Der Tod aus der Teekiste
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April 2006
Nachtgebet
von Melanie Conzelmann

Die zehnjährige Maria von Österreich lag am Abend des 22. Juli 1515 schlaflos in ihren Kissen und starrte auf die Bettvorhänge. Sie glaubte in der feuchtwarmen Atmosphäre des Himmelbettes zu ersticken und konnte keine Ruhe finden, nach dem was geschehen war.

Maria hatte heute geheiratet.

Heirat … Ehefrau … Diese zwei Wörter geisterten in ihrem Kopf herum und führten zu immer neuen erschreckenden Ausdrücken wie: Einsamkeit … Veränderung … Fremde …

Ungeduldig zog sie die Vorhänge ihres Bettes zurück und setzte sich auf.

Sie dachte daran, wie verlassen sie sich in dem großen Stephansdom vorgekommen war. Umgeben von hunderten Gefolgsleuten ihres Großvaters, des Kaisers, und ihres Schwiegervaters, des Königs von Ungarn und Böhmen, hatte sie die Trauung hilflos über sich ergehen lassen. Pflichtbewusst hatte sie sich in ihr Schicksal gefügt und die Tränen zurückgedrängt.

Jetzt brannten sie wieder heiß in ihren Augen. Der dicke Kloß kehrte zurück, setzte sich in ihrem Hals fest, wie eine abscheuliche Kröte, die sie nur mit Wehklagen verjagen könnte. Sie sah das Bild ihrer Geschwister und der Tante vor sich und die unterdrückte Flut brach hervor.

Sie würde in Wien bleiben müssen, um zusammen mit ihrer Schwägerin, die heute einen ihrer Brüder geheiratet hatte, eine angemessene Ausbildung zu erhalten. Ihre Tante, die sich seit ihrem ersten Lebensjahr um sie kümmerte, und die Geschwister würden in die Niederlande zurückkehren. Der Gedanke von nun an weit weg von ihnen zu leben, machte ihr Angst.

Nach einer Weile ebbten die Schluchzer ab.

Maria tröstete sich damit, dass die prunkvollen Hochzeitsfeierlichkeiten noch eine ganze Woche dauern würden. Erst dann wäre die Zeit des Abschieds gekommen.

Sie sinnierte wieder über ihr zukünftiges Leben nach. Würde sie sich mit Anna, ihrer Schwägerin, verstehen? Anna war zwei Jahre älter als sie und sah nett aus.

Hoffnung keimte in Maria auf, die jedoch überschattet wurde von einer ungewissen Zukunft mit ihrem Ehemann.

Sie wusste, sie hatte Glück gehabt, Ludwig war nur ein halbes Jahr jünger. Sie waren einander versprochen worden, als er noch nicht einmal geboren worden war. Aber würden sie sich auch mögen? Wenigstens respektieren?

In ihrem Schmerz erinnerte Maria sich an einen Ausspruch ihrer Tante, sie würde immer beten, wenn sie vor Sorgen nicht einschlafen konnte. Entschlossen erhob sich Maria und kniete neben ihrem Bett nieder.

Sie sprach ein „Vater Unser“. Danach war sie ein wenig ruhiger. Trotzdem fühlte sie ein dringendes Bedürfnis, ihre Ängste in Worte zu fassen und begann von neuem:

„Lieber Gott,

wie ich heute versprochen habe, werde ich stets eine gute und brave Ehefrau sein. Ich werde meinen Ehemann, so gut ich vermag, unterstützen und ihm zur Seite stehen. Meine Studien werde ich fleißig fortsetzen, ich will dem Amt einer Königin würdig sein.

Ich weiß, es ist nicht ganz recht, für sich selbst zu bitten. Aber ich habe solche Angst.

Bitte lasst meinen Ehemann freundlich und lieb sein. Er sollte mir mit Achtung begegnen und mich niemals schlagen, mein Rat ihm wichtig sein.“

Maria errötete und sie fuhr etwas leiser fort:

„Sicher hattet Ihr einen guten Grund mich nicht mit Schönheit zu segnen. Helft Ludwig mich nicht um meines Aussehens, sondern um meines Charakters willen zu mögen. So wird es mir leichter fallen, ihn auch gern zu haben und meine ehelichen Pflichten zu erfüllen. Amen.“

Für einen Augenblick verweilte Maria regungslos vor ihrem Bett und lauschte auf den Klang der Worte, der in ihr nachhallte.

Schließlich stand sie zufrieden auf. Es war ein gutes Gebet.

Auf nackten Füßen ging sie zum Fenster und öffnete es. Sie beugte sich hinaus, atmete tief die frische Sommernachtsluft ein und blickte in den Innenhof der Hofburg hinunter, der von dem fast vollen Mond erleuchtet wurde.

Eine Bewegung in einem Fenster im gegenüber liegenden Flügel erweckte ihre Aufmerksamkeit. Maria entdeckte einen Jungen, der ebenso den leeren Innhof beobachtete wie sie.

Ein Prickeln huschte Marias Rückrat hinauf, ließ sie bis in die Haarspitzen erbeben und ihr Herz aufgeregt klopfen. Das konnte nur Ludwig sein, ihr Ehemann.

Lächelnd erinnerte sie sich daran, wie er ihr heute Morgen sein Eheversprechen gegeben hatte. Zuerst auf ungarisch, aber als er bemerkt hatte, dass sie kein Wort verstand, hatte er es in holperndem Latein wiederholt.

Jetzt hatte er sie bemerkt. Er schaute herüber, hob winkend die Hand.

Ohne zu zögern erwiderte Maria den Gruß. Immer noch lächelnd schloss sie leise das Fenster, schlüpfte in ihr Bett und schlief ein.



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