Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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April 2006
Deep Blue Sea
von Ivonne Schönherr

„Hallo du. Was machst du hier?“
Das winzige Geschöpf schwebte aufrecht im Wasser. Sein S-ähnlicher Körper erstrahlte in Zitronengelb und näherte sich dem Besucher.
„Du siehst lustig aus. Was ist das für ein Ding auf deinem Kopf?“
Neugierig schwamm das Wesen um die Gestalt herum, hüpfte durch eine Perlenschnur aus Luftbläschen, wirbelte ein Stück weit davon und kam wieder näher.
„Uiiiiiiiiiiiiiiiiiiii.“ Es quietschte. „Das war komisch.“
Aufgeregt wedelten die seitlichen Miniflossen des Tierchens.
„Willst du mit mir spielen?“ Sein langsamer Reigen in der Strömung brachte es wieder näher heran.
„Komm, ich zeig’ dir meine Welt“, trillerte es und schwamm auf unnachahmliche Weise davon. Der flache Küstenabschnitt blieb zurück. Doch auch hier, ein paar Meter unter der Oberfläche, drangen noch genug Sonnenstrahlen durch das klare Wasser bis auf den Meeresgrund vor. Sie wanden sich durch Seetang, Mangroven und Korallen, die in ihrer Farbenpracht dem zierlichen Wesen in nichts nachstanden.
„Schau mal! Da ist Paps, ein Seepferdchen, genau wie ich.“ Kurz stockte sein anmutiger Tanz. „Natürlich wie ich, sonst wäre er ja nicht mein Paps“, kicherte es vergnügt. Gegen den nur ein paar Millimeter großen Winzling nahm sich das ältere Tier schon fast wie ein Riese aus. Gemächlich trieb der Vater des kleinen Wirbelwinds über einem Seetangwedel, während sich aus seinem stolz nach vorne gewölbten Bauch eine Wolke weiterer Babys ergoss, die sich, kaum dass sie die Geburt hinter sich gebracht hatten, zur Wasseroberfläche begaben, um ihre Schwimmblasen zu füllen. Dann machten sie sich neugierig auf, ihre Umgebung zu erkunden.
„Noch mehr Brüder und Schwestern!“, jubelte der Kleine begeistert. „Sind sie nicht wundervoll?“

Plötzlich hielt er inne in seinem Schwebeflug, seine chamäleonartigen Augen hefteten sich interessiert auf ein paar Krebstierchen im Bodenschlamm, folgten aufmerksam mal dem einen und dann wieder anderen.
„Die sind alle nicht richtig“, jammerte es unglücklich.
„Oh!“ Unerwartet schnell zuckte das an ein Pferd erinnernde Köpfchen vor, saugte mit seinem röhrenähnlichen, zahnlosen Maul lautstark doch noch ein Beutetierchen an und eine Art Nebel entströmte gleichzeitig seinen Kiemen.
„Hm. Das war lecker. Aber Plankton mag ich auch. Und Schwebegarnelen! Ja die liebe ich.“ Sein biegsamer Schwanz ringelte sich gemächlich um den Stängel einer Wasserpflanze. Die leichte Strömung, die hier herrschte, wiegte diese seltsame Vereinigung harmonisch hin und her.

Ein dunkler Schatten glitt über die Wasseroberfläche, erschreckte einen Schwarm junger Pferdchen, die auseinander stoben, als sich dichtes Gewebe in das Wasser senkte, viele von ihnen einfing und gnadenlos nach oben zog.
„Neeeeeeeeeeein. Bitte nicht. Nicht meine Geschwister!“ Ängstlich hatte sich das kleine Geschöpf noch näher an den Stängel gezogen.
„Warum tut ihr Menschen das? Warum?“ Traurig löste sich sein kleiner Schwanz und es trieb mit der Strömung davon.
„Ich versteh dich nicht. Deine Antworten ergeben keinen Sinn. Warum wollt ihr uns in kleine Becken sperren, wie du sie beschreibst? Ihr könnt uns doch hier besuchen.“

Das Seepferdchen verließ mit hängendem Köpfchen den Wassersog und bewegte sich auf ein Korallenfeld zu. Bunte Fische huschten in den seltsamen Gewächsen herum, tauchten auf und ab. Ein einzigartiges Gewimmel von Leben, in der die plötzliche Melancholie des Tierchens unpassend wirkte und trotzdem nicht weiter auffiel.



„Lass mich dir noch was zeigen“, hauchte es und folgte auf und abschwingend dem Verlauf der farbenprächtigen Ansammlung der unterseeischen Flora und Fauna, die unerwartet in eine Ödnis überging. Abgestorbene, abgebrochene und krank aussehende Korallen wuchsen hier. Fische huschten nur noch vereinzelt über den Boden, mieden das sterbende Gelände.
„Gefällt es euch so wirklich besser? Leer und tot?“ Ein Vorwurf schwang in seiner zarten Stimme mit, auch wenn der Schmerz darin überwog.
„Du sagst nein. Was ist dann der Grund dafür? Sag es mir.“ Über seinen sonst so gelben Körper zuckten ein paar Farbkleckse.
„Nur für Geld? Weil ihr nicht wisst, wo ihr euren Müll verklappen sollt? Oder weil es euch einfach nicht interessiert? Ist das deine Antwort?“ Das Seepferdchen wich zurück, nur noch schwer in der hereinbrechenden Dunkelheit der verschwindenden Sonne erkennbar.
„Geh weg von hier. Ich will nicht mehr mit dir spielen. Verlasse meine Welt oder das was noch davon übrig ist.“ Voller Bitterkeit schwamm es davon, gefolgt von dem Taucher, der es nicht ohne weitere Erklärung davonziehen lassen wollte. Nicht ohne Entschuldigung.

Erst im Seetang holte er das possierliche Tierchen erneut ein, aber nur weil es Halt gemacht hatte und voller Entsetzen auf einen weiteren Taucher starrte, der gerade ein ausgewachsenes Seepferdchenexemplar von dem Wedel herunterzog, an den es sich klammerte. Ohne große Vorsicht brachte er es nach oben, warf es an Bord seines Bootes, an dem eine Gaslaterne befestigt war.
„Pappi. Nehmt mir nicht auch noch meinen Paps.“ Es schwamm zum Ort der Tragödie und verharrte dort. „Was wollt ihr mit ihm?“

„Ihr seid doch so viele. Braucht ihr uns wirklich für Eure Potenz?“, empörte es sich als sein Begleiter den Vorgang zu erklären versuchte.


Der fremde Taucher kam wieder herab, schaute sich suchend um, entdeckte den Winzling und zückte einen Kescher.
Er kam nicht dazu ihn zu benutzen, als der bisherige Begleiter des Seepferdchens eingriff. Viel zu oft hatte er geschwiegen, zu oft weggesehen. Einmal musste Schluss damit sein. Mit kräftigen Schwimmbewegungen brachte er sich zwischen den Fischer und das winzige Geschöpf, nahm es behutsam in seine Fäuste und sah den anderen an. Der kam näher, ließ seinen Blick über den entschlossenen Gegner wandern und machte sich auf die Suche nach neuer Beute.

Die Hände öffnend sah er auf seinen kleinen gelben Freund, der total verstört ein leichtes Opfer war. Vielleicht für den Taucher von eben oder von einem der anderen Boote, deren Lichter über die Wasseroberfläche glitten. Entschlossen zog er seinen Taucherbeutel heraus, füllte ihn mit Wasser und ließ das Seepferdchenbaby hineingleiten.

Tage später saß er vor dem neu eingerichteten Aquarium, beobachtete die Insassen, die von dem Boot stammten, auf das „Paps“ gebracht worden war. Die meisten hatten tot dagelegen, bis auf wenige Ausnahmen. Und nun schwammen sie in diesem Becken, einer billigen, glanzlosen Nachahmung der Natur. Er fühlte sich schuldig, besonders wenn er auf das einzige Jungtier schaute, das seit jener Nacht nicht mehr mit ihm gesprochen hatte. Den Rest seiner Kindheit und seines Lebens würde es nun hier verbringen.

Müde lauschte er den Nachrichten im Fernsehen, die schon wieder von einem Tankerunglück berichteten. Ausgelaufenes Öl machte den Experten Sorgen. Menschen waren zum Glück nicht zu Schaden gekommen. Natürlich nicht. Den Preis zahlte die Natur. Vorerst. Das würde sich ändern. Irgendwann.



Letzte Aktualisierung: 29.06.2006 - 20.32 Uhr
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