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Mai 2006
Der DÀmon der TrÀume
von Regina Lindemann

Die Menschen erahnten seine Existenz seit Jahrhunderten. Sie erzĂ€hlten ihren Kindern von ihm, nannten ihn dabei verniedlichend TrĂ€umerle oder SandmĂ€nnchen. Er aber war ein Geschöpf des Dunkels, nicht des Lichts. Er lebte in der Unterwelt und dort nannte man ihn den DĂ€mon der TrĂ€ume. Die ersten Jahrtausende nach der Erschaffung der Welt hatten fĂŒr ihn ihre Schwierigkeiten gehabt. Es gab nicht Wenige in der Unterwelt, die glaubten, er gehöre nicht wirklich zu ihnen. Wieder und wieder warfen sie ihm vor, er wĂ€re kein echter DĂ€mon. Er bringe nicht nur böse TrĂ€ume, er helfe außerdem den Menschen ihren sterblichen Kleinkram zu verarbeiten, damit tue er gar Gutes. Das mochte alles wahr sein, aber er dachte subtiler. Er brachte den Menschen immer das was sie seiner Meinung nach verdienten: gute TrĂ€ume nach einer bösen Tat und böse TrĂ€ume als Folge von guten Taten. Es war seine Form von Belohnung und Bestrafung. Und was das Verarbeiten betraf: der Geist der Menschen war so zerbrechlich, sie könnten ohne ihn und seine TrĂ€ume nicht ĂŒberleben. Er war ĂŒberlebenswichtig fĂŒr sie. Außerdem war es nicht seine Schuld, dass der Schöpfer es einst so eingerichtet hatte. Er fĂŒr seinen Teil hatte klar Stellung bezogen, er war Luzifer mitsamt seiner Aufgabe in die Unterwelt gefolgt und er stand zu seiner Entscheidung. Auch jetzt noch, wo die Hölle endlich einen Vorwand gefunden hatte, ihn loszuwerden.

Nur ein einziges Mal in all den Jahrhunderten war er unsicher in seiner Entscheidung geworden. Ausgerechnet durch eine Sterbliche. Sie war so rein, so vollkommen gewesen, dass er sie zuerst fĂŒr einen Engel in geheimer Mission hielt. Sie hatte gerade erst ihre eigene Wahl getroffen und ihr neuer klösterlicher Name lautete Schwester Sophia. Es war ein passender Name, sie war auf ihre Art weise, auch wenn sie noch jung war. Sie reizte ihn, nicht durch ihren Leib, natĂŒrlich nicht. In den vergangenen Jahrhunderten hatte es genĂŒgend reizvolle Körper gegeben. Es war ihr Geist, der sie fĂŒr ihn interessant machte. Sie war so unglaublich unantastbar in dem was sie tat. So sicher. Es war fĂŒr ihn wie ein Spiel, das er mit einem fast ebenbĂŒrtigen Gegner spielte und das er unbedingt gewinnen wollte. Er versuchte Nacht fĂŒr Nacht Zweifel in ihr zu wecken, sie von ihrem selbst gewĂ€hlten Weg abzubringen. Dabei zog er das ganze Register seiner Erfahrung. Er zeigte ihr im Traum die angenehmsten Seiten der sieben TodsĂŒnden. Nicht nur einfach eine nach der anderen, nein, er war ein KĂŒnstler. Er vermischte Völlerei mit Wollust und ließ jeden Geschmack einzeln auf ihrer Zunge explodieren wĂ€hrend er ein Bild von einem Mann vor ihrem imaginĂ€ren Auge Versprechungen machen ließ. Er zeigte ihr, wie viel Gutes sie bewirken könnte, wenn sie ihrem Zorn freien Lauf ließe, um fĂŒr die Armen der Stadt zu kĂ€mpfen. In einer Nachte musste sie fĂŒhlen, welche Kraft ihr Neid und Habgier geben könnten.

Der DĂ€mon war sehr stolz auf gerade diesen Traum. Er entwickelte mĂŒhevoll ein Szenario, in dem Sophia ein paar zerlumpte Kinder vor dem Verhungern bewahrte und spĂ€ter eine Schule grĂŒndete. Das alles finanzierte sie durch die Zuwendungen eines bekannten RĂ€uberhauptmannes. Der DĂ€mon ermöglichte ihr, dass sie sich gut fĂŒhlte, wenn sie die Kinder beim Lernen beobachtete. Dass sie dabei auch ein wenig dem Stolz verfiel war nicht sein Beitrag. Ab und an gaben die Menschen noch einen Teil ihrer eigenen Persönlichkeit in die TrĂ€ume. Sieben Mal schickte er ihr diesen Traum und beobachtete, wie sie im Schlaf lĂ€chelte. Beim siebten Mal Ă€nderte er das Ende: Sophia sah sich jetzt der alten Nonne gegenĂŒberstehen, die sie damals zum Klosterleben bewogen hatte. Diese kreischte und zeterte, warf Sophia vor, aus eigennĂŒtzigen Motiven gehandelt und ihr GelĂŒbde verraten zu haben. Sophia weinte im Schlaf so laut, dass sie davon aufwachte.

Das ganze Spiel dauerte mehrere Monate und die junge Nonne wurde immer blasser und schmaler dabei. Das bemerkte der DĂ€mon der TrĂ€ume jedoch nicht, er wollte nur dieses Spiel gewinnen. Die NĂ€chte in denen er ihr die Verlockungen der SĂŒnde in bunten Bildern in ihre TrĂ€ume schickte folgten immer schneller aufeinander, er gönnte ihr kaum noch einen traumlosen Schlaf. Mit der Zeit begann er sie auf seine dĂ€monische Art lieb zu gewinnen und er redete sich ein, verhindern zu wollen, dass sie ihr Leben hinter langweiligen Klostermauern verbrauchte. Sie sollte sich dem Genuss hingeben können, nicht der Askese folgen mĂŒssen. In Wahrheit konnte der den Gedanken nicht ertragen, dass ihre Seele irgendwann in den Himmel steigen wĂŒrde und er sie nie wieder sehen sollte. WĂ€re sie dagegen erst einmal in der Unterwelt: Man konnte nie wissen, was passierte - Luzifer legte auf strikte Einhaltung der Trennung von Seelen und DĂ€monen ohnehin nicht viel Wert.

Jedoch beugte sich Sophias Geist in all den Monaten nicht. Es geschah etwas, womit der DĂ€mon nicht gerechnet hatte. Anstatt an den strengen Regeln ihres Ordens zu zweifeln, sie hinter sich lassen zu wollten, stellte Sophia ihre eigene Eignung fĂŒr den Glauben in Frage. Sie meinte plötzlich, dass sie nicht stark genug fĂŒr das Ordensleben wĂ€re, dass Gott sie deswegen zurĂŒckstoßen wĂŒrde. Die verdammten Betschwestern um sie herum bestĂ€rkten sie in diesem Irrsinn. Als könnte es irgendetwas geben, fĂŒr das Sophia nicht gut genug wĂ€re. Ihre UnterstĂŒtzung bestand in Gebeten und FĂŒrbitten fĂŒr die junge Nonne. Sie redeten ihr ein, sie mĂŒsse gegen die TrĂ€ume ankĂ€mpfen, Gott wolle sie prĂŒfen und es wĂŒrde bald vorbei sein.

Aber es ging nicht vorbei, weil der DĂ€mon der TrĂ€ume nicht aufgeben konnte. Eines Abends, kurz nachdem er sie persönlich als Inkubus beglĂŒckt hatte, kam er zur gewohnten Zeit in ihre Kammer, aber sie lag nicht auf dem schmalen Bett. Er spĂŒrte ihr nach und fand sie auf dem Dachboden des Klosters vor dem geöffneten Fenster kniend vor. Sie betete. Er konnte die Worte verstehen: „Gott, bitte verzeih mir, aber ich kann nicht zurĂŒck in mein altes Leben. Ich habe das GelĂŒbde bereits abgelegt und es gibt kein ZurĂŒck mehr. In meinen TrĂ€umen zeigst du mir, dass du meinen Dienst nicht willst, aber ich weiß nichts anderes mit meinem Leben anzufangen. So werde ich es jetzt beenden und begebe mich in deine HĂ€nde.“ Sie sprach die gleichen Worte immer wieder. Der DĂ€mon wusste, sie wĂŒrde nicht in den Himmel aufsteigen, nicht als Selbstmörderin. Die harten Gesetze dort hatten vor langer Zeit dazu beigetragen, dass er sich fĂŒr die Hölle entschieden hatte. Er hatte sich fĂŒr Sophia ein erfĂŒlltes Leben vorgestellt, nicht das hier. Wenn er je jemanden gekannt hatte, der zwischen die Engel gehörte, dann sie. Ihre Seele wĂŒrde in der Hölle zugrunde gehen bis in alle Ewigkeit. Es wĂ€re seine Schuld, so hatte er sich das alles nicht vorgestellt, so war das nicht geplant gewesen. Darum tat er etwas, das er noch nie zuvor getan hatte: er festigte seine Existenz in einen körperlichen Leib. Als Sophia mit ihrem Gebet fertig war und an den Rand des Fensters trat, nahm er Anlauf und stieß sie hinunter.

Dieser Plan zumindest hatte funktioniert. Ihre Seele steckte nicht im Sumpf bei den Selbstmördern. Er hatte ihn eigenhĂ€ndig ĂŒberprĂŒft. Den Sumpf und jede andere Ecke der Hölle: sie war nicht da. Auf der Erde war sie auch nicht mehr, also musste der Himmel sie wohl als Mordopfer angenommen haben. Er hoffte, dass sie dort glĂŒcklich war, hier unten hĂ€tte sie einfach nicht hingehört.

Seitdem war er ein bisschen vorsichtiger, wenn er mit den TrĂ€umen und Hoffnungen der Menschen herumspielte. Zweifel? Zweifel an seiner eigenen Wahl hatte er deswegen nicht, bestimmt nicht. DafĂŒr meldete Luzifer plötzlich Zweifel an seiner Zugehörigkeit zur Hölle an. Er warf ihm vor, er hĂ€tte eine eindeutig gute Tat vollbracht und Sophias Seele der Hölle entzogen. Der DĂ€mon der TrĂ€ume musste vor dem Tribunal der Hölle erscheinen und alles Argumentieren half ihm nicht. Sie erkannten zwar an, dass Mord definitiv nicht zu den guten Taten zĂ€hlte, aber das Ergebnis blieb fĂŒr die Hölle unakzeptabel: Sophias Seele war im Himmel und das war nicht wegzudiskutieren. Sie warfen ihn raus. Es war das erste Mal seit der GrĂŒndung der Hölle, dass so etwas vorkam. Der DĂ€mon der TrĂ€ume klopfte ans Himmelstor und bat um Einlass. Das Spiel mit dem Tribunal begann von neuem: diesmal jedoch verlief die Diskussion umgekehrt, wenn auch genauso fruchtlos. Der Himmel hielt den Mord fĂŒr unverzeihlich und sich selbst fĂŒr groß und gnadenvoll, Sophias Seele trotz der unklaren VerhĂ€ltnisse aufgenommen zu haben. Den angehenden Engel der TrĂ€ume wollten sie aber auf keinen Fall aufnehmen, die SĂŒnde des Mordes war ihnen zu groß gewesen. Der Erzengel Michael hatte wohl noch nicht vergessen, was kurz vor Luzifers Fall geschehen war.

Jetzt saß er hier, im Nirgendwo zwischen Himmel und Hölle und wartete darauf, dass die beiden Fraktionen sich zusammenrauften. Und sie mussten eine Entscheidung treffen, denn eines war sicher: die Menschen konnten ohne ihre TrĂ€ume nicht ĂŒberleben und ohne Menschen wĂ€ren beide Seiten sinnlos geworden. Er arbeitete weiterhin jede Nacht, allmĂ€hlich fing die Situation an, ihm zu gefallen. Er war nicht mehr darauf angewiesen, gut oder böse zu handeln, er konnte sich in den TrĂ€umen völlig frei entfalten. Er dachte inzwischen daran, an keines der beiden Tore je wieder anzuklopfen, die Situation war fĂŒr alle so vielleicht am besten. Luzifer wollte nicht mit dem Himmel verhandeln und der Himmel war fertig mit Luzifer. Wenn er sie nicht daran erinnerte, wĂŒrde es lange dauern, bis einer von den beiden auf dieses Problem zurĂŒckkam. Möglicherweise bis in alle Ewigkeit.

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