Vierzig Jahr, ein blondes Haar von Jochen Nifl Heim
Heute wird es vorbei sein. Wir hatten eine schöne Zeit. So sollte ich es sehen. Wehmut ist unangebracht. Wir waren uns einig, dass wir uns trennen würden, sobald die Leichtigkeit verloren ginge, oder wie sie sich ausdrückte: "Wenn es nicht mehr knistert". Sie achtete immer genau darauf, ihren Alltag vor meiner Wohnungstür abzustreifen. Als ich sie das letzte Mal fragte, ob ihr Sohn nun eingeschult werde, reagierte sie gereizt. Ich solle sie verstehen, sie wolle diesen Scheiß nicht mit mir. Dann schloss sie die Augen und formte Kusslippen. Nur noch eine Frage, beharrte ich. Sie stöhnte, was denn los sei mit mir. Ich wollte wissen, ob sie zu mir käme, wenn Walter stürbe. "Niemand stirbt !" Dann strich sie über ihre Taille, schob das Kleid hoch und bot sich mir rücklings an: "Spann' mich nicht so auf die Folter, mein kleiner Philosoph". Ich nahm sie im Stehen.
Am Telefon sagte sie dann, ich sei nicht der Typ für eine Familie mit Kindern, das wisse ich doch ganz genau, ich solle mich nicht verbiegen und sie könne es nicht übers Herz bringen, ihren Sohn von seinem Vater zu trennen. Auch würde ihr Mann immer misstrauischer, sie halte den Druck nicht mehr aus. Ich solle auch an meinen Job denken, Walter sei immerhin mein Kollege und ob meine Freundin nicht auch schon Verdacht schöpfe? Jedenfalls würde ihr alles zu kompliziert werden.
Ich antwortete nur: "Morgen werde ich vierzig" und legte auf.
Ich dachte nicht, dass sie noch mal käme.
Aus den Boxen schallt "Halfway up the hindou kush" von Katie Melua. Früher hätte sie dazu gestrippt. Heute hängt eine lähmende Melancholie im Raum. Ihre Bewegungen wirken müde und lustlos, beinahe wie eine Pflichtübung. Ich fahre mit den Fingerspitzen über ihren nackten Körper. Ihr Busen ist fester aber auch kleiner als der von Clara. Ihr Bauch flach, sodass die Beckenkämme kantig hervorstehen. Die Schwangerschaftsstreifen ärgern sie. Mit ihrer Stimme, viel zu dunkel für ihren schlanken Körper, sagt sie: "komm" und will mich auf sich ziehen. Doch ich küsse ihre Schamhaare. Sie ist nicht nur eine echte Blondine, die Scham birgt noch etwas ganz Besonderes. Ihre Haare sind nicht trocken und gekräuselt, sondern glatt und weich, ähnlich dem Fell einer reinrassigen Angorakatze.
Wir lernten uns auf einer Firmenfeier kennen. Ihr lief gerade etwas Erdbeerbowle übers Kinn. Mir war gleich klar, dass ich alles daran setzen würde, sie ins Bett zu bekommen und bastelte mir eine wortreiche Strategie zurecht. Sie lächelte zu allem was ich sagte. Irgendwann legte sie ihren Zeigefinger auf meinen Mund und wir verschwanden.
Von da an trafen wir uns regelmäßig. Und immer wenn sie gegangen war, fühlte ich mich leer. Dann rief ich meine Freundin Clara an und fragte, was sie gerade so mache, genoss jede Belanglosigkeit, sagte ihr, dass ich sie liebe.
Nun möchte ich mich nicht mehr rühren, nur mit meinem Kopf auf ihrer Scham liegen, den süßlichen Duft einatmen und die Weichheit genießen. Nie wieder werde ich solche Schamhaare sehen, fühlen und riechen können. Irgendetwas in meinem Denkapparat verheddert sich an dem "nie wieder". Vielleicht hängt es mit meinem Geburtstag zusammen.
Mir erscheint plötzlich alles sinnlos. Sie liegt mit halb geschlossenen Augen da. Gleich wird sie mehr erwarten. Ich versuche, mich wieder in Stimmung zu bringen: "Sieh nur, ihre steifen Brustwarzen, sieh doch hin, verdammt !" Es hilft nichts, im Gegenteil. Sie richtet sich auf und blickt genervt zur Decke. Vermutlich befürchtet sie eine theatralische Szene. Im nächsten Augenblick ist sie angezogen und die Tür fällt ins Schloss.
Ein Haar kitzelt an meinem Gaumen. Ich will es gleich herausfingern. Doch dann halte ich inne und taste es mit meiner Zunge ab. Das Telefon klingelt. Ich will abnehmen, da rutscht das Haar in den Rachen. Sofort muss ich würgen und schaffe es gerade noch zur Kloschüssel. Wundersamer Weise liegt das goldene Haar ganz oben auf dem Erbrochenem. Eine Stimme singt : "Happy Birthday" von Lionel Richie auf den Anrufbeantworter. Mit jeder Strophe entfernt sie sich weiter vom Takt des Originals und mein Trübsinn verflüchtigt sich wie ein böser Geist, der sich langsam in seine Flasche zurückzieht. Dann flüstert sie: "Ich liebe dich" und legt auf. Ich spüle.
Letzte Aktualisierung: 28.06.2006 - 08.31 Uhr Dieser Text enthält 4279 Zeichen.