. Komm lass mich dein Kissen aufschütteln. Du fühlst dich kalt an. Mir ist furchtbar kalt, aber das wenige Holz habe ich bereits aufgebraucht. Es soll eine eisige Nacht werden, habe ich gehört. Lass mich kurz nachdenken. Wer hat mir das erzählt? Ich weiß jetzt, Mathilde. Kannst du dich noch an Mathilde erinnern? Diese unförmige dicke Frau? Siehst du, jetzt musst du auch lachen. Mathilde, … ich hätte sie beinahe nicht wieder erkannt, dermaßen dünn ist sie geworden. Dürr und abgemagert. Wenn du mich fragst, steht ihr das noch weniger als das Dicke. Ach, und Jakob habe ich auch getroffen beim Sammeln von Giersch und Wurzeln. Er meinte der Fluss würde immer mal wieder Holz mit sich führen. Aber es wäre sehr mühsam die Trümmer heraus zu fischen. Meistens könne er sowieso nur Reisig ergattern. Aber immerhin. Soll ich es auch einmal versuchen? Was meinst du?
Die Blume sieht auf dem Fenstersims recht hübsch aus. Ich weiß, wenn sie bunt wäre, dann wär sie noch schöner. Aber ich kann mich eigentlich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich zum letzten Mal …
Was rede ich? Die hier tut es auch. Und sie duftet sogar. Wenn ich ganz nahe an sie heran gehe, kann ich den Frühling riechen. Vielleicht kommt er ja doch? Schade, dass du es nicht riechen kannst, kleine Schwester.
Weißt du, es war nicht einfach die Asche in die Erde einzuarbeiten, und die Blume auszugraben auch nicht.
Die Erde ist knochenhart. Deshalb konnten auch die Geschwister Romina und Albert nicht beerdigt werden.
Romina muss ungefähr in deinem Alter gewesen sein. Albert drei Jahre älter, also so alt wie ich. Aber genau weiß ich es nicht. Findest du nicht auch, dass die Zeit quälend langsam vergeht. Manchmal kann ich mich nicht einmal mehr an den Wochentag erinnern. Mathilde ist die Einzige, die ein Radiogerät im Haus hat, um Nachrichten zu hören. Wir versammeln uns dort, immer am … Samstag, glaube ich zumindest. Die Sendung dauert nicht lange und bisher habe ich noch nichts gehört, was uns weiterhelfen könnte. Vielleicht gibt es ja doch irgendwo eine grüne Insel, die von Schnee und Eis verschont geblieben ist? Was denkst du, kleine Schwester? Wäre das möglich? Stell dir nur vor! Sonne, jeden Tag warme herrliche Sonne! Grüne Bäume, an denen köstliche Früchte hängen und Tiere, die auf saftigen Wiesen weiden.
Egal. Ich habe die Angst verbrannt. Nun fürchte ich mich nicht mehr, weil ich sie eingefangen und verbrannt habe.
Womit ich sie einfangen konnte? Letzte Nacht habe ich sie gepackt und tief in mein Kopfkissen hineingedrückt, bis sie schwieg. Endlich Frieden. Die Stille erinnerte mich an den Tag, als der Nebel kam und die Sonne verschluckte.
Das Kopfkissen gab ein schönes Feuer. Jetzt brauche ich es ja auch nicht mehr, aber leider ist es viel zu schnell erloschen.
Du hast es gut, kleine Schwester. Ich beneide dich. Du musst nicht mehr frieren. Wie es denn sein mag, wenn die Kälte nicht mehr zu spüren ist? Mathilde hat erzählt, dass man allmählich einschläft, und es soll einem dabei wohlig warm werden. Ist das nicht tröstlich? Endlich Wärme.
Ich denke, es wird Zeit. Ja doch, es wird Zeit.
Erschrecke nicht kleine Schwester! Ich schiebe dich nur ein kleines Stück zur Seite. Das Bett ist doch recht schmal und keine Sorge, ich bin gleich bei dir.“

Letzte Aktualisierung: 29.06.2006 - 08.36 Uhr
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