Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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März 2006
Thunderstorm
von Melanie Conzelmann

Lautes Knattern schreckt mich aus dem Schlaf. Es dauert eine Weile, bis mir einfällt, wo ich bin.

Wir verbringen die zweite Nacht unseres Zelt-Urlaubs auf einem Campingplatz in Jamestown, North Dakota. Die Zeltwände werden vom Wind gepeitscht. Ein flaues Gefühl breitet sich in meinem Bauch aus. Hoffentlich zieht das Gewitter schnell vorüber.

Im Licht der aufzuckenden Blitze schaue ich zu den Kindern hinüber. Sie schlafen. Ebenso René, mein Mann.

Ein gewaltiger Donnerschlag lässt meine Eingeweide beben, dann dominiert das Heulen des Sturms wieder.

Nur von den dünnen Stoffbahnen umgeben, komme ich mir sehr hilflos und klein vor. Das mulmige Gefühl in meinem Magen steigert sich zur Furcht, als ich im nächsten Blitzlicht die an der Decke befestigte Lampe gefährlich schwanken sehe. Entsetzliche Bilder steigen in mir auf: Meine Kinder, erschlagen von einer Campinglampe in der Größe eines Springerstiefels.

„Das bläst ja ganz schön!“ René ist wach geworden.

„Bitte häng die Lampe ab. Ich habe Angst, dass sie herunterfällt!“

Seufzend steht er auf und schaltet die batteriebetriebene Lampe auf schwächster Stufe ein. Während er in dem wackelnden Zelt mit dem Knoten kämpft, reißt draußen die Verankerung eines Fensters. Mit einem geräuschvollen „Flapp-flapp“ klappt es, vom Wind getrieben, immer wieder rein und raus. Lorena liegt direkt daneben, es könnte sie verletzen. Besorgt stehe ich auf, um es festzuhalten.

Endlich ist die Lampe losgebunden. René verstaut sie sicher zwischen unserem Luftbett und der Zeltwand, lässt sie aber an.

Lorena wacht auf und schaut mich mit ängstlichen Augen an.

„Es ist nur ein Gewitter, mein Schatz. Ist bestimmt bald vorbei“, versuche ich sie und mich zu beruhigen. Hoffentlich hat sie das Zittern in meiner Stimme nicht gehört.

Eigentlich hätte ich es nicht für möglich gehalten, doch plötzlich steigert sich das Getöse zu Ohren betäubendem Dröhnen.

Mir wird abwechselnd heiß und kalt. Was kommt da auf uns zu?

Eine gewaltige Sturmböe hebt plötzlich den Zeltboden an, ist im Begriff das Zelt umzukippen, als wäre es ein Dominostein. Fassungslos und starr vor Schreck, schaue ich zu, wie sich die beiden Luftbetten aufstellen und mir meine Kinder entgegenschleudern, als wären sie von einem Katapult abgefeuert worden!

Alles purzelt durcheinander. Der fahle Lichtschein der Campinglampe wird vom Chaos verschluckt.

Verzweifelt versuche ich mich auf den Beinen zu halten und das Luftbett festzuhalten, das uns nieder zu drücken droht. Lorena kreischt und ich ziehe sie mit einer Hand auf ihre Füße, halte ihre kleine Hand, während ich meine andere gegen das Bett stemme. Ich stottere automatisch beruhigende Worte, an die ich selbst kaum glaube, blicke mich um, versuche im Halbdunkeln etwas zu erkennen – Julian gibt keinen Ton von sich, und ich kann ihn nirgends entdecken.

„Ich kann Julian nicht sehen!“, schreie ich über das Donnern hinweg. René kann sein Luftbett schnell umlegen, und kommt mir zu Hilfe. Ich ringe um meine Beherrschung. Mir ist schlecht vor Angst. Hektisch durchwühle ich mit zitternden Händen die Schlafsäcke auf der nun am Boden liegenden Zeltvorderseite. Ganz unten liegt Julian. Er bewegt sich nicht. Schläft er noch, oder ist er bewusstlos? Hastig hebe ich ihn hoch.

René entdeckt die Campinglampe unter dem Durcheinander. Der Tumult wird von ihrem schwachen Schein beleuchtet. Nur raus hier, ist alles was ich denken kann. Raus, bevor das Zelt weiter rollt und wir mitgerissen werden.

„Mach die Vordertür auf!“, ruft René herüber. Ich versuche es. Lorena beginnt wieder lauter zu weinen und klammert sich an mein T-Shirt. Die Vorderseite mit der Tür liegt halb auf dem Boden, ich kann den Zipper nicht finden. Julian hängt immer noch regungslos in meinem Arm. Panik ergreift von mir Besitz. Was, wenn wir nicht rauskommen, und da draußen rast ein Tornado auf uns zu?

„Es geht nicht!“

„Dann kommt hier rüber! Los alle zusammen!“, brüllt René und gemeinsam kämpfen wir gegen den Zeltboden an, der, undurchdringlich wie eine Mauer, vor uns aufragt. Es funktioniert! Sobald die Hintertür auf Durchgangshöhe ist, öffnet René sie und hilft uns raus.

Eiskalter Regen peitscht uns entgegen. Julian beginnt zu heulen. Mir ist, als würde der Druck eines Schraubstocks von meinem Herzen genommen werden, so erleichtert bin ich. Das ist das erste Mal, dass ich mich über das Weinen meines Sohnes freue. So schnell wie möglich versuche ich mit den Kindern das Auto zu erreichen. Der Sturm raubt uns die Luft zum Atmen. Ich zittere wie Espenlaub. Ob vor Schock oder Kälte, das weiß ich nicht.

Im Auto quetsche ich mich mit den Kindern auf den Beifahrersitz. Sie schmiegen sich ängstlich, aber ein wenig ruhiger, an mich. René kramt ein paar Decken hervor, und seine Regenkombi. Er will das Zelt abbauen, damit es nicht kaputt geht oder weggeweht wird. Ich singe den Kindern mit belegter Stimme etwas vor. Sie sollen sich beruhigen und einschlafen. Währenddessen schaue ich immer wieder nach draußen, beobachte die vom Sturm gebeugten Bäume, deren Schatten sich gegen die Blitze abheben. Hoffentlich wird René nicht von einem herab stürzenden Ast getroffen. Werden die Sturmböen wirklich seltener, oder bilde ich mir das nur ein? Um mich zu beruhigen zähle ich die Abstände zwischen Blitz und Donner. Sie werden größer. Die Anspannung weicht von mir, mein Herzschlag wird langsamer, aber das Adrenalin in meinem Blut sorgt noch lange für Schlaflosigkeit. Was für ein Horror! Ich erwäge die Möglichkeit den Urlaub abzubrechen.



Inzwischen hat sich der Himmel wieder beruhigt. Das bedrohliche Tintenschwarz der Gewitterwolken wird abgelöst vom Nachtblau eines sternenklaren Himmels. Die Kinder liegen schlafend auf mir, ich kann mich kaum bewegen. Nur mit Mühe erhasche ich einen Blick von René. Er scheint das Zelt fast abgebaut zu haben. Einen besseren Blick habe ich auf unsere Zeltnachbarn. Nachdem alles vorbei ist suchen sie im Umkreis von zwanzig Metern nach ihren, vom Wind weggewehten, Sachen.

Die Besitzerin des Campingplatzes fährt mit ihrem Auto eine Inspektionsrunde. Von Ihrer Unterhaltung mit René dringen Gesprächsfetzen zu mir ins Auto: „O.K.? … Help?“



Als René wieder zurückkommt unterhalten wir uns leise und lassen das Geschehene Revue passieren. Zelt, Schlafsäcke und Luftbetten sind klatschnass, über die Hälfte der Heringe wurden vom Sturm aus dem Boden gerissen. Umkehren wollen wir dennoch nicht, es gibt ja noch soviel zu sehen!

Gleich nach dem Frühstück machen wir uns auf zu Wal-Mart und kaufen sturmtaugliche Heringe.

In den folgenden Nächten kann ich nicht gut schlafen. Atemlos lausche ich auf jedes laue Lüftchen. Grummelt da etwa ein Donner in der Ferne?

Letzte Aktualisierung: 29.06.2006 - 08.25 Uhr
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