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März 2006
Weiber!
von Matthias Ziebarth

Ach wo, Herr Doktor, ich hasse die Niebert! Gehen Sie mir doch mit Angst - wer bin ich denn, dass ich vor dieser Schlampe in den Staub krieche? Vor mir hat sie sich gefürchtet, nicht umgekehrt! Die hätten Sie mal sehen sollen, als ich aus dem Schrank stürzte: stand wie eingewurzelt und starr wie´n Eiszapfen.

Nee, nee, wenn da jemand gelernt hat, was Angst ist, dann sie. Und wenn ich was dabei gelernt habe, dann war es Hass. Soviel ist sicher, Herr Doktor!

Na gut, ich konnte auch schon vorher gehörig hassen: meine poröse Blase, zum Beispiel, oder das schrottige Klappergerüst, was meine Knochen sind. Sie würden sich doch auch dafür hassen, wenn Sie, wo Sie gerade gehen und stehen, pinkeln müssen! Oder, dass Sie vom eigenen Knochengerippe im Stich gelassen werden, wenn sie nur mal eine Runde außer Haus drehen wollen! Aber für diesen Hass würde ich nicht töten wollen. Für den Hass auf die Niebert aber schon!

Stellen Sie sich das mal vor: Ich stehe im gebügelten Frack vor dem Wandspiegel, das Bundesverdienstkreuz am Bande um den Hals gelegt. Es hat mich große Mühe gekostet, den Frack vom Bügel zu nehmen und anzuziehen; es war eine elende Friemelarbeit, erst das Lederetui zu öffnen, dann den Orden anzulegen. Und da kommt diese Schlampe hereingeschneit ohne anzuklopfen, klatscht in die Hände und ruft:
´Na Herr Schubert, spielen wir heute wieder den Helden? Kommen Sie, den Frack tragen Sie doch nur, weil Sie die restlichen Klamotten alle eingenässt haben!`
So redet die, Tag für Tag, kaum dass sie zur Tür herein ist. Mit Wickelkindern kann man so reden. Aber nicht mit einem 82-jährigen Mann, der das Leben kennt!

Gut, wenn es nur beim alltäglichen Geplänkel geblieben wäre! Dass den Weibern von heute nichts mehr heilig ist, dass sie völlig gleichgültig bleiben, wenn jemand etwas Besonderes geleistet, sein Leben aufs Spiel gesetzt hat – geschenkt! Aber dass sie einen in den Dreck ziehen und obendrein noch handgreiflich werden, wenn man ihnen zeigt, wer das Sagen hat –, das ging mir entschieden zu weit. Sie sind ein Mann, Herr Doktor. Sie werden mich verstehen.

An diesem Morgen war die Niebert besonders unausstehlich. Ich lag im Halbschlummer im Bett, die Strahlen der Mittagssonne lugten durch die Rollladenritzen. Da, mit einem Knall ging die Schlafzimmertür auf, und wer herein gefegt kam, war die Niebert:
´N´Morgen, Herr Schubert. Hier müffelt´s ja wie in ´ner Käserei. Ohne Frischluft erstickt man hier noch.´
Sie fetzte den Rolladen in die Höhe, dass mich die Sonnenstrahlen blendeten. Durchs offene Fenster fiel mich der Straßenlärm an wie eine Ohrfeige. Glauben Sie, die hätte sich bei mir entschuldigt? Ach wo, die war nur damit beschäftigt, ihren neuen Schwesternkittel vorzuführen. So einen luftigen, dünnen, wo man allerhand drunter durch sehen kann. Die Niebert grinste mich an, streckte die Arme aus, wirbelte um ihre Achse und machte so Gurretöne wie früher die Barfrau in der Tahiti-Bar, wenn sie mich ermahnte, nicht so viel zu trinken.

Sie rief: ´Na, Schubert, was sagt der Fachmann zum brandheißen Kittel für die elegante Pflegerin um die 40?´
Dabei tänzelte sie so dämlich zwischen Bett und Kommode, dass es passieren musste: Im Gewirbel riss sie das gerahmte Foto herunter! Das Foto mit mir als Rot-Kreuz-Helfer, der eine halb ertrunkene Frau auf die Trage legte: die dritte von insgesamt zwölf Personen, die ich aus den Fluten hatte retten können, damals, Februar ´62, während der Hamburger Sturmflut. Und mich, den zwölffachen Retter, zeichnete der Bundespräsident persönlich mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse aus.

Das Foto stand jahrzehntelang auf der Kommode. Niemand rührte es an außer mir. Bis die Niebert kam und sich aufführte, wie´n Elefant im Porzellanladen: Der Rahmen zerbrach, das Deckglas splitterte und das Foto verknickte!

Herr Doktor, genau so müssen Sie sich fühlen, wenn jemand Sie anpinkelt! Ich fuhr hoch aus dem Bett und brüllte. Ich hieb mit den Fäusten auf die Matratze ein, bis ich merkte, wie alles um mich herum nass wurde. Unter mir breitete sich eine Lache aus Pisse aus. Und die Niebert? Schaltete in Sekundenschnelle von kuhdumm auf dachsfrech:
´Herr Schubert, es tut mir ... ich wollte nicht –– ja was ist das wieder für eine Sauerei! Alles vollgepisst! Ich hab´s gewusst, das Blasentraining nutzt gar nichts. Jetzt verpacke ich Sie erst mal in Windeln, und nächste Woche werde ich Ihnen einen Blasenkatheter verpassen!`

Und dann war sie schon über mir. Mit harten Griffen zerrte sie mir den Schlafanzug vom Leib. Sie befahl mir aufzustehen, damit sie die Bettwäsche abziehen konnte. Ich trat um mich in der stinkenden Brühe, ich schrie: `Hier ist doch kein Abfallhaufen, hier ist ein Mann, ein Rettungssanitäter, der sich um den Staat verdient gemacht hat!´ Was glauben Sie, was die machte? Die drückte mir den Mund zu! Aber jetzt platzte mir der Kragen: Mit ganzer Kraft griff ich nach ihren riesigen Ohrgehängseln und zog mich daran in die Höhe.

Na, sie kreischte los wie die jungen Dinger, die ich als HJ-Pimpf immer in der Umkleidekabine überrascht hatte, ha ha! Aber dann: Herr Doktor, unter uns Männern, da schlug sie mir doch tatsächlich mit der flachen Hand auf den Sack! Das war ein Schmerz, den wünsche ich meinen fiesesten Feinden nicht! Ich war wie betäubt. Rollte auf die Seite und blieb so liegen. Jetzt hätten Sie die Niebert mal sehen sollen: Kann sein, dass sie was Kleinlautes als Entschuldigung gestottert hatte; jedenfalls wurde ihr Ton sofort wieder gebieterisch. Wenn ich nicht mit ihr zusammenarbeiten und aufstehen wollte, könnte ich gern im nassen Bett zurückbleiben.

`Verschwinden Sie endlich´, wollte ich sagen, doch der Schmerz machte mich stumm. Ich lag starr, und ich fror. Fror wie damals ´62, als ich durchs eisige Nordseewasser watend nach Überlebenden suchte. Nur, dass ich diesmal glaubte, ich stürbe. Mit straff gespanntem Betttuch kugelte sie mich schließlich auf die Couch neben dem Bett. Hier lag ich wie weggeworfen, aber unbehelligt von ihrem Gummihandschuh-Gemenge.

Als ich wieder zur Besinnung kam, fand ich mich gewickelt wie ein Baby im Bett wieder. Ich erinnere mich noch an die Schlussworte der Niebert, bevor sie ging:
`Beim nächsten Mal gibt´s den Gummischlauch. Dann hat der Ärger ein Ende.´
Sprach´s und schmiss die Tür ins Schloss.

Ich lass´ mir ja viel gefallen, Herr Doktor. Geschlagen- und Angespucktwerden in Kriegsgefangenschaft; Hausverbote in der Tahiti-Bar – aber dass eine Frau mich verhöhnt, mein Andenken beschmutzt, mir beim Urinieren zuschaut und mir noch in die Eier haut – dafür fehlen mir die Worte. Wissen Sie, was wir im Krieg mit so einer gemacht hätten? Aber meine Knochen sind ja so morsch, nicht erst seitdem Sie bei mir Osteo–... dingsda diagnostiziert haben. Ich musste mir also eine neue Strategie einfallen lassen.

Auf keinen Fall würde ich meinen Kawenzmann katheterisieren lassen! Keine Frau hat sich je bei mir zu tun getraut, was die Niebert mit diesen Gummischläuchen vorhatte. Darum: Am nächsten Morgen musste ich aus der Wohnung verschwinden, noch rechtzeitig vor ihrer Rückkehr! Aber schon auf der zweiten Treppenstufe stachen die Schmerzen wie Pfeile in meine Wirbelsäule. Auf allen Vieren kroch ich in die Wohnung zurück. Zog mich keuchend vorwärts in Richtung Schlafzimmer. In wenigen Minuten würde sie hier sein. Zitternd bat ich den Himmel darum, unsichtbar zu werden. Vor dem Kleiderschrank kam mir die rettende Idee. Langsam zog ich mich an dem Schrankschlüssel hoch, öffnete und kletterte nach innen. Im Dunkeln konnte ich aufrecht stehen und mich hinter dem langen Morgenrock, den aufgereihten Anzügen und alten Arbeitskitteln verstecken. Hier wollte ich abwarten und ausharren.

Sekunden später hörte ich sie kommen. Ihre unverwechselbare Art, die Wohnungstür zuzuwerfen und mir mit Begrüßungsfloskeln den Krieg zu erklären! Ich hörte, wie ihre Stimme unsicher wurde und schließlich ins Schrille kippte. Wo ich denn sei, weshalb ich nicht antwortete? Ich stand mit angehaltenem Atem, die Hände um Morgenrock und Schlüsselschlosskasten geklammert. Jetzt war die Niebert schon ins Schlafzimmer eingedrungen. Zwischen mir und ihr war nur die Schranktür. Ich zog die Tür nach innen, so fest ich nur konnte. Kalter Schweiß tropfte mir auf die nackten Füße.

`Herr Schubert. Ich weiß, dass Sie hier irgendwo sind. Lassen Sie die Spielchen und treten Sie vor mich hin wie ein Mann!´

Als sie das sagte, passierte es wieder: Erst dachte ich, es sei der Schweiß, dann stand ich plötzlich in einer warmen Lache. In Strömen floss es aus mir heraus, an den Beinen herunter über die Füße, bis es durch die Schrankritzen nach außen sickerte. Hilflos musste ich mit ansehen, wie mich meine Blase verriet. Es war so jämmerlich, so erniedrigend. Ich versuchte, an die Ordensverleihung zu denken. Sinnlos. Noch nie im Leben war ich so sehr welkes Fleisch, stinkende Pisse, runzelige Haut, wie in diesem Schrank.

Dann ihr Aufschrei. Ekel, Entsetzen und Triumph.
`Kommen Sie da raus, bevor Sie hier alles einsauen!´, hat die Niebert gerufen bei dem Versuch, die Schranktür aufzureißen. Ich hielt noch eine Weile dagegen, dann brach ich zusammen. Kippte erschlafft durch die aufgezogene Tür nach außen, wo ich der Länge nach hinschlug und liegenblieb.

Den Rest kennen Sie, Herr Doktor. Der Schenkelhalsbruch hat mich komplett bewegungsunfähig gemacht. Aber Schuld hat nur diese Niebert. Bitte, Herr Doktor, bitte sorgen Sie dafür, dass diese Person meine Wohnung nie wieder betritt! Sie hätte sonst gute Gründe um ihr Leben zu fürchten!


***

©Matthias Ziebarth, 03/2006

Letzte Aktualisierung: 29.06.2006 - 08.10 Uhr
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