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Juli 2006
When I fall in love
von Marion Pletzer

“When I fall in love. It will be forever. Or I’ll never fall in love”, sang Robert aus voller Kehle und legte seine Hände mit einer theatralischen Geste auf sein Herz.
„Du meine Güte. Übertreib nicht!“ Amanda lachte.
„Ich meine es ernst.“ Robert blickte tief in ihre Augen. Amanda gehörte ihm. Das hatte er vom ersten Augenblick an gewusst. Seine Ernsthaftigkeit, Zielstrebigkeit und sein Fleiß verbanden sich mit ihrer Fröhlichkeit und Leichtigkeit das Leben zu betrachten, zu einem perfekten Ganzen. Wie damals, als seine Mutter noch lebte. Gemeinsam waren sie vollkommen gewesen. Ihr unerwarteter Tod vor einigen Jahren beraubte ihn einer Hälfte seines Ichs. Wie ein Amputierter empfand er ihren Verlust als körperlichen Schmerz.
Amanda befreite ihn endlich davon. Durch sie wurde er wieder vollständig.
„Robert? Hey, guck nicht so trübsinnig.“ Amanda ergriff seine Hände und drehte sich mit ihm im Kreis. Sie öffnete den Mund zu einem befreienden Lachen, ihr dunkles Haar flatterte im Wind.
Robert stoppte den Kreisel abrupt.
„Ich will mehr! Heirate mich!“, forderte er. Verblüfft sah ihn Amanda an.
„Wir kennen uns doch erst ein paar Wochen. Wir haben alle Zeit der Welt. Komm, lass uns in einen Coffee-shop gehen, ja?“ Widerspruchslos ließ er sich mitziehen.

Monate vergingen. Mehrmals bat er sie, ihn zu heiraten. Jedes Mal winkte sie mit einem Lächeln ab. Seine Liebe wuchs von Tag zu Tag. Kaum eine Stunde hielt er es ohne sie aus. Er musste sie berühren können, sie riechen. Er brauchte das Gefühl uneingeschränkter Verbundenheit wie ein Ertrinkender den Rettungsring. Nie wieder wollte er so unvollkommen sein wie nach dem Tod seiner Mutter. Je mehr er sich bemühte, Amanda nah zu sein, desto stärker entfernte sie sich von ihm.
„Du rückst mir derartig auf die Pelle, Robert. Ich ertrage das nicht. Entweder du lässt mir ein wenig Luft zum Atmen oder ich trenne mich von dir“, fuhr sie ihn an.
„Aber Liebling, wir sind eins. Du und ich. Wir brauchen keine anderen Menschen.“
„Hör dir mal zu! Du bist nicht normal!“
Robert zwinkerte nervös mit den Augenlidern. Längst verdrängte Erinnerungen tauchten auf.
‚Diese Affenliebe zu deiner Mutter ist nicht normal.’ Wie häufig hatte sein Vater diese Worte zu ihm gesagt. Mit verzerrtem Gesicht und Hass in der Stimme. Bald darauf verschwand er aus dem Leben der Familie. Robert vermisste ihn nicht.
„Ich glaube, es wäre besser, wenn wir uns eine Weile nicht sehen“, unterbrach Amanda seine Gedanken. Ohne ein weiteres Wort verließ sie seine Wohnung. Fassungslos starrte er ihr nach. Das meinte sie nicht so. Sicher würde sie heute Abend wieder bei ihm sein. Er wartete. Als nichts geschah, griff er zum Telefonhörer.
„Hier ist der Anschluss von Amanda. Ich bin nicht zu Hause. Bitte hinterlasse eine Nachricht.“
„Liebling, ich brauche dich. Komm zurück!“ Er wartete. Amanda antwortete nicht.

Wieder und wieder rief er an. Schickte Blumen, schrieb Briefe. Aber sie ignorierte ihn.
Robert spürte, wie die Unvollkommenheit zurückkehrte. Zunächst fast unbemerkt schlich sie sich in seinen Kopf. Setzte sich fest wie ein bösartiger Zwerg, der die Macht an sich riss.
Wie früher begann er seine Fingernägel bis auf das rohe Fleisch abzukauen.
Sein Denken und Handeln wurde mehr und mehr von der verhassten Unvollkommenheit kontrolliert. Das durfte er nicht zulassen. Amanda musste zurĂĽckkommen.

Eines Nachmittags passte er sie vor ihrem BĂĽro ab.
„Robert, lass mich in Ruhe! Ich will nichts mehr von dir. Du hast alles kaputtgemacht. Und hör auf, mich mit deinen Anrufen zu belästigen!“
„Amanda, wir sind eins. Ich brauche dich.“
„Sei vernünftig! Beziehungen zerbrechen. Das passiert jedem“, sagte sie beschwichtigend.
„Mir nicht.“ Fest presste er die Lippen zusammen. Er bemerkte, dass ihre Hand zitterte, als sie sich mit einer fahrigen Bewegung durchs Haar fuhr.
„Wenn du mit deinen Nachstellungen nicht aufhörst, verständige ich die Polizei.“ Sie ließ ihn stehen. Mit einem zuversichtlichen Lächeln sah er ihr nach. Nur in ihrer Nähe war er vollkommen und er würde dafür sorgen, dass sich daran nichts änderte.

“When I fall in love. It will be forever. Or I’ll never fall in love”, sang Robert, den Mund dicht an Amandas Ohr und wiegte sie in seinen Armen.
„Bitte, tu mir nichts.“ Ihre Stimme bebte. Tränen liefen über ihre Wangen. Zärtlich strich er ihr das Haar aus der schweißnassen Stirn.
„Warum hast du Angst? Du bist meine einzige Liebe. Wir bleiben auf ewig vereint.“ Leise sang er weiter. „And the moment, I can feel, that you feel that way too, is when I fall in love with you.” Langsam, fast sanft, drückte er ihr das Messer in den Rücken.

Robert rollte sich auf die Seite, das Gesicht zur Wand. Die ausgeleierten Federn der Pritsche quietschten. Der ehemals weiße Anstrich des Raumes war im Laufe der Jahre schmutzig geworden. In Augenhöhe entdeckte er eine kleine Wölbung, wie eine Blase. Als er mit dem Fingern hineindrückte, bröckelte die Farbe ab und entblößte graues Mauerwerk. Robert begann zu knibbeln. Die Stelle vergrößerte sich, Farbsplitter rieselten auf das schmuddelige Laken.
Sinnlos, dachte er, drehte sich wieder auf den RĂĽcken und starrte an die Decke.
Zwanzig Löcher senkrecht, zwanzig waagerecht. Macht zusammen vierhundert Stück pro Deckenplatte. Fünfundzwanzig mal fünfundzwanzig Platten klebten an der Decke. Das ergab sechshundertfünfundzwanzig.
Er zählte und rechnete, um die sich ausbreitende Unvollkommenheit zurückzudrängen. Sie durfte niemals mehr die Oberhand gewinnen.
Bald, schon sehr bald war er wieder ein Ganzes. Er konnte den Moment kaum erwarten.

Ein SchlĂĽssel drehte sich im Schloss.
„Aufstehen, Packard. Es ist soweit.“ Robert schwang die Beine aus dem Bett. Er fühlte sich leicht.
„Nicht jeder nimmt das Urteil so gefasst. Alle Achtung“, sagte der Wärter.
„Ohne sie bin ich unvollkommen.“ Robert lächelte.
Sie gingen über einen langen Gang. Eine Tür öffnete sich. Grelles Licht blendete ihn. Robert trat ein. Jemand deutete auf die Liege. Er legte sich hin und wurde festgeschnallt.
„Möchten Sie noch etwas sagen, bevor das Urteil vollstreckt wird?“
„When I fall in love, it will be forever. Or I’ll never fall in love”, sang er leise, fast flüsternd.

Letzte Aktualisierung: 23.07.2006 - 08.42 Uhr
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