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Mai 2006
Steinerne Träume
von Ines Krautwald

Steine können sprechen! Und sie tun es, haben es immer schon getan. Wenn du am Abgrund stehst, rufen sie nach dir, versuchen, dich davon zu überzeugen, Schritt für Schritt an seine Kante heranzutreten. Sie haben keine Stimme, sie locken dich mit Gefühlen und verwirren deinen Verstand. Die Tiefe zieht dich an! Oder ist es die Ahnung, dass dahinter mehr kommt als nur Schwärze, das große Nichts?



Wenn ein Mensch den Sprung in den Abgrund gewählt hat, sagt man oft, „er war depressiv“ oder „sie hatte Liebeskummer“. Keiner ahnt, dass die Schlucht selbst die Versuchung ausgesandt hat. Dass sie sich verliebt hat, in diesen Menschen dort oben, in seine Lebendigkeit. Haben die Steine jemanden erwählt, besuchen sie ihn in seinen Träumen, locken ihn Nacht für Nacht zurück an ihre Schluchten. Ein Mensch, den die Steine begehren, braucht keinen Liebeskummer, keine Depression, um mit ihnen eins werden zu wollen. Er muss sich nur treiben lassen, immer einen Schritt weiter gehen, alles andere ausblenden bis er in seinem Inneren nur noch diese Bilder wahrnimmt, die seine Sinne berauschen.



Du kannst deinen Blick nicht vom Abgrund lösen. Dein Magen treibt das verliebte Spiel der Steine voran, gaukelt dir schon jetzt den freien Fall vor. Alles dreht sich um dich, du spürst den Wind mit sanften Fingern durch dein Haar streichen. Er ist ein Komplize der Steine, hilft ihnen, treibt dich auf sie zu.

Als Kind bist du oft in die Luft gesprungen, so hoch du konntest, nur um für eine Sekunde oder zwei der Erdanziehungskraft zu trotzen. Doch das reicht dir schon lange nicht mehr. Du kannst kaum noch widerstehen, fühlst dich magisch angezogen. Heute willst du es wissen. Die Steine sollen dir ihr Geheimnis enthüllen, dir zeigen, was es ist, das dein Innerstes anspricht, das dich mit sanfter Stimme lockt und bis in deine Träume vorzudringen vermag.



Es ist soweit. Du trittst ein paar Schritte zurück, nimmst Anlauf. Bilder drängen sich in deinen Kopf, du denkst an die geliebten Menschen, die Du zurücklässt, die nicht mit dir springen. Im Geiste lächelst du sie an und winkst ihnen zu. Könnten sie dich jetzt sehen, sie würden dich verstehen, würden spüren, wie glücklich du bist. Du beginnst zu laufen, in großen Sprüngen auf den Abgrund zu. Gleich wird deine Sehnsucht ein Ende haben. Du kommst ihm näher ... noch fünf Schritte ... dein Herz rast vor Freude ... noch vier Schritte ... der Abstand wird kleiner, du wirst nervös ... noch drei Schritte ... kalte Angst greift nach deinem Herzen ... zwei Schritte ... deine Beine versuchen zu bremsen, doch du hast schon zu viel Schwung ... noch ein Schritt ... du versuchst verzweifelt, dich an irgend etwas festzuhalten. Doch da ist nichts! Dein Fuß tritt ins Leere. Ein markerschütternder Schrei erreicht dein Ohr – er kommt aus deiner eigenen Kehle.



Der Wind umtost dich, dein Magen schlägt Purzelbäume, das Adrenalin in deinem Körper betäubt die Angst und ein überwältigendes Glücksgefühl bemächtigt sich deiner Sinne. Du hast es gewusst! Die Steine haben nicht gelogen, deine Träume die Wahrheit gesagt - es ist wirklich wunderschön. Eine Welle der Euphorie reißt dich mit. Der Felsengrund rast näher und du lachst ihm entgegen. Gleich werdet ihr eins sein, all eure Gefühle und Wünsche miteinander teilen. Unter den Menschen, die später am Tag am Abgrund vorbei spazieren werden, erahnst Du bereits jetzt den einen, dessen Lebendigkeit Euch lockt. Bald schon werdet Ihr ihn in seinen Träumen besuchen.

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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