Der Cousin im Souterrain
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Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Juni 2006
Die Haare vom Jo
von Katrin Schweins

Ich sitze auf der Küchenbank und drehe mir eine Zigarette. Es ist bereits die vierte heute Morgen. Eigentlich rauche ich gar nicht mehr, vor drei Monaten habe ich ungefähr zum achten Mal aufgehört. Bis eben. Als ich vom Briefkasten kam. Zwischen Rechnungen und Mahnungen heute endlich mal was Erfreuliches: Eine Einladung. Keine große Überraschung, es ist die Einladung zu Vaters 60. Geburtstag. Natürlich weiß ich, dass Vater in vier Wochen 60 wird, auch, dass meine Eltern in meiner westfälischen Heimat ein großes Gartenfest mit allem Schnickschnack planen. Mit Zelt und Band und Partyservice und rund 200 Gästen. So hat es mir meine Mutter am Telefon auf jeden Fall oft genug und in allen Einzelheiten erzählt. Auf das Fest habe ich mich gefreut: Ich habe sie lange nicht gesehen, meine Eltern und Geschwister, die Tanten und Onkel und Vettern und Cousinen. Seit ich vor acht Jahren nach Berlin gezogen bin, sind unsere gegenseitigen Besuche rar geworden.

Wie gesagt, ich habe mich darauf gefreut. Bis eben, als ich den in Mutters akkurater Handschrift beschriebenen cremefarbenen Leinenumschlag aus dem Briefkasten gefischt habe. Ohne ihn zu öffnen, bin ich wie gestochen durch die Wohnung geirrt und habe nach Jo’s Zigaretten gesucht. In seiner Manteltasche habe ich ein Päckchen mit staubtrockenem Tabak gefunden, glücklicherweise mit Blättchen. Gierig sauge ich nun den Rauch der vierten Zigarette ein und betrachte den Briefumschlag. Wenn es einen richtigen Zeitpunkt gibt, wieder mit dem Rauchen anzufangen, dann ist es dieser Morgen.

Mit schwarzer Tinte aus ihrer breiten Montblanc-Feder hat Mutter folgendes auf den Umschlag geschrieben: Frau Elisabeth Harlinghaus und Johannes. Gemeint hat sie damit mich und den Jo. Jo ist die Abkürzung von Joachim, nicht von Johannes. Seit fast zwei Jahren sind wir zusammen, der Jo und ich und meine Eltern haben ihn sogar einmal kennen gelernt, das war vor gut einem Jahr zu Großmutters Beerdigung. Viel Zeit zum Reden war da natürlich nicht. Ganz nett sei er, der Jo, hat meine Mutter anschließend am Telefon gesagt. Was er noch mal beruflich mache. Ach, er habe ein Restaurant, ja, das laufe hoffentlich gut. Ich fügte noch hinzu, dass er sogar studiert habe, Psychologie und Germanistik und Geschichte. Dass er nichts davon abgeschlossen hat, ließ ich weg. Geisteswissenschaften sind in den Augen meiner Eltern ohnehin brotlose Kunst. Dass das Restaurant eine Kneipe in Kreuzberg ist, hielt ich auch nicht für diskussionswürdig. Hauptsache, ich sei glücklich, meinte meine Mutter damals. Dabei hat der Jo sehr gut ausgesehen auf der Beerdigung, absolut elterntauglich. Es hat mich große Mühe gekostet, ihn zum Anzug zu überreden. Außerdem waren seine Haare damals noch kurz.

Genau da wittere ich das Problem: Aus der gepflegten Kurzhaarfrisur ist mittlerweile ein wirrer, kinnlanger Lockenschopf geworden, dunkelblond mit zarten grauen Strähnen. Mit seinen fast vierzig Jahren hat er noch sehr volles, dichtes Haar, der Jo - er sieht einfach umwerfend aus. Meine Eltern deuten umwerfend anders: Umwerfend sieht der Mann meiner Schwester aus, sagt meine Mutter. Groß und schlaksig, blass und randlos bebrillt. Die hohe Stirn mündet irgendwo am Ohransatz in einen gleichermaßen akkurat wie phantasielos frisierten Bürstenschnitt. Carl Friedrich von Petershagen, Investmentbanker in Frankfurt. Umwerfend ist höchstens sein Kontostand oder das elterliche Gut im Rheingau. Als meine Mutter 50 wurde – natürlich auch ein riesiges Fest – ließ sie mich extra bei meiner Schwester in Frankfurt anrufen. Das war vor fünf Jahren und meine Schwester hatte diesen Himbeertoni erst zwei Monate zuvor kennen gelernt. Ich musste da also meine Schwester anrufen und die richtige Schreibweise ihres Freundes in Erfahrung bringen. Bloß keine Formfehler begehen beim Aufstieg in den Adel!

Die Zigaretten helfen ungemein beim Entspannen und Nachdenken. Bilde ich mir ein, während ich krampfhaft darüber nachdenke, wie ich dem Jo das alles beibringe. Die Haare müssen ab, das steht fest. Lange Haare = Wehrdienstverweigerer = Kiffer. So sehen das meine Eltern. „Tagediebe sind das“, hat mein Vater mal gesagt, „die stehlen dem lieben Gott die Zeit!“ Meine Eltern müssen den Jo mögen, zumindest sollen sie wissen, dass ich in guten Händen bin, wenn ich diese verdammte Bitte an sie richten werde.

Vor zwei Wochen bin ich durchs schriftliche Jura-Examen gefallen. Das war von vornherein klar, aber das Prüfungsamt hat mich nach 16 Semestern quasi zur Examensmeldung gezwungen. Jetzt muss ich da noch mal durch. Vor allem brauche ich gute Vorbereitung für den letzten Versuch. Also noch einmal Gebühren für das private Repetitorium nebst einem Jahr Unterhalt, das müssen meine Eltern einfach schlucken am Rande ihres Festes. Mein Erbteil der Großeltern ist solange auf einem Treuhandkonto gesperrt, bis ich einen akademischen Abschluss habe. Das war natürlich nicht der letzte Wille meiner Großeltern, sondern der meines Vaters.

Dass der Jo mich begleiten wird nach Westfalen ist auch klar. Wir haben ohnehin wenig gemeinsame Freizeit, wegen seiner Kneipe. Und beim letzten Besuch fand er die Gesellschaft „irgendwie amüsant“. Gleich wird er heimkommen, der Jo, ich habe ihm eine SMS geschickt, dass wir etwas Wichtiges zu besprechen hätten. Ich werde ihm dann ganz behutsam beibringen, dass er vor dem Fest zum Frisör muss. Und zwar nicht nur zum Spitzen schneiden, sondern er wird sich eine ordentliche angehender-Schwiegersohn-aus-gutem-Hause-Frisur verpassen lassen. Dabei habe ich ihn selbst überredet, sich die Haare wachsen zu lassen und jetzt ist er ganz begeistert. Eigen ist er, der Jo, aber das wird er schon verstehen. Seine Frisur ist einfach ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu meinem Erbe. Unserem Erbe. Nach meinem Jura-Abschluss wollen wir einen zweiten Laden in Mitte aufmachen, um den ich mich dann kümmern werde. Von wegen Anwältin oder Industriekarriere!

Ich drehe gerade die fünfte Zigarette, als ich den Schlüssel in der Wohnungstür höre. Hastig verstaue ich das Tabakpäckchen unter dem Stapel alter Tageszeitungen und lege die Einladung mitten auf den Tisch. „Hallo Ella, mein Liebes, was gibt’s denn so Wichtiges?“ fragt der Jo amüsiert, als er mit Tüten beladen in die Küche kommt. „Hab uns was eingekauft, wenn ich schon so unverhofft frei habe, könnten wir wenigstens mal was Anständiges kochen!“ sagt der Jo und verteilt die Einkäufe in der wenig aufgeräumten Küche. Dann schnuppert er demonstrativ in meine Richtung und sein Blick fällt auf die Einladung. „Sag mal, rauchst Du wieder? Jetzt sag schon: wo drückt der Schuh?“ Immer noch lächelt der Jo, er nimmt mich einfach nie ernst. „Ich – ähm, also es geht um...“ stottere ich während der Jo sich neben mich auf die Bank setzt, den Zeitungsstapel abtastet und sich das Päckchen Tabak angelt. „Also es ist wegen meiner Eltern“, sage ich und bin ganz überrascht, dass der Jo immer noch lacht. „Das habe ich mir schon gedacht!“ antwortet er, „ich habe mir den ganzen Nachmittag frei genommen. Du willst bestimmt mit mir einen Anzug kaufen gehen!“ Der alte Fuchs. Grinsend rollt er sich eine Zigarette, dann eine zweite für mich. Dabei fällt ihm eine Locke ins Gesicht und kringelt sich über seinem rechten Auge. Verdammt süß sieht das aus, ich liebe die Haare vom Jo, so, wie überhaupt alles an ihm. „Is’ schon gebongt, das mit dem Anzug. Weiß ich doch, dass Dir das mit Deinen Eltern wichtig ist. Auch, wenn mir das Geld scheißegal ist. Ich brauche keine Freundin, die ein Aluminium-Presswerk erbt! Und um unseren Laden mach’ Dir mal keine Sorgen, das läuft schon!“ Amüsiert hält er mir die Zigarette hin. Ich rauche gedankenverloren. Hat der Jo gerade „unser Laden“ gesagt? Dafür könnte ich ihn auf der Stelle umarmen! Stattdessen lache ich verlegen.

„Na, wenn’s nur der Anzug ist, ist ja alles in Ordnung. Hauptsache ich muss nicht zum Frisör!“ Aus strahlend blauen Augen schaut mich der Jo belustigt an. Wie Recht er immer hat! Mache ich den Jura-Abschluss denn nicht nur für meine Eltern? Dann sollen sie auch dafür zahlen. Ihre Entscheidung. Meine Zukunft liegt doch glasklar vor mir, sitzt hier an meiner Seite.

„Nein, ist bloß der Anzug“, sage ich und gebe dem Jo einen Kuss. „Was kochen wir denn Schönes?“

Letzte Aktualisierung: 27.06.2006 - 23.32 Uhr
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