Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
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März 2006
Neue Frisuren
von Ruth Genegel

Ecki war ein wenig gedrungen von Gestalt und hatte nie diese Momente gekannt, in denen er von einer oder mehreren Frauen gleichzeitig , ob kritiklos oder im Augen-merk ihrer abtastenden Blicke, die auf der Oberfläche eines jeden Körpers kleben bleiben mussten, mit Bewunderung gestraft worden war.
Das alles war der Anlass, warum Ecki eines tages, und zwar als er mindestens 35 Jahren alt geworden war, die Wende herbeischwor und sich fast vornahm, die elen-dige, ja traurige Stimmung, die sein Dasein bestimmte, nunmehr in was Positives umzuwandeln; und so hatte man ihm jedenfalls prophezeit würde sich der Wandel in der Einstellung auch in Null Komma Nix vom Inneren sozusagen in sein äusseres Erscheinungsbild übertragen lassen und ihm ein neues Ansehen bei den weiblichen und männlichen Lebensbegleitern geben, ihn sogesehen in ein rechteres Licht rücken können als zuvor und in eine Dimension, die - soviel stand fest – eine Verän-derung mit sich brächte, natürlich nur im Vergleich zum vorherigen Zustand betrach-tet. Es war ihm also ein leichtes die professionelle Typberatung, die ausserdem ganz schön teuer gewesen war, dadurch abzurunden, dass er in einem Anflug seines noch vorhandenen jugendlichen Leichtsinns, ein ihm empfohlenen Friseur einfach auf-suchte, von dem man sich eine wahre Transformationsleistung versprach. Ecki hatte schon vor dem Termin Kataloge zu wälzen begonnen und auf Anraten der ihm zuge-neigten und durch Zertifikate zu Ehren gekommenen Fachwelt, den Experten unter ihnen, eine gewisse Vorbereitungszeit von etwa 7 Tagen hinzuaddiert, die gerade mal ausreichende Zeit für den Prozess der langsamen Annäherung, zuerst an die Idee, dass man ihm den langen und ein wenig durcheinander wirkenden, ja lockigen Haarschopf so einfach verkürzen würde, und zweitens, ja klar, an knallharte Realitä-ten, denn er hatte sich schon angemeldet und würde das Ereignis folglich nur um-schiffen können, getraute er sich, den formalen Akt, den Termin, seinerseits rück-gängig zu machen, und dazu wäre immerhin ein Anruf von nöten gewesen, und auch ohne sein Gesicht zu verlieren – also, eigentlich gab es kein zurück. Der Gedanke daran, dass alles so war, wie es war, machte Ecki zuweilen nicht nur traurig, sondern tauchte ihn auch in eine Stimmung tiefer Betroffenheit, ein Zustand, der am eklatantesten in der Nacht ausbrach, zumal dann, wenn er noch im Wachzustand
in seinem ganz rosig duftenden Bett vor sich hinlag und dort auf den tiefen und ent-spannenden Schlaf hoffte, den er nicht fand.
Oder zu spät.
Jedenfalls, glaubte sich Ecki in den 7 Tagen, die ihm lange vorkam, weder in der Lage am Telefon mit seiner Mutter zu kommunizieren, noch glaubte er mit Spass raus gehen zu wollen, um sich dort der Öffentlichkeit zu zeigen, und auch im Sport-club, wo man ihn seit Jahren kannte, gab es eigentlich und plötzlich rein gar nichts, was ihn nicht parellisierte oder ihm langweilig vorkam, wenn er mal genau drüber nachdachte. Alsbald, das war am dritten Tag, schien Ecki etwas Gefallendes ge-funden zu haben und würde dazu das Bild aus der Hochglanzzeitung einfach aus-schneiden müssen, dachte er, um es dem Friseur zu zeigen, damit alles nach An-weisung geschehe. Jeden Morgen, wenn Ecki sich in diesen Tagen im Spiegel betrachtete, meinte er nicht nur, denn war er nicht sicher, es werde Zeit, endlich Hand daran anzulegen, sondern schien richtig überzeugt davon. Im zweiten Moment hielt er inne und gab reflektierend zu, wie unangenehm er sich den herannahenden Tag in Wirklichkeit vorstellte, sah Friseur und Schere vor seinem geistigen Auge und ganz klar wie ein Bild, so wenig verschwommen auch, vor sich auftauchen, sich selbst auf einem dieser drehbaren Sessel sitzen und sah im Spiegel bereits das blaue Handtuch, die Manschette, die um seinen Hals gebunden war und seine hängenden nassen Haare, die erstmal ungekämmt bleiben würden, bevor man sie aus der Sprühflasche ein wenig besprenkelte, um alles glatter zu machen.
Die Bilder liefen wie auf einem digitalen Band im Schnelldurchlauf an ihm vorbei, wechselten zuweilen und getrauten sich, in den unmöglichsten Situationen wieder aufzutauchen, verschwanden im nächsten Augenblick und hinter liessen eine Leere, das Gefühl der Ungewissheit in Vermischung mit der schrecklichen Ahnung, die Ecki beschlich und ihn gefangen nahm, der um einen wirklichen Unterschied zwischen vorher und nachher, eine Tatsachen die eigentlich der Grund gewesen wäre, gar nicht erst damit anzufangen, die Veränderung vorzunehmen.
Am sechsten Tag, das war ein Tag vor Termin, verspürte Ecki, der morgens eine halbe Stunde an seiner Tasse mit dem schwarzen ungezuckerten Kaffee genippt hatte, ein flaues Gefühl in der Magengegend, immer noch, das gegen Mittag eher schlimmer wurde als sich abschwächend zu entwickeln. Er überlegte gegen 15 Uhr einen Arzt zu konsultieren, legte sich ins Bett und schlief ein, und als der Tag gekommen war, an dem die Veränderung zum Guten ihren Lauf nehmen würde, der Tag der Befreiung von der alten Pracht, die noch aus Kindertagen stammte, und danach erst würde sich Ecki auch als neuer Mensch fühlen können – das hatte man ihm von fachkundlicher Seite aus mehrfach intensiv ins Gewissen geredet – und nachdem er zuvor einen halben Tag schlummernd im Bett verbracht hatte, ward er plötzlich durch einen Anruf gestört, in dem ihn der Friseur, eine zarte Stimme, die der Chef vorgeschickt hatte, um eine Bestätigung des Termins bat, und da sagte Ecki – JA – ganz kurz und fast unbemerkt, in Gedanken woanders, und legte einfach auf.





Letzte Aktualisierung: 29.06.2006 - 08.08 Uhr
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