Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Juli 2006
Preis der Unschuld
von Diana Krewald

Viktor stand auf seiner Dachterrasse. Lichter flackerten in der Dunkelheit. Unter ihm lag die Stadt, pulsierend und voller Leben.

„Wir haben die Kleine.“ Bernard trat neben ihn.

„Gut.“ Über Viktors Narbengesicht huschte ein Lächeln.

„Sie ist unten bei Olga.“ Bernard rauchte.

„Und die Nachricht?“

„Alles nach Plan. Lilly hat den Umschlag selbst geöffnet.“

„Geh, sag Bescheid, wenn sie kommt.“

„Ja, Boss.“ Bernards Zigarettenstummel sauste in die Tiefe wie ein sterbendes Glühwürmchen.

Flammen fraßen Holzscheite im Kamin des Penthouses. Viktor saß im Sessel und drehte das Glas zwischen den Fingern, golden schimmerte Châteauneuf-du-Pape darin. Lillys Haar besaß die gleiche Farbe. Seine Vampir-Lolita. Erst 1902 im Angesicht des Mondes wiedergeboren.

Das Telefon schrillte. Viktor riss den Hörer von der Gabel. „Was?“

„Lilly ist auf dem Weg nach oben“, sagte Bernard.

Viktor stürzte zum Spiegel. Die Bürste. Unwirsch striegelte er das haselbraune Haar. Nervös wie ein grüner Junge beim Schulball. Vierhundertneunundfünfzig Lenze! Ein Vampir, in der Blüte seiner Jahre. Lillys Parfum? Viktor schnüffelte. Hochhackige Schuhe kratzten über spanischen Marmor. Er starrte auf die Tür. Gleich würde sie hereinkommen.

Ihn durchfuhr ein lustvoller Schauer. Lilly war aufregender, als er sie in Erinnerung hatte.

„Was haben Sie mit meiner Tochter gemacht!“, schrie sie und attackierte ihn. Ihre Krallen bohrten sich in sein Fleisch. Lilly stutzte.

„Viktor?“, fragte sie ungläubig und ließ ihn los.

„Ja.“

„Wie hast du mich gefunden?“

„Gerüchte hier und da.“ Viktor grinste wie ein spitzbübischer Schuljunge.

„Spione!“ Angewidert verzog sie das Gesicht.

„Mein Kätzchen, haben dir die Rosen gefallen?“

„Die waren von dir? Ich dachte ...“

„Oh, hat er deinen Geburtstag vergessen?“ seine Stimme klang, als wolle er ein trauriges Kind trösten.

„Phillip ist oft auf Geschäftsreise, Termine, so was kann vorkommen“, verteidigte sie ihren Mann.

„Dreimal hintereinander? Ein Mensch, schwach und ohne Rückgrat“, höhnte Viktor. Gut, er sah Tränen in ihren Augen. Zeit seine Trumpfkarte auszuspielen.

„Wo ist Melissa?“, fragte Lilly.

„Deiner Kleinen geht es prächtig.“

Leicht irritiert folgte sie ihm in den Kontrollraum. Viktor drückte einen Knopf. Das Kinderzimmer erschien auf einem Monitor. Im Bettchen schlummerte Melissa. Auf dem Stuhl daneben thronte Olga. Unerschütterlich. Von der Statur einer kräftigen Seekuh. Die Arme vor der Brust verschränkt und Hände wie Schaufeln.

„Warum hast du Melissa entführt?“

„Wie hätte ich dich sonst hierher locken sollen?“ Viktor hob belustigt die Augenbrauen.

„Was willst du? Lösegeld?“

„Für ihr Leben?“

„Du willst sie töten!“ Lilly erstarrte.

„Oh nein, Olga hat dieses Vergnügen. Russische Ringkämpferin, Melissas Genick wird brechen wie ein Zweig“

„Du bist wahnsinnig!“ Sie schlug ihm ins Gesicht. Viktor lachte.

„Was ist dir ihr Leben wert?“

„Alles!“

„Wirklich?“

„Was willst du?“

„Ich will mit dir schlafen, heute Nacht. Viktor und Lilly, das Liebespaar wie früher“, schwärmte er.

„Das ist nicht dein Ernst!“ Sie wich vor ihm zurück. Begierde brannte in seinen Augen.

„So unschuldig, die Kleine, deine Entscheidung ... ansonsten“, er deutete auf Olga.

„Du Monster!“

„Ich warte im Wohnzimmer.“ Viktor ließ sie allein.

Mitternacht. Er stand am Kamin und kippte den Brandy in einem Zug hinunter. Weiber! Lilly kam herein. Viktor knallte sein Glas auf den Sims.

„Nun?“

„Ich bin einverstanden.“

„Sehr schön.“ Erwartungsvoll leckte er die Lippen.

„Unter einer Bedingung ...“

„Welche?“

„Meine Tochter bleibt am Leben und du lässt sie gehen.“

„Du hast mein Wort.“

„Ich glaube dir nicht.“ Lilly schüttelte den Kopf.

„Warte.“ Viktor nahm den Telefonhörer ab und wählte. Er schaltete auf Lautsprecher.

„Bernard?“

„Ja, Boss?“

„Bringt das Kind nach oben, sofort!“

„Aber ...“

„Das ist ein Befehl!“ Viktor legte auf.

„Zufrieden?“, seine Mundwinkel zuckten.

„Ja.“ Ihr Blick streifte den persischen Teppich, kämpfende Tiger.

Schritte. Das Trappeln kleiner Füßchen vor der Tür. Melissa rannte herein, gefolgt von etwas Dunklem.

„Mami.“

„Schätzchen.“ Lilly schloss sie in die Arme.

Olga marschierte ins Zimmer. Viktor zischte einen Befehl. Russisch? Sie postierte sich hinter der Tür.

„Wir haben Eiscreme gegessen“, plapperte Melissa.

„Schön. Welche Sorte?“

„Schoko-Vanille.“ Lilly strich eine verirrte Locke aus ihrem Puppengesicht.

„Wer ist der hässliche Mann?“, fragte die Kleine unvermittelt. Viktor ballte die Fäuste.

„Ein alter Freund.“

„Bernard soll das Kind nach Hause fahren“, instruierte er Olga. Sie nickte.

„Schätzchen, ich komme später nach, versprochen.“ Lilly küsste sie zum Abschied. Olga und das Mädchen verließen den Raum.

„Endlich allein.“ Viktor ging zu ihr.

„Wo willst du mich? Gleich hier auf dem Boden?“ Lilly öffnete die Bluse.

„Im Schlafzimmer.“

„Irgendwelche Wünsche der Herr? Die Hure? Das scheue Mädchen?“ Ihre Stimme triefte vor Verachtung.

„Nur Lilly, meine Lilly“, meinte er schmunzelnd.

Das Schlafzimmer besaß einen runden Grundriss. Lilly sah zur gläsernen Kuppel empor. Myriaden von Sternen würden Zeugen ihrer Vereinigung sein. Nur ein Möbelstück beherrschte den Raum, das Bett. Lilly ging zum steinernen Podest und berührte eins der purpurnen Seidenkissen. Sie drehte sich um und blickte zur Tür. Dort stand Viktor, zwei Weingläser in der Hand. Kerzenleuchter warfen zitternde Schatten an die Wände.

„Worauf trinken wir?“, fragte sie.

„Auf uns.“

„Es gibt kein uns“, protestierte Lilly. Sie trank gierig. Der dunkle Rebensaft schmeckte vollmundig, ein tiefer metallischer Geschmack.

„Lilly, bitte.“

„Nur der alten Zeiten willen“, baute sie ihm widerwillig eine Brücke.

„Ich möchte dir etwas zeigen.“ Viktor betätigte den Schalter in der Vertäfelung. Eine beleuchtete Bilderwand schwebte aus dem Deckenschlitz.

„Was soll das?“ Lilly runzelte die Stirn.

All diese Fotos. Sie, beim Einkaufen, im Restaurant mit Philipp, vorm Kino, im Auto ...

„Nur eine kleine Auswahl. Die Männer sind bei der Bilderjagd einfach nicht zu bremsen.“

„Du bist krank!“

„Ich wollte dich bei mir haben.“ Er sah sie verständnislos an.

„Erinnerst du dich an den Karneval in Venedig?“

„Das war vor sieben Jahren, unsere Hochzeitsreise.“ Lilly schlug die Hände vors Gesicht.

„Der Maskenball und du in diesem sündigen Kleid“, seine Finger liebkosten ihre Fotografie.

„Du warst da!“

„Wir haben miteinander getanzt, weiß du nicht mehr?“

„Nein!“ Sie schüttelte den Kopf.

„In dieser Nacht hast du das verloren.“ Viktor zog etwas aus der Tasche.

„Großmutters Kette.“ Lilly riss die Augen auf. Er legte sie um ihren Hals.

„Philipp verstand nicht, was sie mir bedeutete. Er hat mir eine neue gekauft.“

„Kein Ersatz hierfür“, seine Stimme klang rau. Lilly weinte.

Behutsam wischte er ihre Tränen fort. Sie erschauerte unter dieser sanften Berührung, als wäre ein eisiger Finger über ihre Haut gefahren. Der alte Viktor, zärtlich und verständnisvoll. Kein Monster, das zum Vergnügen tötete.

Er zog sie in seine Arme, das fühlte sich vertraut an. Lilly schloss die Augen, als hätte irgendjemand das Rad der Zeit zurückgedreht. Viktors Hände bewegten sich über ihren Körper. Er küsste sie. Erst scheu, dann fordernd. Sie erwiderte seinen Kuss. Lillys Finger stahlen sich unter das Hemd, um über seine muskulöse Brust zu streichen. Viktor keuchte.

Noten einer vergessenen Melodie erklangen. Spülten sie hinaus auf das tosende Meer des Begehrens. Strudel der Lust zog sie tiefer und tiefer. Lippen, die geheime Orte schmeckten. Sie ertranken in diesem endlosen Ozean, wo die Zeit keine Macht hatte.

Viktor küsste ihre Schulter und betrachtete sein schlafendes Kätzchen. Lilly seufzte und kuschelte sich an ihn, genau wie damals. Er lächelte und betrachtete den Himmel. Noch zwei Stunden!

Es dämmerte. Viktor beobachtete seelenruhig wie die Sonne immer mehr die Oberhand gewann, leuchtende Lichtkegel.

„Wach auf, Lilly“, rief er. Sie saß im Bett und rieb sich die Augen. Viktor hatte ihr den Rücken zugewandt.

„Wie spät ist es?“, fragte Lilly mit belegter Stimme.

„Sonnenaufgang, Liebes.“ Vor ihm glühte der Himmel.

„Was?“ Sie sprang aus den Federn.

„Viktor, du musst die Jalousien herunterlassen!“ Er reagierte nicht und starrte versonnen hinaus. Lilly drückte die Schalter an der Wand. Nichts! Ihr Schutzschild weigerte sich beharrlich.

Sie rannte zur Tür. Abgeschlossen. Panisch hämmerte sie gegen dicke Bronze. Gefangen!

„Viktor, wo ist der Schlüssel?“, schrie sie.

„Bernard hat ihn.“ Viktor betrachtete Lilly. Sie war nackt und wunderschön. So wollte er sie in Erinnerung behalten.

„Wir werden sterben, hörst du Viktor!“ Sie stürmte auf ihn zu.

„Das war von Anfang an mein Plan.“ Er umarmte Lilly.

„Du verfluchter Mistkerl“, schluchzte sie an seiner Brust.

„Ich liebe dich, du warst mein Leben“, flüsterte er in ihr Haar, während die Sonne umbarmherzig ihr Lichtgefängnis in Brand setzte.

Letzte Aktualisierung: 27.07.2006 - 16.56 Uhr
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