Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Luzia Fischer IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Mai 2006
Lampenfieber
von Luzia Fischer

Es war vollbracht! Überglücklich betrachtete ich mein neues Werk, wie eine stolze Mutter ihren Sprössling. Dieses Bild sollte der Mittelpunkt meiner Ausstellung werden, der Publikumsmagnet, der alle Blicke auf sich ziehen würde.

Meine Fantasiestadt hatte einiges zu bieten, nicht nur verspielte Türme, verwinkelte Gassen und ein zerklüftetes Gebirge im Hintergrund. Verborgene Details, die erst auf den zweiten Blick sichtbar wurden, machten es interessant und lebendig.



Von meiner Arbeit war ich fest überzeugt, bis zu dem Zeitpunkt, als sich diese widerliche innere Stimme einschaltete. Sie verfolgte und verhöhnte mich bis in den Schlaf. Mitten in der Nacht schreckte ich schweißgebadet hoch, starrte in die Dunkelheit und dachte an die bevorstehende Vernissage. Mir wurde himmelangst. Auf was hatte ich mich da eingelassen? Mir kam eine Idee … verschieben.

Die Ausstellungseröffnung verschieben oder ganz abblasen.

Nein, dafür war es zu spät. Ich hätte mir das früher und reiflicher überlegen müssen.

Nächster Ausweg. Ich würde nicht hingehen. Der Gedanke gefiel mir. Aber welche Notlüge könnte überzeugend klingen?

Die halbe Nacht lag ich wach und grübelte darüber nach, wie ich mich aus der Affäre ziehen könnte. Entführung? Quatsch! Sofort verwarf ich den Unsinn wieder. Wer sollte mich entführen wollen? Bei mir gab es nichts zu holen.

Spontan kam mir eine weitere Ausrede in den Sinn. Kurzzeitiger Schwachsinn. Mir war der Verstand abhanden gekommen und ich redete nur mehr wirres Zeug. Bei Künstlern soll dies hin und wieder vorgekommen sein.

Mein Mann, der neben mir im Ehebett schlummerte, würde folgendermaßen auf diese Neuigkeit reagieren: „Ach Schatz, glaub mir! Das wird niemandem auffallen.“

Dabei sah ich sein Gesicht vor mir, eine Augenbraue spöttisch nach oben gezogen. Die Verlockung, ihm meinen Ellbogen in seine Seite zu rammen, war groß. Schlagartig fiel mir der selbstgefällige und gewissenlose Kulturkritiker ein, der einige Künstler ins Unglück gestürzt hatte. In seiner herablassenden Art würde er in seiner Kolumne verkünden: „Es wird offensichtlich, warum die Bilder dieser Künstlerin dermaßen verworren sind. Ihr fehlt der Verstand.“



Nein, den Gefallen wollte ich diesem aufgeblasenen Gockel nicht tun. Ich verwarf den ganzen Unsinn, rollte mich auf die andere Seite und fiel in einen unruhigen Schlaf.

Als kleines hingekritzeltes Strichmännchen stand ich plötzlich mitten in meiner Fantasiestadt. Die bunten Türme und Gebäude ragten riesig vor mir auf. Es roch nach Farbe und es herrschte absolute Stille, bis sich ein schlürfendes Geräusch seitlich auf mich zu bewegte. Erschrocken sah ich, dass die erdfarbene Schnecke, die ich in einen versteckten Winkel des Bildes gemalt hatte, in meine Richtung kroch. Furchterregend riesig rutschte sie auf mich zu. Sie kam immer näher und jetzt erkannte ich Gesichtszüge, die dem Kulturkritiker ungemein ähnlich sahen. „Ich krieg dich! Ich krieg dich!“

Bevor die Schnecke mich platt walzen konnte, rannte ich auf einen trapezförmigen Vorplatz, der von drei bunten und schrägwinkeligen Gebäuden umgeben war. Jedes hatte mittig ein großes Fenster. Als ich in eines der Fenster blickte, erkannte ich den vertrauten Schatten. Er bewegte sich auf die durchsichtige Scheibe zu und hämmerte wütend dagegen. Das Gehämmer kam bald aus allen drei Richtungen, wurde lauter und erboster.

Ich hatte die drei dunklen Seiten meines Mannes als Schattenbilder hinter Schaufenster verbannt. Aber nun begannen sie zu rebellieren. Die Ungeduld protestierte heftigst, die Zerstreutheit rumpelte ziellos herum und die Spöttelei klopfte blöde Sprüche. Alle drei Schattenseiten schlugen gegen die Scheiben und wollten, dass ich sie aus ihren Gefängnissen befreie.

Mein Herz stolperte noch mehr als meine Füße, die fliehen wollten, aber wohin?

Gehetzt verließ ich den Platz und rannte durch eine verwinkelte Seitengasse. Von weitem vernahm ich ein mächtiges Stampfen, der Boden unter meinen winzigen Füßen erzitterte.

Das Beben verursachte das Lieblingstier meiner jüngsten Tochter. Ich hatte ihr versprochen diesmal eine Schildkröte in das Bild einzubauen. Was sich nun als schwerer Fehler herausstellte.

Ihr goldener schwerer Panzer schob sich auf mich zu, während sie ihr Maul weit aufriss. Nichts wie weg! Schnell zurück!

In Panik suchte ich nach einem Ausweg und stand jäh vor einem abgestorbenen Baum, der sich an einen rosafarbigen Turm anlehnte. Hüpfend erreichte ich den herabhängenden, ausgeblichenen Ast, der einen recht spröden Eindruck machte. Noch bevor der Ast endgültig abbrach, gelangte ich auf ein blaues, kegelförmiges Dach. Von dort überquerte ich ein rotes und dann ein gelbes Gebäude. Mit einem gewaltigen Satz sprang ich auf ein kegelförmiges Haus und stand jetzt auf violettfarbenen Dachziegeln. Hinter mir schraubte sich die windschiefe Wendeltreppe zu einer offenen Tür hinauf. Aus der Tür strömte verheißungsvoll helles und freundliches Licht.

Warum hatte ich die Wendeltreppe auch dermaßen baufällig gemalt? Auf den ersten Blick wurde deutlich, dass sie selbst mein Fliegengewicht kaum tragen konnte. Seufzend setzte ich mich auf das violette Dach und wollte hier das Ende des Traums abwarten. Stolz blickte ich auf die farbenfrohe Kulisse meiner verwinkelten grotesken Stadt.

Kaum gönnte ich mir ein wenig Ruhe, ertönte hinter mir ein mächtiges Ächzen. Ich drehte mich um und sah, wie sich das ockerfarbene Gebirge im Hintergrund bewegte. Der Umriss des Gebirges stellte den liegenden, nackten Oberkörper meines heimlichen Idols dar. Er drehte mir jetzt sein markantes Gesicht zu und musterte mich vorwurfsvoll.

„Sie werden wissen, wen du gemalt hast.“

Sein steinharter Brustkorb hob sich schwer und sein warmer Atemzug wehte mich beinahe um.

„Glaub ich nicht. Außerdem bist du nicht so berühmt, wie du vielleicht denkst.“

Der tiefe Seufzer aus seiner Kehle warf mich regelrecht um. „Wie kannst du das behaupten? Ich bin ein berühmter Musiker. Die ganze Welt kennt mich.“

Davon ließ ich mich nicht beeindrucken, rappelte mich hastig wieder hoch und hielt mich vorsichtshalber an einem langen glänzenden Haar fest.

„Die Welt da draußen vielleicht, aber du bist hier in der tiefsten Provinz, wo man gerade noch ACDC kennt oder die Beatles.“

Natürlich wollte er das nicht wahrhaben. Verteidigte sich und seine Band, bis mir vor lauter Festhalten beinahe die Arme abfielen.

„Au! Hör auf an meinen Haaren zu ziehen!“, jammerte er wehleidig.

Ich kam nicht dazu etwas zu erwidern, weil ich in dem Moment erschrocken feststellen musste, dass mir die Schnecke gefolgt war.

„Ich krieg dich!“

Sie rutschte das Regenrohr hinauf und befand sich schon halb auf dem Dach.

„Hilf mir!“, rief ich meinem Idol zu. „Hilf mir! Sie will mich zerquetschen!“

„Wie denn? Du hast mir keine Hände gemalt.“

Verflixt! Hände zu zeichnen, mochte ich nicht. Ein Künstlerkollege hatte einmal sechs Finger gezeichnet. Das war sehr peinlich. Dann lieber keine Hände.

Immer weiter wich ich bis zur Wendeltreppe zurück. Sah ängstlich zu dem wackeligen Gebilde hoch.

„Fege sie mit deinem Atem fort! Du brauchst doch nur ordentlich in ihre Richtung zu pusten!“

Mein Lieblingssänger blickte seelenruhig auf die Schattenseiten meines Ehemanns, die es tatsächlich geschafft hatten, sich zu befreien. Drei schwarze Gestalten, seitlich flach, wie ausgeschnittene Männchen aus Karton, kamen wütend auf das Gebäude zugestelzt. Nur die Zerstreutheit bog jetzt nach links ab und lief in die falsche Richtung.

„Puste wenigstens die Schattenseiten fort!“, schrie ich und flüchtete die ersten Stufen der Wendeltreppe hinauf. Das baufällige Gebilde begann gefährlich zu schwanken. Die Schnecke war gerade dabei den unteren Teil der Wendeltreppe zu rammen, als die Ungeduld schon auf das Dach geklettert kam.

„Nein!“, schrie ich. „Nein!“ Über mir war das Licht, das aus der offenen Tür strömte. Mit aller Kraft versuchte ich sie zu erreichen, strampelte auf einmal in der Luft herum, stürzte, fiel und fiel, immer weiter, immer tiefer, bis ich ein gewaltiges Rumpeln vernahm.

Verwirrt schlug ich die Augen auf und sah tatsächlich Licht. Für einen Bruchteil bildete ich mir ein, der Schatten einer Schnecke würde an mir vorbei huschen. Energisch blinzelte ich sie fort und blickte in

das Gesicht meines Mannes, das im Schein der Nachtischlampe, lachend über der Bettkante

auftauchte. „Was machst du denn auf dem Fußboden?“

Ich rieb mir die schmerzende Stirn.

„Ach, keine … Ahnung, … scheint so, als hätte ich … meinen Verstand verloren.“

Seine Augenbraue schnellte spöttisch nach oben

und bevor er es aussprach, wusste ich was folgen würde. „Ach Schatz, glaub mir! Das wird niemandem auffallen.“

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
Dieser Text enthält 8784 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.