Die Cremeseife duftete zart nach dem neuen Parfum. Maja genoss die heiße Dusche am frühen Abend; sie liebte es, das Wasser über sich fließen zu lassen. Einen Augenblick wurde sie unsicher. Was wäre, wenn jemand plötzlich in die Villa käme?
Sie hörte das vertraute Geräusch vom Schlüssel. Sie war froh, dass Andreas heute rechtzeitig von der Werbeagentur nach Hause kam, denn sie wollten abends zusammen in das neue koreanische Restaurant. Seit sie die, einsam auf einem Hügel über der Stadt gelegene, kleine Villa bezogen hatten, gingen sie nicht mehr so häufig aus.
Als sie sich abtrocknete, wunderte sie sich, dass Andreas nicht kurz zu ihr ins Bad schaute, wie er es sonst machte, wenn er heim kam. Ein Handtuch um den Körper gewickelt trat Maja in den großen Flur. Er war schwarz-weiß gefliest, am Ende des Flurs führte eine großzügige freie Treppe zum oberen Stockwerk. Dort befanden sich Schlaf- und Gästezimmer. Auf der unteren Etage Wohnzimmer, Esszimmer, Bibliothek, Küche und Bad.
Sie vermisste die Tasche, die Andreas nach der Arbeit auf die Ablage des Gardarobenspiegels stellte. Aus dem Wohnzimmer hörte sie die Stimme eines Fußballkommentators. Hatte sie das Fernsehgerät angelassen?
Neugierig schaute sie durch den Spalt der angelehnten Tür. Auf dem Sofa saß ein fremder Mann mit blonden Haaren in den Kleidern von Andreas. Er trug den mokkafarbenen Anzug, das beige Hemd und die pistazienfarbene Krawatte.
Maja stockte der Atem, nicht einmal ein Schrei entfuhr ihrer Kehle. Träumte sie? Der Fremde wählte einen Musiksender aus. Er stand auf, um sich an der Bar einen Whiskey einzuschenken.
Vorsichtig machte Maja einen Schritt zurück. Sie beobachtete, wie der Mann ins angrenzende Esszimmer ging. Schnell ging sie zurück ins Bad und lauschte an der Tür. Er war über den Flur in die Küche gegangen, öffnete dort den Kühlschrank, anschließend hörte sie das klingeln von Eiswürfeln in einer Schale. Der Fremde ging zurück ins Wohnzimmer. Maja fröstelte, denn sie war barfuß auf dem Marmorboden. Er hatte sich Eiswürfel geholt und legte einige davon mit einer Zange in sein Whiskeyglas. Woher bekam er die Zange? Neulich vor der Party suchte sie die Eiswürfelzange vergebens. Ihr fiel auf, dass der Unbekannte die Socken trug, die Andreas seit dem Wochenende in München vermisste.
Der Mann fühlte sich offensichtlich wie daheim. Maja wollte ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen und an ihr Handy zu gelangen. Leise schlich sie zur Treppe, als sie lauter werdende Schritte durch das Esszimmer nahen hörte. Schnell schlüpfte sie nach nebenan in die Bibliothek, während der Fremde in diesem Augenblick den Flur zur Küche überquerte. Ihr Herz schlug beinahe doppelt so schnell und sie fürchtete, dass er ihren Herzschlag hören konnte.
Er machte sich in der Küche zu schaffen. Sie hörte zunächst, wie er einen Teller aus dem Schrank holte, dann das Geräusch der Schublade mit den Messern. Eben wollte sie die Bibliothek wieder verlassen, als der Fremde unvermittelt auf den Flur trat, die Tür zum Wohnzimmer weit öffnete, damit er die Musik besser hören konnte. Maja musste an der Küchentüre vorbei, um auf die Treppe zu gelangen.
Wieder fasste sie all ihren Mut zusammen und trat in den Flur. Eng hielt sie sich an die Wand gepresst, damit er sie nicht sehen konnte. Kurz bevor sie vor der Küchentür angelangt war, fiel ihm ein Bund geputzte Radieschen auf den Boden, die in alle Richtungen davon rollten. Einige vor ihre Füße. Missmutig sammelte der Blonde die Radieschen in der Küche wieder auf, blickte auf den schwarz-weißen Marmorboden und nahm die restlichen Radieschen. Maja hatte sich geistesgegenwärtig hinter dem ausgeklappten Gardarobenspiegel verborgen. Mit Schrecken sah sie die Feuchtigkeit ihres Fußabdrucks auf einer schwarzen Fliese, aber dem Fremden war nichts aufgefallen. Sie würde nur noch auf die hellen Fliesen treten, um keine Spuren zu hinterlassen.
Der blonde Mann machte das Licht in der Küche an. Jetzt würde es schwieriger werden, unbemerkt an der Küchentüre vorbei zu kommen, denn ihr Schatten konnte sie verraten. Maja holte unhörbar Luft, blickte zur offenen Küchentür, huschte auf die andere Seite der Tür, stolperte über ihre Hausschuhe zu Boden. Gleichzeitig hörte sie in der Küche das Wasser laufen. Hatte er das Geräusch gehört? Der blonde Mann streckte verwundert seinen Kopf aus der Küche, erblickte die Hausschuhe, die er wieder an ihren Platz schob. Maja schien er nicht bemerkt zu haben, denn sie hatte sich hinter die Treppe gerollt.
Sie spürte einen stechenden Schmerz im linken Knöchel. Kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn. Hinter der Treppe war sie zwar nicht sichtbar für den Fremden, dafür schien es aussichtslos in das Schlafzimmer zu gelangen. In einer Hand die Schüssel mit dem Salat und in der anderen Teller, Besteck und Brot ging er wieder ins Wohnzimmer. Maya hörte das Geräusch der Vitrine, in der sie die Weingläser verwahrt hatte. Der Schmerz in ihrem Knöchel lähmte sie. Leise klirrte ein Weinglas auf dem Wohnzimmertisch. Es gab weder Wein im Wohnzimmer noch in der Küche. Der Unbekannte würde in den Keller gehen müssen, um sich eine Flasche zu holen. Der Keller war nur von außen zugänglich, das war der einzige Mangel der Villa, aber in diesem Fall war es ihre Chance nach oben zu kommen.
Sie blickte auf ihren Knöchel, der mehr anschwoll. Sie konnte nun nicht mehr schnell die Treppe hoch huschen während er im Wohnzimmer aß. Der Schmerz war unerträglich und sie konnte nur mühsam ihr Zähneklappern unterdrücken.
Wie kam dieser Mann in ihre Villa? War er schon öfters hier gewesen? Er kannte sich offenbar gut im Haushalt aus. Er benahm sich wie jemand, der von der Arbeit nach Hause kam und erst einmal ausspannen wollte. Wie kam es, dass er den gleichen Anzug trug wie Andreas ihn hatte? Das schien Maja sehr unwahrscheinlich, denn sie hatten ihn gemeinsam in London ausgesucht, die Krawatte stammte aus einem kleinen Geschäft in Barcelona. Es mussten die Kleider von Andreas sein.
Majas Angst wuchs. Langsam versuchte sie sich auf ihre Knie aufzurichten, um so unter der Treppe wieder vor zukommen. Sie wollte nicht länger warten. Es konnte doch nicht sein, dass Andreas so lange wegblieb.
Ein Geräusch aus dem Wohnzimmer ließ sie zusammenzucken. Der Fremde stellte das Geschirr zusammen, trug es in die Küche. Den Korkenzieher aus der Küche legte er auf den Couchtisch, danach ging aus der Haustür. Maya atmete tief durch, versuchte sich aufzurichten, sank aber schnell wieder auf die Knie. Ihr Knöchel schmerzte zu stark. Als sie auf den Knien vor die Treppe rutschte, hörte sie Schritte auf dem Fußabstreifer und den Haustürschlüssel im Schloss. Sie war zu langsam gewesen, sie fühlte sich wie ein gejagtes Tier in der Falle.
„Hallo, mein Schatz“. Die Stimme von Andreas ließ sie aufatmen. Erstaunt blickte er sie an.
„Andreas, hast du den Fremden gesehen in deinem Anzug mit deiner pistazienfarbenen Krawatte?“
„Welcher Fremde? Mir ist niemand begegnet. Wieso kniest du auf dem kalten Boden?“
„Dir ist niemand begegnet? Hast du niemanden in den Keller gehen sehen. Ihr müsst euch begegnet sein“ sagte Maja aufgeregt, als sie sich mühsam aufrichtete.
„Was ist mit deinem Knöchel passiert?“ fragte Andreas besorgt, als er auf sie zuging.
„Ich bin gestolpert“ sagte sie tonlos „ein fremder Mann war in unserer Villa. Ich wollte unbemerkt an der Küche vorbei schleichen, als er dort drinnen war. Sein Geschirr müsste noch in der Küche stehen, den Korkenzieher hat er mit ins Wohnzimmer genommen.“
Andreas schaute in die Küche: „Hier steht kein Geschirr, nur ein Radieschen liegt auf dem Boden!“.
Letzte Aktualisierung: 29.06.2006 - 08.32 Uhr Dieser Text enthält 7744 Zeichen.