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Mai 2006
Traumtänzer
von Brigitte Leeser

Abschlussball! Diesen Tag fürchtet er schon seit Wochen. Nachts träumt er davon, verschwitzte kalte Alpträume. Seine Knochen spürt er grösser und schwerer werden. Er ist eingezwängt in diesen Anzug, der sich anfühlt als sei er aus Karton gemacht, in einer schwärzlichen Farbe. Nachtblau, hatte Mama gesagt, nachtblau ist elegant! Ihr Ton duldete keine Widerrede.

Aber aus dem Spiegel des grossen Tanzsaals sieht ihn ein Totengräber mit seinem Gesicht an. Der Krawattenknoten würgt ihn an der Kehle. Nur daran zu denken, jetzt gleich über das glänzendglatte Parkett laufen zu müssen, lässt seine Hände feucht werden. Er geht wie über einen zugefrorenen See zur anderen Seite, um seine Tanzdame aufzufordern.



Hanna, ach, es ist Hanna und nicht Louisa, die ihm die Hand reicht und die er an sich zieht. Er blickt hinunter auf Hannas glattfrisierten Nackenknoten, den heute ein blasses Band umfängt. Kleine blonde Häarchen laufen ihren Rücken hinunter in den Ausschnitt des hellgrünen Taftkleides. Der gebauschte Stoff raschelt bei jedem Schritt und lädt ihn elektrisch auf. Sie gehen wie aufgezogene Puppen, jedes Paar auf seinen Platz. Die Mädchen sind wie bunte Süssigkeiten neben ihren Pappkameraden auf der Tanzfläche verteilt.



Ãœber Hannas Schulter hinweg sieht er Louisa. Louisa in Simons Armen.

Ihre dunklen Locken trägt sie hochgebunden. Nur eine lose Strähne ist entwischt und macht eine so feine Wellenlinie auf dem weissen Hals. Beim Anbllick dieser Welle rieselt es ihm heißkalt den Rücken hinunter.

Simon dreht Luisa, dass ihr blauer Chiffonrock wie ein Teller um ihre Hüften weht. Er sieht sie lachen, aber es gilt dem anderen. In Zackenbahnen schiesst das Blut durch seine Adern. Eine unbändige Lust aufzuspringen überkommt ihn, sie hier, vor allen Anwesenden, mitten auf den Mund zu küssen.



Louisa. Louisa. Louisa. Er kann an nichts anderes mehr denken. Dieser Nacken und die blauen Seidenschultern sind für ihn Magnet, der Mittelpunkt des Balls. In dessen Nähe muss er kommen! Er sieht die Hand des anderen auf ihrem schmalen Rücken liegen. Er spürt den leichten Druck seiner eigenen Hand, mit dem er seine Dame in Richtung blaue Seidenschulter dreht.

Paß doch auf, du Dussel! Auwei, das waren Hannas Fußspitzen.





- 2 -

Das Rauschen in seinen Ohren füllt nun seinen ganzen Körper. Er hört die Musik nicht mehr und folgt in seinen Bewegungen rhythmisch den Bewegungen der anderen Tänzer zwischen denen er sich an der hohen gegenüberliegenden Wand gespiegelt sieht. Er ist Teil eines unterirdischen Wasserballetts in der magischen Beleuchtung venezianischer Kristalllüster.

Sein Herzschlag setzt einen Takt aus, als der blaue Chiffonrock ihn überraschend streift und ein Blick aus blitzenden Augen ihn trifft.



Er tanzt wie auf Watte zwischen Schlingpflanzen und mit puterroten Ohren. Aber er kann nicht anders. Er muss sich drehen und wiegen nach der Musik des unsichtbaren Orchesters.

Im Spiegelbild eines riesigen Ballsaals sieht er sich tanzen, allein, die Arme weit ausgebreitet als sei sie ihm gerade entflohen, seine anmutige Dame, und als suche er sie, als tanze er ihr nach in den unendlichen Windungen und Drehungen des Walzertaktes. Seine Schritte werden von allen Wänden gespiegelt. Der Ballsaal hat keine Türen, nur goldene Spiegel ringsum.

Er ist so müde, aber darf nicht innehalten, denn dann fällt er! Seine Absätze sind mit Blei gefüllt. Aber seine Beine zucken unaufhörlich weiter. Da hört er die Stimme des Tanzmeisters, eins, zwei, drei, eins, zwei, drei schneidend durch die Melodie des Kaiserwalzers.

Er gibt sich einen Ruck und öffnet die Augen. Es ist noch nachtschwarz um ihn herum. Die kleinen Leuchtzeiger auf seinem Nachttischwecker zeigen auf die 3.

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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