Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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April 2006
Wenn die Nacht kommt
von Isabell Karch

Katrin starrte an die Decke. Versteinert lag sie in dem kleinem Bett, die Sarah-Kee Bettdecke, mit dem immer nett lächelnden, pausbäckigen Kind zum Kinn gezogen. Ihre kleinen Hände hielten das Ende der Decke fest umgriffen - krampfhaft, als könnte sie damit sich und ihren Körper schützen. Katrin wagte kaum zu atmen. Ihre große Schwester hatte ihr vorm Zubettgehen den Lichtwürfel in die Steckdose an der Tür gesteckt, damit sie auch ja keine Angst bekommen würde. „Hier meine Kleine, ich weiß doch du fürchtest dich im Dunkeln“, hatte ihre Schwester Bärbel noch gesagt, ihr schmatzend einen Kuß auf die Stirn gedrückt, ihr kurz über die dunkelbraunen Locken gestrichen und war auch schon wieder aus dem spartanisch eingerichteten Gästezimmer entschwunden.



Es war das Zimmer in dem Katrin schlief, wenn sie mal wieder bei Bärbel zu Besuch war. Wenn ihre Eltern mal wieder auf einer Feier waren oder einfach mal alleine sein wollten. Früher war sie gerne hier gewesen. Jetzt nicht mehr. Ja früher, dachte sich Katrin und zog die Decke noch näher an ihr feingliedriges, hübsches Gesicht mit den großen Augen und der kleinen Stubsnase. Der kleine Würfel an der Tür sandte so gut wie er konnte sein Licht in alle Richtungen aus, und tauchte den Raum in ein Gemisch aus grau und schwarz, so dass das Zimmer ihr noch angsteinflössender erschien. Zuhause half der kleine Würfel. Doch jetzt, jetzt hatte Katrin Angst. Ganz schreckliche Angst. Denn sie wußte, was passieren würde. Denn es geschah immer. Immer nach demselben Muster.



Katrin hörte ihre Schwester im Bad sich die Zähne putzen. Sie gurgelte und spuckte das Wasser lauthals ins Waschbecken. Katrins Herz begann schneller zu pochen. Es war ihr, als füllten die Schläge den kompletten Raum aus - poch, poch, poch - prallten an Kleiderschrank, Kommode und Bett ab, um sich dann wieder im Raum zu verteilen. Die Klospülung ging. Gleich würde Bärbel ins Bett gehen. Bald war es soweit. Katrins Körper verkrampfte sich immer mehr. Ein dicker Kloß hing ihr im Hals, ein Kloß, der jegliche Gefühle in ihrem kleinen Körper gefangen hielt, verschloss, wie ein Ventil, so dass sie nicht mehr nach Außen dringen konnten. Früher hatte sie oft geweint. Jetzt nicht mehr. Jetzt war nur noch das Gefühl von Leere da, von einem Nebel, der alles in ein dunkles Nichts hüllte.



Gleich war es soweit. Ein wenig Zeit blieb ihr noch, doch an Schlafen war nicht zu denken. Katrin horchte ihrem Atem und ihren Herzschlägen, die ihr hoch bis zum Hals wanderten. Dann war es soweit. Er kam. Er hatte genug vom Fernsehen, von Tatort oder Derrick. Jetzt wurde er zum Akteur - zum Täter - und sie zum Opfer. Vorsichtig drückte er die Türklinke runter und betrat leise das Gästezimmer, so als ob er die Sache vor allen, vor allem auch vor sich und vor ihr, verheimlichen könnte - alles im Mantel der Stille, völlig unbemerkt. Und doch berührte es Katrin mehr als alles was sie kannte. Er setzte sich zu ihr ans Bett und redete in Engels-Zungen auf sie ein, und doch waren es die Worte des Teufels. Seine Hand zog Katrins kindliches Schutzschild, die Sarah-Kee-Decke, weg. Ihr kindlicher Versuch, dem Unausweichlichem zu entkommen. Und doch war sie ja ein Kind. Und er der Mann ihrer Schwester, der ihr gleich wieder weh tun würde. Sie würde alles über sich ergehen lassen. Kein Wort, kein Mucks würden über ihre Lippen kommen, denn das Ventil versperrte mittlerweile alles.



Als der Mann, deren Name ihr in alle Ewigkeit einen Stich ins Herz versetzen wird, so leise wie er kam, auch wieder verschwunden war, zog Katrin die Decke wieder hoch bis zum Kinn. Doch unter ihr begann sie sich an den Armen zu kratzen. Sie krallte ihre kurzen Fingernägel so tief ins Fleisch bis das Blut durch die aufgerissenen Stellen sickerte. Ihr wurde heiß, die innere Anspannung wich ein wenig. Das war das einzige Gefühl, das sie noch zulassen konnte, und das sie je wieder in ihrem Leben zulassen würde. Da würde auch ein Lichtwürfel nichts mehr dran ändern.

Letzte Aktualisierung: 28.06.2006 - 14.47 Uhr
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