Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Mai 2006
Erotischer Traum
von Thom Delißen

Er ging, schlenderte, die Hände lässig in den Taschen seines weiten, kaftanähnlichen Mantels gesteckt, gemütlich mit der Menge der Menschen auf der belebten Bazarstraße mit, trieb dahin.

Sein sonnengebräuntes, jungenhaft schmales Gesicht mit den zusammen-gekniffenen Augen zu lächelte, glücklich gleich ein Kind an seinem Geburtstag.



Er vermeinte das sekundenschnelle Ticken der Uhr in der Innentasche des Mantelumhanges zu hören, jede Sekunde ließ ihn euphorischer werden.

„Insch Allah!“ dachte er, sein Lächeln noch eine Spur breiter.

Er hielt an einem der kleinen Stände am Straßenrand, kaufte einem zahnlosen alten Greis, der ohne Füße, auf einem Brett vor seiner winzigen Verkaufstheke saß, ein Stück klebrigen türkischen Honig ab.

Wortlos nahm der alte Mann die Münzen, ohne Worte reichte der junge Mann sie ihm, ein Schatten düsteren Denkens flog beim Blick auf die Stümpfe über seine Gesichtszüge.

Schnell war die trübe Stimmung vorbei, stand er da, hörte wie von Ferne das treibende Rauschen im Bazar, die Rufe der Händler, die Hupen der Motorradrikschas.

Die Uhr, der Sekundenzeiger, er fühlte sie.

Tick.

Tick.

Tick.

Ungewollt zuckte er unter einem Schauer zusammen, ihn fröstelte.

Unbeschreiblich. Schön.

Er genoss mit einem Seufzer.

Er ging langsam weiter, saugte an dem Honigriegel, leckte sich die verschmierten Lippen.

Da vorne sah er das Schild der Bushaltestelle.

Dicht gedrängt die Menge der wartenden Menschen, Frauen, Kinder, Greise, Soldaten, Babys.

Sein Herzschlag beschleunigte sich.

Schneller als die Uhr jetzt.

Pabumm. Pabumm. Pabumm. Pabumm.
Das Blut pulste in seinen Adern, in all seinen Adern.

Nach etwa 100 Metern blieb er stehen, seine Gedanken irgendwo, zur höheren Ehre des Allmächtigen, was ist ein Leben wert, der heilige Krieg, Tod allen Ungläubigen, Tod allen Juden, wie schön werden die Huris sein, die mich empfangen, Insch Allah, Allah uh akbar.



Und dann war da auf einmal die Frau, die mit ausgestrecktem Zeigefinger, wie böse, auf ihn deutete, auf seine Körpermitte, wo sich der Kaftan unter einer mächtigen Erektion bauschte.

Er begriff, meinte zu begreifen.

Sie kreischte, die alte Hexe, hüpfte auf der Stelle.

Erkannt. Sie wussten um sein Vorhaben.

Doch was war das? Sie lachten ihn aus! Die Männer, brüllend vor lachen, schlugen sich auf die Oberschenkel, die Frauen kichernd, die Hände vor dem Mund.

Jetzt erst sah er an sich hinab, erblasste vor Scham.

Unerträglich. Das war unerträglich.

Gehetzt wie ein gejagtes Reh sah er um sich, grinsende Grimassen, weiße Zahnreihen in lachenden Mäulern.

Seine Erektion schwoll noch an.

Die Uhr.

Tick.

Tick.

Widersprüchliche Intentionen.

Die Pflicht.

Die Panik.

Der Prophet.

Die Kinder auf dem Schulhof.

Weg hier!

Fort aus dieser schmachvollen Situation, Insch Allah.

Der Sekundenzeiger.

Sein Skrotum tat ihm weh.

Er fing an zu laufen.

Grölend waren die Menschen hinter ihm her, verfolgten ihn, der Lärm des Bazars eine Welle, die über ihm zusammenschlagen drohte.

Taumeln.

Laufen.

Empörte Rufe.

Alles so verworren.

Er musste den Bus...

Nein.

Nicht.

Nicht hier.

Dort.

Die Brücke.

Das lehmig braune Flusswasser.

Er schrie jetzt. Ein unverständliches Gurgeln, laut.

Diese Augen alle!

Diese erstaunten Münder, die ihn verfolgten.

Die Sekunden. Die letzten Sekunden.

Er griff an das hölzerne Geländer, verharrte einen Hauch lang, ließ sich vornüber fallen.

Er fühlte noch das Wasser über sich, doch die Feuchtigkeit erreichte ihn nicht mehr.

Die Bombe, mit Klebeband an seinen Oberkörper befestigt, zerriss lediglich ihn, ein paar unverdrossene Fischlein, erzeugte eine kleine Fontäne und färbte das Wasser in einem etwas dunkleren Braun.

Insch Allah.

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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