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Mai 2006
Tippelnde Füße
von Albertine Sprandel

Meine Füße tippeln. Weicher Teppich, harte Fliesen. Die Nasenspitze reicht über den Fensterrahmen. Ich kann in den Garten sehen. Die Vögel piepsen einen Morgengruß. Drinnen ist es still und warm. Ich will nicht raus. Doch die Füße tippeln zur Seite bis zur Terrassentür. Die Hände berühren das kalte Metall der Klinke und drücken.

Tau klebt auf den Stufen. Der Tag ist überrascht. „Du schon hier?“

Die Füße auch. Sie dachten, es wäre schön warm.

Die Sonne sendet einen sanften Strahl. „Komm mit, komm mit!“.

Der raue Beton macht aus dem Tippeln ein Tapsen. Braune Bären hocken als Schatten hinter dem Gebüsch. Meine Füße machen, was sie wollen. Sie verlassen die Terrasse, sie haben ein Ziel.

Ich will nicht zu dem Schuppen.

Grashalme kitzeln. Aus dem Tapsen wird ein Hüpfen. Hipp, hopp. Hipp, hopp. Dann bleiben sie stehen.

Meine Stirn fühlt das Holz. Es wärmt mit korkigen Rillen. Mein Kopf presst dagegen. Stemmt sich weg. Ich atme schwer. Ich will nicht hinein. Ich darf nicht.

Die Füße tasten unter der Matte. Der Schlüssel ist da. Die Finger gehorchen und heben ihn auf. Er liegt leicht in der Hand. Ich will nicht öffnen. Meine Hände treffen das Schlüsselloch nicht. Der Schlüssel findet allein den Weg, bohrt hinein, dreht nach links. Die Tür knarrt beim Aufgehen.

Staub empfängt meine Füße. Die Augen wollen nichts sehen. Ich klopfe die Beine ab, Sandkörner fliegen durch die Luft. Ich erkenne ein Wesen auf einem Stuhl. Es wippt hin und her und summt. „Ich habe auf dich gewartet.“ Die Dunkelheit des Schuppens verschleiert sein Gesicht.

Ich kann nicht wegrennen.

„Ich habe nicht auf dich gewartet. Du gehörst hier nicht her. Dies ist unser Gartenhaus!“ Meine Füße scharren.

„So? Warum bist du denn gekommen?“ Die Gestalt schwingt nach dem Rhythmus einer unhörbaren Melodie.

„Ich bin meinen Füßen gefolgt.“ Die Zehen rutschen auf dem rohen Lehmboden.

„Gut, gib mir deine Füße.“ Aus dem Dunkel naht eine zierliche, alte Hand.

Die Zehen scharren, die Nägel brennen. Kälte kriecht innen an den Beinen hoch.

„Wer bist du? Warum klaust du Füße?“

„Ich klaue keine Füße. Ich nehme sie auf.“ Das Wesen breitet beide Arme aus und summt. „Wir gehen in das Land der Läufer. Du kannst rennen, spielen, jagen. Nur die Mutigen gehen mit.“

„Ich bin mutig, aber meine Füße nicht“, rede ich mich heraus.

Wie dumm, wie dumm von mir! Erst einer, dann der Zweite, wieder der Erste. Der Zweite rückt ein Stückchen vor. Ich kann sie nicht aufhalten. Ich will nicht zu dem schwarzen Mann. Oder ist es eine Frau? Ich darf nicht.

Meine Füße fragen nicht. Sie stemmen sich gegen meine Kraft und tippeln zum Stuhl.



Lichtstrahlen zwinkern durch einen Spalt im Dach. Mühelos zische ich hindurch ins Freie. Ich steige auf. Meine Füße baumeln. Schwerelos schweben wir durch die Luft. Der Rechte, der Linke und ich. Der Schuppen verschwindet als braungelber Punkt.



Ich lande auf der Kuppe eines Hügels. Überall Wiese. Die Gestalt ist nicht mehr schwarz. Sie steht am Fuß des Hügels, winkt und trägt einen golden schimmernden Umhang.

Es ist verboten. Ich darf hier nicht sein.

Ich rolle den Abhang hinunter. Ich drehe mich, ich purzle. Meine Füße folgen mir gehorsam. Sie stoßen ab, um mir Schwung zu geben, sie bremsen, damit ich das Gras riechen kann. Über mein weißes Nachthemd ziehen grüne Schlieren. Ich darf mich nicht schmutzig machen.

Ich stehe auf und lasse mich von meinen Füßen durch die Ebene tragen. Sie wollen bis an das Ende der Wiese, dorthin wo der Himmel die Grasspitzen küsst. Sie kommen nie an. Sie hüpfen und springen. Ich höre mein Jauchzen. Ich werfe die Arme in die Luft und schreie: „Hier bin ich!“ Ich lasse mich auf das weiche Grün fallen und spiele Engelchen, strecke Arme und Beine von mir, bis fünfundsiebzigtausenddreihundertzwölf Sonnenstrahlen unter meine Haut gekrochen sind.



Als ich aufwache, stehe ich im Schuppen. Er ist leer. Der alte Stuhl wippt, bis er zum Stehen kommt. Meine Füße sind müde. Sie wollen den Boden nicht mehr spüren. Sie wollen eine weiche Decke und mit den Zehen wackeln. Durch den Türspalt dringt warme Luft, umspielt tröstend meine Beine. Was tue ich hier? Ich will hier nicht sein.

Die Tür wird aufgestoßen. Ich schrecke zurück. Die Schläge sind hart. Eine große Hand hält meine Arme. Ich kann mich nicht schützen. Rechte Wange, linke Wange, rechte Wange.

„Wo warst du? Dein Nachthemd ist ganz grün!“ Die Gestalt mit den zotteligen Haaren und dem grauen Gesicht ist mein Vater, meine Mutter, meine Lehrerin, meine Tanten. Sie sind alle gleich. Starr wie Stein. Tippelnde Füße mögen sie nicht.

Ich kehre um in das Land der Läufer. Nur noch mein Körper ist hier und weint.

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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