Die dunkle Straße. Das rote Schild. Die alte Linde. Der Gebrauchtwagenhändler an der Ecke. Ein Räuber vor mir. Er ist mit einer roten Skimaske vermummt. Richtet die Pistole auf mich, fordert mein Geld, ist erregt, nervös. Die Pistole zittert. Ich wühle das Portemonnaie aus der Tasche, halte es ihm hin. Er greift danach. Doch da ziehe ich es zurück, fasse seinen Waffenarm. Wir kämpfen, rangeln. Dann ein Knall. Ein Blitz. Ich falle. Falle immer tiefer -
Schweißnass schreckte ich aus den Kissen empor und glotzte schlaftrunken durch das dunkle Zimmer. Mein Herz raste. Der Atem ging schnell und stoßweise. Ich brauchte erst einige Minuten, bis ich langsam wieder zu mir fand.
Die Uhr zeigte 2.15 Uhr morgens.
Ich horchte in die Dunkelheit. Außer dem Ticken der Wanduhr war es still. Der regelmäßige Atem meiner Frau verriet ihren Tiefschlaf.
Was für ein Traum.
Er war so realistisch, dass mir noch immer angst und bange war. Langsam erhob ich mich, schlurfte zum Kühlschrank, nahm einen kühlen Schluck Orangensaft. Vorsichtig kletterte ich ins Bett zurück, um meine Frau nicht zu wecken. Brauchte jedoch lange, bis ich wieder zurück ins Reich der Träume fand.
Am nächsten Morgen küsste ich meinen Schatz zum Abschied, fuhr um neun ins Büro. Mein Auto machte merkwürdige Geräusche, doch ich dachte mir nichts dabei.
Die Arbeit verlief wie immer. Anrufe geplagter Versicherungsnehmer füllten meinen Tag aus. Ich bearbeitete mit gewohnter Routine meine Akten, führte Telefonate, sprach mit Vorgesetzten über diese oder andere Angelegenheiten.
Als ich gegen Feierabend langsam zu meinem Auto trottete, war ich froh, dass der Arbeitstag vorüber war. Ich setzte mich hinter das Steuer. Startete. Lediglich ein jammerndes Geräusch ertönte. Nach weiteren erfolglosen Versuchen gab ich auf. Das Auto streikte, qualmte und rauchte.
Per Handy verständigte ich einen Reparaturservice.
Der Monteur erschien eine geschlagene Stunde später. Er sah bedenklich aussehend unter die Motorhaube. Rieb sich mit säuerlichem Gesichtsausdruck das Kinn und teilte mir mit, dass der gute alte Ford wohl ausgedient hatte.
Zylinderkopfdichtungen durch.
Mit einem Abschleppwagen trat das Fahrzeug seine letzte Reise an.
Also mit dem Bus nach Hause. So musste ein Arbeitstag unbedingt enden ...
„Der Wagen ist verreckt“, sagte ich meiner Frau zur Begrüßung, „da ist nichts mehr zu machen.“
„Können wir uns einen Neuen leisten?“ fragte sie mit ernster Miene und ich gestand mit schiefem Gesicht ein: „Wenn wir unsere letzten Ersparnisse zusammenkratzen, dann könnte es klappen. Ich will mir nicht irgendein billiges Auto kaufen, das an der nächsten Ecke wieder verreckt.“
In den nächsten Tagen schaute ich mich in der gesamten Stadt nach einem neuen fahrbaren Untersatz um. Ich musste allerdings erkennen, dass die Preise gesalzen waren. Die wenigen günstigeren Autos hielten meinem prüfenden Blick nicht stand, sie fielen aus der Wahl, entweder zu alt, zu viele Kilometer oder andere Mängel.
Bei einem Gebrauchtwagenhändler, den ich von irgend woher kannte, fand ich schließlich mein Auto.
Der Kaufpreis war zwar auch nicht gering, doch meine Prüfungen befanden das Fahrzeug als kaufwürdig. Ich drückte den Preis sogar noch um einiges, dass das Angebot derart reizvoll wurde, dass ich nicht mehr widerstehen konnte.
Am selben Abend wollte ich wiederkommen, um den Kaufpreis in bar zu entrichten. So viel Geld schleppte keiner in cash mit sich herum. Ich lief zur Bank, hob fast alles vom Konto ab und machte mich auf den Rückweg zum Händler. Ich lief die Straßen mit großer Vorfreude auf mein neues Auto entlang. Als ich in die Straße mit dem roten Schild einbog, hielt ich plötzlich inne.
Ein rotes Schild?
Ein Gebrauchtwagenhändler?
In diesem Moment erinnerte ich mich erst wieder an den Traum, der mich einige Nächte zuvor heimgesucht hatte. Mir wurde es auch erst jetzt klar: Daher war mir der Gebrauchtwagenhändler bekannt vorgekommen. Ich hatte von ihm geträumt. Von dem roten Schild.
Verwirrt stutzte ich.
An der Seite stand eine alte Linde. Wie zum Hohn bewegte sie ihre Zweige im Wind. Als wolle sie sagen: `Schau her! Ich bin auch da´
Jetzt fehlte nur noch der Räuber mit der Pistole. Vermummt mit der Skimaske. Verunsichert sah ich mich um. Die Straße war völlig leer. Kein Mensch weit und breit.
Der perfekte Ort für einen Überfall.
Vorsichtig drückte ich mich an dem roten Schild vorbei.
Sollte ich weitergehen? Konnte ich einem Traum glauben? Nach wie vor sah ich niemanden. In der Ferne war der Gebrauchtwagenhändler. Seine Verkaufsschilder leuchteten mir hämisch entgegen.
`Komm schon´, schienen sie zu rufen, `es passiert Dir nichts. Es war doch nur ein Traum´
Argwöhnisch befühlte ich unter meiner Jacke das Portemonnaie mit dem Bündel Geldscheinen.
All mein Erspartes trug ich mit mir herum. Was konnte ich tun? Sollte ich meinem Traum glauben? Die Polizei rufen? Die hätten mich doch ausgelacht.
Ein Mann kam mir entgegen. Ich zuckte zusammen. Dann erkannte ich erleichtert, dass er einen Hund an der Leine führte und sich augenscheinlich nicht für mich interessierte. Mit einem mulmigen Gefühl ließ ich ihn passieren. Hielt dabei die Hand auf die Jacke gepresst, fühlte das Portemonnaie.
Vorsichtig setzte ich den ersten Schritt in die Straße.
Nichts.
Dann den zweiten.
Die nächsten gewagter, lief ich schneller und schneller. Der Gebrauchtwagenhändler war knapp dreihundert Meter entfernt. Wenn es mir gelänge ...
„Hände hoch!“
Ich erstarrte.
Die Stimme war hinter meinem Rücken erklungen. Eine tiefe, männliche Stimme. Die Worte hektisch ausgestoßen. Als ich mich langsam umdrehte, rutschte mir das Herz in die Hose. Vor mir stand jener Mann mit der roten Skimaske. In seiner Rechten eine Pistole. Zitternd vor Erregung.
Das konnte doch nicht sein.
Bilder huschten in Sekundenbruchteilen an meinem inneren Auge vorbei.
Der Kampf. Das Gerangel. Der Schuss. Ich fiel.
Nein. Das konnte doch nicht stimmen!
So etwas gab es nicht.
„Gib mir Deine Brieftasche, Mann!“ knurrte der Räuber und fuchtelte mit der Pistole vor meiner Nase herum.
Zitternd griff ich in die Innentasche. Zog das Portemonnaie heraus, hielt es ihm hin. Seine Pistole im Blick. Er riss mir das Geld aus de Hand.
`Wenn ich jetzt zugreife...´ schoss es mir durch den Kopf und wollte schon nach seiner Hand langen, überlegte es mir jedoch anders. Hielt inne. Er entriss mir die Brieftasche. Drehte sich um. Floh.
Als er um die Ecke gerannt war, hörte ich plötzlich das Aufheulen einer Polizeisirene. Jemand rief: „Stehenbleiben!“, und „Waffe ´runter!“
Hastig rannte ich um die Ecke. Sah einen Streifenwagen. Zwei Polizisten standen daneben. Hielten ihre Pistolen auf den Räuber gerichtet. Der hob die Hände. In einer hielt er noch das Portemonnaie. Die Beamten rangen den Ganoven zu Boden. Entwaffneten ihn, nahmen ihm die Beute ab.
„Das ist mein Geld!“ rief ich.
Einer der Polizisten sah mich an und bekam große Augen.
„Gott sei Dank“, sagte er, „sie leben.“
Verwirrt sah ich ihn an.
„Wie - ich lebe?“
„Das werden Sie mir niemals glauben“, sagte der Polizist. „Ich habe gestern Nacht von diesem Überfall geträumt. Deswegen sind wir auch jetzt hier. Nur waren Sie ...“
Irgendwie erleichtert lächelte er mich an.
„... in meinem Traum tot ...“
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