Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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März 2006
Rudis Angst
von Anita Handlbaur

Ich liege im Bett, starre zur Decke hoch. Kann nicht einschlafen. Mama sitzt drüben im Wohnzimmer und lacht. Wahrscheinlich ein Witz aus der Schillerstrasse. Sie mag die lustigen Leute da im Fernsehen. Ich war gerade auf dem Klo und habe ein Glas Wasser getrunken. Mein Bauch tut weh. Warum macht Mama das nicht weg? „Was dir ständig weh tut wenn du im Bett liegst und schlafen solltest. Das ist schon sehr merkwürdig“, sagte sie, aber versteh´n tut sie mich nicht. „Jetzt schlaf endlich mein Schatz. Du warst auf der Toilette, hast etwas getrunken. Jeden Abend das Gleiche.“ Mama versteht mich nicht. Ich kann nicht schlafen. Drücke mein Gesicht an Waldi, meinen besten Freund. Der Nikolaus hat ihn mir gebracht als ich ein Baby war, der wusste genau warum.
„Waldi, was soll ich machen? Soll ich Mama rufen? Schon wieder? Sie wird bestimmt schimpfen, weil ich noch munter bin.“ Lustig schaut er mich an – ich drücke Waldi fest.
Tränen laufen mir über die Wangen. Ich habe so viele Fragen.
„Mammiiiiii!“ Wieder höre ich sie lachen. Langsam klettere ich aus meinem Bett und schleiche zur Tür. Leise öffne ich sie, gucke um die Ecke.
„Rudi?“ Mamas Stimme erschreckt mich. Eine Sekunde später steht sie vor mir – komischer Blick, fast böse. „Was machst du hier? Wieso bist du nicht in deinem Bett?“ Sie schaut mir in die Augen plötzlich ist sie ruhig. Streicht mir über den Kopf und zerzaust mir die Haare. „Hast du geweint?“, fragt sie ganz lieb.
„Ja ich …“
„Na komm.“ Sie fasst nach meiner Hand und bringt mich ins Kinderzimmer. „Was ist denn mit dir los? Wieso willst du heute gar nicht schlafen?“ Ich sitze auf ihrem Schoß.
„Ich … mag nicht älter werden!“, schreie ich auf. Mama lächelt. Nur ganz kurz – es ist gleich weg, als ich wieder zu weinen beginne. Sie zieht mich in die Arme und küsst meine Tränen fort.
„Stell dir vor die Zeit würde still stehen und du könntest niemals ein echtes Auto selber fahren. Wäre das nicht ewig schade?“
„Ja, aber … Waldi! Was ist mit ihm? Er wird weg sein, ich werde ihn nicht mehr haben.“
„Doch bestimmt. Wieso nicht?“
„Das glaube ich nicht!“ Mama schiebt mich von ihrem Schoß, steht auf und geht aus dem Zimmer. Kurz darauf steht sie mit einem Bärchen, einem Pandabären wieder vor mir. Er sieht komisch aus, noch abgewetzter als meiner. „Schau mal. Darf ich vorstellen? Das ist Schnucki. Schnucki, das ist Rudi, mein sechsjähriger Sohn. Er glaubt, seinen Waldi zu verlieren, sobald er groß ist.“ Eine fremde Stimme, klingt fast so wie die von Mama, sagt: „Hallo Rudi. Ich bin der beste Freund deiner Mami und das schon, seit sie so klein war wie du jetzt. Sie hat mich immer noch lieb und ich weiß das.“ Ich fange an zu lachen.
„Mama! Das hast du gesagt!“
„Ja. Aber nur weil dieser winzige Pelzträger nicht sprechen kann. So, mein Spatz, nun wird geschlafen. Wenn du magst, lasse ich Schnucki bei dir. Vielleicht erzählt er dir ja von seinen Erlebnissen. Wer weiß.“
„Ja! Danke!“ Ich gebe meiner Mama ein dickes Bussi und drücke sie ganz fest.
Schnucki lege ich neben mich, auf der anderen Seite schläft Waldi.

********

Ich kann nicht einschlafen. Drehe mich hin und her. Längst schon sollte ich nicht mehr wach sein. Bin durcheinander, gar nicht müde. Habe mit Freunden meinen neunten Geburtstag gefeiert. Es war urcool und lustig. Nur Mama hat geweint, Urli ist gestorben. In Religion haben wir gelernt was dann passiert. Ich kann es nicht verstehen. Mein Bauch tut weh, die Brust ist so schwer. Waldi und Schnucki liegen bei mir im Bett. Ich frage sie, aber sie schauen mich nur stumm an.
Plötzlich sehe ich Mama mit grauen Haaren, sie winkt und auf einmal ist sie weg – für immer.
„Mamaaaaaaa!“, schreie ich auf.
Leise knarrt es, das Licht geht an und meine Mama steht im Türrahmen. ´Gott sei Dank!´, denke ich
„Was ist denn los?“
„Ich kann nicht schlafen.“
„Schon wieder? Rudi, du musst. Morgen ist Schule. Jede Nacht läufst du auf die Toilette, etwas trinken, das tut weh und dieses …“ Sie klingt wütend. Ich schaue auf die Bettdecke hinunter. Sie hat ja Recht. Plötzlich muss ich furchtbar weinen, mein ganzer Körper zittert. Ich kann nicht aufhören.
„Rudi, um Himmels Willen was bedrückt dich so?“ Mama setzt sich auf mein Bett und nimmt mein Gesicht zwischen ihre Hände. Lange sieht sie mich an.
„Ich mag nicht, dass die Zeit vergeht.“ Schluchzend werfe ich mich meiner Mama an den Hals. Sie streichelt mir über den Rücken.
„Wieso möchtest du das nicht?“
„Weil du graue Haare bekommst und …“ Ich traue mich nicht das Wort zu sagen, es klingt so böse. Es macht mir Angst.
„Wir werden sie bunt färben“, meinte sie und lächelte mich an.
„Wieso hast du mir nicht gesagt, dass meine Urli tot ist?“ Mit offenem Mund schaut sie mich an.
„Ich habe gehört, wie du telefoniert und geweint hast …“
„Es tut mir leid, Schatz. Ich wollte es dir morgen in Ruhe erklären. Nicht vor dem Schlafen. Ich wollte das hier verhindern.“
„Wieso ist sie gestorben?“
„Oma, meine Oma, war krank, wie du weißt, darum lebte sie in diesem Heim.“ Ich nicke. Erinnere mich sie war ganz dünn und saß im Rollstuhl. „Sie war auch schon stolze neunzig Jahre alt. Jetzt hat der liebe Gott sie erhört und sie zu Opa geholt.“
„Was passiert da? Ich will nicht, dass du stirbst.“
„Ich werde eine alte Beißzange.“ Sie knabbert an meinem Arm, als wäre sie wirklich eine Zange. Das kitzelt ich muss lachen. Meine Mama ist manchmal wirklich lustig.
„Du bist witzig! Ich habe Angst! Ich will dich nicht verlieren. Wieso muss man sterben?“
„Genauso wie man geboren wird, muss man auch sterben. Das kann ich leider nicht ändern. Du, mein Schatz, solltest dir darüber noch keine Gedanken machen.“
„Aber wieso kann man nicht immer leben?“
„Ach, das tut man. Sieh mal dein inneres Wesen, deine Gefühle, Gedanken, das ist deine Seele …“
„Das haben wir in Religion gelernt. Das ewige Leben. Aber ich verstehe das nicht. Wenn man stirbt, wie lebt man dann ewig?“
„Die Seele lebt ewig. Wie ich gerade sagte. Sie macht in deinem Körper Urlaub. Wenn die Ferien zu Ende sind, muss sie wieder nach Hause. Zum lieben Gott. Es ist nicht leicht, dies zu erklären, mein Spatz. Du aber sollst dir dein Leben nicht unnötig schwer machen. Versuche an etwas Schönes zu denken.“
„An was?“
„Na, du hast so viele Wünsche und Träume. Denke fest daran, erzähl sie Waldi und du wirst sehen, dass du gut schlafen kannst.“

****

Mama sieht blendend aus: pechschwarze Haare mit rot gefärbten Strähnchen.
Heute ist sie bei mir zu Besuch. Wir wollen Lauras Geburtstag feiern. Sechs wird sie heute, meine kleine Tochter.
„Na, wie geht es unserer kleinen Laura?“
„Ach, sie ist so herzig. Aber sie macht mir Sorgen.“
„Wieso? Was hat sie?“
„Sie will nicht älter werden, wegen ihrem Bären.“ Mama grinst.
„Das kommt mir sehr bekannt vor. Wo ist eigentlich dein Waldi?“
„Bis vor kurzem saß er auf meinem Nachttisch, nun habe ich ihn Laura geschenkt. Damit er ihr Geschichten aus meiner Kindheit erzählen kann.“ Mama schenkt mir ein zufriedenes Lächeln.




@Anita Handlbaur im März 2006

Letzte Aktualisierung: 29.06.2006 - 08.29 Uhr
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